Es ist ungewöhnlich in der Diplomatie, dass eine Partei, die die Dienste eines Vermittlers in Anspruch nimmt, öffentlich über diesen schimpft. Ebenso ist es ungewöhnlich, dass sich der Vermittler dann öffentlich über die Partei, für die er vermittelt, beklagt: Genau dieses Schauspiel boten zuletzt Katar und Israel, mit starker Beteiligung aus den USA. Die ewigen Vorwürfe an Katar lauten, dass es mit der Hamas, deren politische Führung in Doha lebt, doch irgendwie unter einer Decke steckt. Katar wehrt sich nun: Seine Rolle als Kommunikator mit der Hamas und Geldgeber für den Gazastreifen habe es stets mit voller Billigung der Regierungen in Washington und Jerusalem ausgeführt.

Angehörige von israelischen Geiseln demonstrieren Anfang April vor dem Konsulat Katars in New York.
Angehörige von israelischen Geiseln demonstrierten Anfang April vor dem Konsulat Katars in New York. Dem Emirat wird vorgeworfen, mit der Hamas unter einer Decke zu stecken. Katar fühlt sich unfair behandelt.
IMAGO/Lev Radin

Das Emirat werde seine Vermittlertätigkeit prinzipiell überdenken, drohte der katarische Premier Mohammed bin Abdulrahman Al Thani kürzlich, wenn es dafür nur beleidigt und damit in einem Wahljahr politisches Kleingeld gemacht werde – eine Anspielung auf die US-Präsidentschaftswahl. Zuvor hatte der demokratische US-Abgeordnete Steny H. Hoyer verlangt, dass Washington seine Beziehungen zu Katar überprüfen solle, wenn dessen Verhandler nicht mehr Druck auf die Hamas ausüben. Auch Israel beschwert sich, dass Katar der Hamas-Führung nicht mit der Ausweisung aus dem Emirat und dem Sperren ihrer Konten droht, um die restlichen israelischen Geiseln im Gazastreifen freizubekommen. Bei der aktuellen Verhandlungsrunde in Kairo scheint Ägypten die Führung eingenommen zu haben.

Mit dem Segen Obamas

Bei dem Streit haben irgendwie alle recht: Das Hamas-Auslandsbüro, damals unter Khaled Meshal, kam 2012 von Syrien – wo die Hamas weggehen musste, weil sie den Aufstand gegen Bashar al-Assad unterstützte – nach Katar. Der jetzige Hamas-Chef Ahmed Haniyeh residiert seit 2016 in Glanz und Gloria in Doha. Das war immer unappetitlich und ist es nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 noch viel mehr. Allerdings wurde die Übersiedlung der Hamas nach Katar 2012 von der US-Regierung Barack Obamas billigend in Kauf genommen.

Weshalb? Weil es besser schien, die Hamas im pragmatischen Katar, also erreichbar, sitzen zu haben als, wie zuvor, beim Regime in Syrien oder womöglich im Iran. Und das gilt noch immer. Katar war und ist Israel und den USA in dieser Rolle auch lieber als die regionalpolitisch viel gewichtigere Türkei, in der Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach den schlecht gelaufenen Kommunalwahlen nun noch härtere Kante gegen Israel zeigt. Die Türkei, der Iran, aber auch der Libanon oder Algerien werden als mögliche Länder genannt, falls die Hamas-Führung Katar verlässt.

Es ist auch richtig, wie Katar sagt, dass die bis zu zwei Milliarden Dollar, die in den letzten gut zehn Jahren an Hilfsgeldern in den Gazastreifen flossen – und natürlich dort auch der herrschenden Hamas zugutekamen –, immer von Israel abgenickt waren. Katar finanzierte im Grunde Benjamin Netanjahus Gaza-Politik: Nach harten Kriegsrunden zwischen der Hamas und Israel wurde immer wieder katarisches Geld zum Wiederaufbau in den Gazastreifen gesteckt, um Perioden von Ruhe zu erkaufen.

Emanzipation von Saudi-Arabien

Mit seinen engen Beziehungen zu Gruppen wie der Hamas oder den Taliban – mit denen die USA in Doha jahrelang ganz offiziell verhandelten – hat sich Katar ein politisches Gewicht verschafft, das weit über die Parameter des kleinen, wenn auch immens reichen Staates hinausgeht. Die katarische Führung ist selbst ideologisch weder bei der Hamas noch bei den Taliban, aber sie bringt sich durch diese Kontakte ins große regionalpolitische Spiel. "Sicherheit durch Sichtbarkeit" ist das Motto des Emirats, das sich durch eine eigenständige Außenpolitik vom übermächtigen saudischen Einfluss emanzipieren wollte. Riad war das immer ein Dorn im Auge.

Besonders auffällig wurde das 2011, als Katar die Revolutionsbewegungen in den Staaten des sogenannten Arabischen Frühlings unterstützte – im Gegensatz zu allen anderen konservativen Monarchien am Golf. Diese haben auch Ex-US-Präsident Obama und seinem früheren Vizepräsidenten Joe Biden die damalige revolutionsfreundliche US-Politik, vor allem beim Sturz Hosni Mubaraks in Ägypten, nie verziehen.

Wegen seiner engen Beziehungen zu den Muslimbrüdern und der Türkei und des pragmatischen Umgangs mit dem Iran wurde Katar 2017 von vier arabischen Staaten (Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain, Ägypten) für ein paar Jahre mit einem Boykott belegt. Katar teilt sich mit dem Iran ein Gasfeld im Persischen Golf, es ist demnach zu professionellen Kontakten zu Teheran gleichermaßen verdammt. Allerdings hat inzwischen auch Riad seine Beziehungen zu Teheran wieder normalisiert.

Nicht leicht zu ersetzen

Es ist durchaus möglich, dass Katar mit der Ausweisung des Hamas-Büros reagiert, sollten neue Verhandlungen an Haniyeh & Co scheitern. Ob die Auslandsführung den Hamas-Chef im Gazastreifen, Yahya Sinwar, überhaupt voll im Griff hat, ist jedoch zweifelhaft. Katar würde an diplomatischer Power verlieren, sollte es die Scharnierfunktion zwischen Hamas und "Westen" aufgeben müssen. Den arabischen Nachbarn Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate wäre das nur recht. Einfluss auf die Hamas haben sie jedoch auch nicht, da schon eher Ägypten, das als einziges arabisches Land eine Grenze zum Gazastreifen hat.

Typischerweise erfolgte der arabische Boykott von Katar unter der US-Präsidentschaft von Donald Trump: Aber auch der ließ das Emirat nicht fallen. Denn was die Beziehungen zu Washington betrifft, ist der Ast, auf dem die katarische Führung sitzt, auch nicht ganz kurz. Die USA betreiben in Katar ihre größte Militärbasis in der Region. Die Luftverteidigung Israels am 13. April, als der Iran mit 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern angriff, wurde im riesigen Combined Air Operations Center in der Al Udeid Air Base in Katar koordiniert. Biden hat Katar erst im Jänner 2022 zu einem Major Non-Nato Ally (MNNA) gemacht, einem Militärverbündeten, der zwar kein Nato-Mitglied ist, aber einen besonderen Status hat. Das ist nicht ohne größere Kollateralschäden – für alle – rückgängig zu machen. (Gudrun Harrer, 30.4.2024)