Gentechnik ist eine faszinierende Technologie. Man kann mit ihr gezielt in das Erbgut von Lebewesen eingreifen, etwa Gene verändern, übertragen oder ausschalten. Das eröffnet in der Medizin völlig neue Möglichkeiten, um Krankheiten zu heilen. Landwirte können damit Pflanzen widerstandsfähiger gegen Schädlinge oder Trockenheit machen.

So faszinierend Gentechnik ist, so kontrovers wird sie auch diskutiert. Viele haben Bedenken, vor allem in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Aber woher kommt das?

Eine Abhandlung in sieben Punkten.

1. Prolog

Die Pandemie war gut ein Jahr alt, als zigtausende Menschen in der EU zu ihren Einstellungen über Wissenschaft befragt wurden. Ob Biotechnologie und Gentechnik in den nächsten 20 Jahren unser Leben positiv, negativ oder gar nicht beeinflussen werden, wurden sie etwa gefragt. In Österreich sagten 39 Prozent der Menschen im April und Mai 2021: negativ.

Das war der höchste Wert in der ganzen EU. Platz zwei: Deutschland mit 33 Prozent. Außerhalb der EU ebenfalls "gut" dabei: die Schweiz mit 37 Prozent.

Gentechnisch veränderten Lebensmitteln begegnen viele Menschen mit Skepsis – dahinter steckt eine Angst, die Jahrhunderte zurückreicht.
Gentechnisch veränderten Lebensmitteln begegnen viele Menschen mit Skepsis – dahinter steckt eine Angst, die Jahrhunderte zurückreicht.
IMAGO/blickwinkel

Zuletzt stimmte das EU-Parlament für eine Lockerung der Regulierung der modernen Gentechnik. Eine Mehrheit stimmte dafür. Die Abgeordneten aus Österreich scherten aus: Alle außer Claudia Gamon (Neos) stimmten gegen eine Lockerung.

Während die deutschen Parteien CDU und AfD für die Lockerung waren, stimmten die Abgeordneten von ÖVP und FPÖ dagegen.

Die SPÖ stimmte komplett dagegen, die deutsche SPD gehörte in ihrer Fraktion mit den vielen Stimmen gegen eine Lockerung ebenfalls zur klaren Minderheit.

2. Der Kampf beginnt

Mai 1996. Es ist zwei Jahre her, dass das österreichische Parlament ein liberales Gentechnikgesetz beschlossen hat. Der zuständige Gesundheitsminister Michael Ausserwinkler (SPÖ) meinte damals, wenn Wissenschafter keine Gefährdung sähen, solle man gentechnisch veränderte Pflanzen in Österreich freisetzen dürfen.

Eine Forschungstochter des Zuckerkonzerns Agrana setzt gentechnisch veränderte Erdäpfel bei Absdorf in Niederösterreich in den Boden ein – ohne dafür die notwendige Genehmigung erhalten zu haben. Global 2000, eine Umwelt-Lobbying-Organisation, erfährt davon, steckt es der Kronen Zeitung: Skandal! Kurz darauf werden die Erdäpfel wieder ausgegraben.

Die SPÖ-Gesundheitsministerin Christa Krammer kündigt ein zweijähriges Moratorium an. Solange sollen keine gentechnisch veränderten Pflanzen ausgesetzt werden dürfen. In der Wirtschaftskammer sah man das mit "äußerstem Befremden", Kanzler Vranitzky (SPÖ) sah keinen Grund, das Gesetz zu ändern, die Grünen forderten ein fünfjähriges Moratorium.

Gleichzeitig gibt es auch auf EU-Ebene Aufregung: Der US-Konzern Monsanto hatte die Genehmigung erhalten, gentechnisch veränderte Sojabohnen zu importieren. Greenpeace stoppte einen US-Frachter mit Soja, Grünen-Klubobfrau Madeleine Petrovic meinte, dass dieses Soja zum "Tschernobyl der Gesundheitspolitik" werden könnte. Schon zuvor war Österreich das einzige EU-Mitglied, das gegen die Novel-Food-Verordnung gestimmt hatte.

Petrovic fiel dann während der Corona-Krise mit Kritik an Impfungen und mit einer Nähe zu Verschwörungstheorien rund um Bill Gates auf.

Im März 1997 reagierte die ÖVP-SPÖ-Koalition auf die Kritik und stellte eine neue Position vor: ja zu Gentechnik, aber mit Kennzeichnung und Auflagen. Einen Monat später startete das Gentechnik-Volksbegehren, das in einer Woche 1,2 Millionen Unterschriften gegen die Technologie sammelte. Damit ändert sich alles.

1998 kommt ein neues Gentechnikgesetz, und die illegal angebauten Erdäpfel in Absdorf werden die einzigen gentechnisch veränderten Pflanzen sein, die bisher auf österreichischem Boden freigesetzt wurden. Das Thema Gentechnik war von da an politisch tot. Die Quelle für diese historische Schilderung ist die APA, die das hier toll aufbereitet hat.

