Teenager nimmt Pille, ausgeleuchtet in pinkem Licht
Im Drogenbereich kommen permanent neue Produkte auf den Markt, oft weiß man nicht, wie sie wirken. Arbeitet man mit Menschen, die Drogen konsumieren, ist aber umfassendes Wissen nötig. Das soll ein neuer Lehrgang liefern.
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In Österreich gibt es ein Drogenproblem. Nicht dass das neu wäre, Substanzmissbrauch ist wohl so alt wie die Menschheitsgeschichte – und selbst im Tierreich kommt Rausch vor. Doch aktuell gibt es einen neuen Not- und Höchststand, was die Todesfälle anbelangt. 248 Personen starben im Jahr 2022 an einer Überdosierung illegaler Drogen, wie der im Februar veröffentliche aktuelle Drogenbericht des nationalen Forschungsinstituts Gesundheit Österreich (GÖG) zeigt. Das ist die höchste Zahl seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2003, DER STANDARD berichtete hier.

Bei den meisten Todesfällen wurde als Ursache eine Mischung aus Opioiden und anderen Drogen festgestellt, die Gründe für diesen Anstieg lassen sich nicht genau aufschlüsseln. Nur so viel: Die Pandemie könnte dabei eine Rolle spielen, das ist aber keineswegs gesichert. Alarmierend ist aber, dass mehr als ein Viertel der Drogentoten Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren sind.

Das Drogenproblem unter Kontrolle zu haben ist eine fast nicht bewältigbare Herausforderung, das liegt in der Natur der Sache. Doch oft fehlt es auch an Wissen, was die einzelnen Bereiche rund um die Thematik anbelangt. Genau hier will ein neuer Lehrgang ansetzen. "Wir sehen den dringenden Bedarf, unterschiedlichsten Berufsgruppen evidenzbasiertes Wissen und Materialien zur Verfügung zu stellen, die bei Substanzgebrauchsstörungen und der Begegnung mit davon Betroffenen helfen können", sagt Harald Sitte, Psychopharmakologe am Zentrum für Physiologie und Pharmakologie der Med-Uni Wien. Deshalb hat er gemeinsam mit Matthäus Willeit von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie an der Med-Uni Wien einen Universitätslehrgang "Substanzgebrauchsstörungen" entwickelt, der im Herbst startet.

Drogencheck und Psyche

"Wenn man die aktuellen Nachrichten verfolgt, dann sehen wir den immer stärkeren Bedarf für eine solche Ausbildung", betont Sitte. Wie aktiv der Drogenmarkt ist, erkennt man an neuen Substanzen, die permanent auf den Markt kommen. Hier versuchen internationale Institutionen den Überblick zu bewahren, indem etwa aktiv und gezielt Substanzen auf der Straße gekauft und analysiert werden. Drogencheck-Initiativen, bei denen Konsumierende anonym ihre Substanzen überprüfen lassen können, wie etwa die Organisation Checkit! in Wien, arbeiten mit nationalen Referenzstützpunkten zusammen. Die dabei gewonnenen Daten werden an ein Frühwarnsystem der EU geliefert, dessen Sitz in Lissabon ist und das dann regelmäßig Informationen und Warnungen zu den neuen Substanzen herausgibt.

"Solche Informationen sind aber nicht nur für einen kleinen Kreis an Personen relevant, sondern für alle, die in irgendeiner Form mit Menschen arbeiten, die Substanzmissbrauch betreiben", betont Sitte. Deshalb bündelt der Lehrgang in seinem Programm alles, was mit diesen Substanzeinnahmen zusammenhängt, aus den Bereichen Neurobiologie, Neuropharmakologie, Psychiatrie, Psychologie und mehr. Angesprochen werden damit Ärztinnen, Psychologen, Richter, Juristinnen und Menschen in den unterschiedlichsten Gesundheits- und Sozialberufen. "Wir sind da sehr breit aufgestellt, das geht von Grundlagenvermittlung über rechtliche Entwicklungen und Diskussionen bis hin zu eben Einschätzung neu auftauchender Substanzen."

Auch klinisch-psychiatrische Aspekte sind ein wichtiger Teil der Ausbildung, neben der Abteilung für Allgemeine Psychiatrie ist auch die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie intensiv an der Entwicklung beteiligt. "Auf den psychiatrischen Stationen sind die Themen und Probleme, die wir mit dieser Ausbildung ansprechen wollen, ja sehr präsent", betont Psychiater Willeit.

Blick auf Psychedelika

Baldige Entspannung in diesem Problemfeld sieht Willeit nicht – umso wichtiger ist ein entsprechendes Angebot. Darüber hinaus könnten internationale Probleme auch hierzulande Fuß fassen. "Wir beobachten natürlich die Krisenszenen weltweit, besonders auch die Opioidkrise in den USA, der jedes Jahr rund 100.000 Menschen zum Opfer fallen." In Europa und vor allem in Österreich ist diese Krise noch nicht breit angekommen, "unter anderem sicherlich auch wegen der hierzulande besseren therapeutischen Versorgung durch bestehende Therapieeinrichtungen. Doch es gilt, gewappnet zu sein. Wir müssen die Grundlagen der Krise und die Hintergründe verstehen, damit wir entsprechend reagieren können."

Zwar würde die Opioidkrise bei uns ziemlich sicher nicht in dem Ausmaß wie in den USA stattfinden, diese ist dort durchaus hausgemacht, weil Pharmaunternehmen massiv für diese Schmerzmittel lobbyiert haben und sie deshalb über viele Jahre zu leicht verschrieben wurden. "Es ist in den vergangenen Jahren aber zu einem deutlichen Rückgang des Opiumanbaus in Afghanistan gekommen, dadurch sind die Märkte unter Druck gekommen", erklärt Pharmakologe Sitte. Deshalb könnte es sein, dass auch bei uns zunehmend Fentanyl-Derivate und ähnliche Stoffe als Ersatzdrogen auf den Markt kommen. "Das könnte uns schon bald betreffen, und das müssen wir im Blick behalten."

Doch es gibt auch andere Entwicklungen. In den vergangenen Jahren hat sich etwa ein neuerliches Interesse an Substanzen aus dem psychedelischen Bereich wie etwa Psylocibin, aber auch an dem Amphetamin-Derivat MDMA etabliert. Diese Substanzen werden intensiv erforscht und auch bereits vereinzelt gezielt im klinischen Bereich zu Therapiezwecken eingesetzt. Die US Food and Drug Administration (FDA) ist bereits darauf aufmerksam geworden. Auch dazu gilt es, umfassendes Wissen zu vermitteln. (Pia Kruckenhauser, 30.4.2024)