Doch die Ursachen für die weitverbreitete Skepsis gegenüber Gentechnik in Österreich reichen noch viel weiter zurück.

3. Der lange Schatten der Geschichte

Schon in den Jahren vor der Erdäpfel-Aufregung 1996 waren viele in Österreich ablehnend, sagt der Sozialwissenschafter Franz Seifert. Darum braucht es eine andere Erklärung, und die reicht viel weiter zurück. Rein naturwissenschaftlich betrachtet besteht die Natur aus molekularen Systemen, und diese molekulare Welt sei erst einmal sinnlos, sagt Seifert, der sich in Studien mit den Einstellungen der Menschen zu Gentechnik beschäftigt hat.

Wenn die Welt nichts weiter als ein bunter Haufen von Molekülen ist, bedeutet das aber freilich auch: Das Leben ist sinnlos. Das ist aber verständlicherweise für die meisten Menschen schwer zu ertragen.

Je nach Zeit fanden sie in anderen Dingen Sinn. Meistens in irgendeiner Art von Religion. Als die Industrialisierung Fabriken brachte, die Aufklärung die Vernunft und die Religion als sinngebende Kraft an Strahlkraft verlor, formierten sich die Gegner.

Kulturelle Strahlkraft entwickelte etwa die Romantik, vor allem in der deutschen Kultur. "Man wollte die Natur wieder in ihr Recht einsetzen. Denken Sie an Caspar David Friedrich, in der Dichtung an E.T.A. Hoffmann, in der Musik an Robert Schumann", sagt Helge Torgersen, der sich an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften jahrzehntelang mit der Wirkung von Technik auf die Gesellschaft beschäftigte.

Die Romantik betonte Gefühl, Fantasie und Individualität und idealisierte die Natur als etwas Beseeltes und Geheimnisvolles. Sie prägte das Naturverständnis im deutschsprachigen Raum nachhaltig. Das zeigt auch: In der deutschsprachigen Schweiz ist die Ablehnung von Gentechnik laut Torgersen viel größer als in der romanischen Schweiz.

"Die Romantik hatte immer eine antizivilisatorische Attitüde und stand im Gegensatz zur forcierten Industrialisierung, die ja tatsächlich zu großen Umweltproblemen führte." Zum einen stehe die auf Vernunft und ökonomischem Kalkül basierende Industrialisierung. Zum anderen habe es die Sehnsucht nach einer heilen Welt gegeben.

Wälder und Ruinen im Nebel, hier im deutschen Hessen
Wälder und Ruinen im Nebel, hier im deutschen Hessen: Die Weltsicht der Romantik prägt bis heute das Denken vieler Menschen.
IMAGO/Jan Eifert

"In der Romantik geht es um die Vorstellung einer unberührten und mit sich im Einklang stehenden Natur, der der Mensch wieder zugehörig werden soll", sagt Torgersen. Das sei auch mit ein Grund, warum der Alpinismus in Österreich so stark ist. Wo auf der Welt gehen so viele Menschen am Wochenende wandern wie in Österreich?

Franz Seifert sieht die kulturelle Präferenz für eine Art reine Natur auch als Erklärung für den Erfolg der grünen Bewegung. Romantische Vorstellungen von Natur habe es etwa auch in den USA gegeben, sagt Seifert. Der Schriftsteller Henry Thoreau zieht sich im 19. Jahrhundert in die Wildnis in eine selbst gebaute Hütte im Wald zurück.

Aber im deutschsprachigen Raum sei das ausgeprägter. Ende des 19. Jahrhunderts entstand als Reaktion auf Fabriken und Verstädterung etwa die Lebensreformbewegung. Ihre Anhänger strebten eine naturverbundene, oft vegetarische Lebensweise an, mit Verzicht auf Alkohol und Tabak.

Dazu gehörten Ernährungsreformer wie der Schweizer Arzt Maximilian Bircher-Benner, der das Birchermüsli erfand, aber auch die Wandervogel-Bewegung, die Ausflüge in die Natur als Kontrast zum Großstadtleben propagierte. Auch die Anthroposophie von Rudolf Steiner nahm viele lebensreformerische Ideen auf, er entwickelte auch die Waldorfpädagogik.

In Österreich kamen einige Dinge zusammen: Die starke Wirkung der Romantik, die Proteste um Hainburg, mit den Grünen institutionalisierte sich eine wirkmächtige Öko-Bewegung. "Da war die Frage für die etablierte Landwirtschaftspolitik: Wie gehen wir damit um?", sagt Seifert. "Und eine Lösung war die Förderung der Biolandwirtschaft."

Noch ein Bild aus der Ära der Romantik: "Die Serpentara bei Olevano" von Joseph Anton Koch (1768 bis 1839).
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Man schuf eine Allianz mit dem Lebensmittelgroßhandel, der diverse Biolinien einführte, die mit reiner Natur codiert sind: zurück zum Ursprung, Ja natürlich, Natur pur. Jetzt gab es also auch ökonomische Interessen an einer "reinen Natur" und an Antigentechnik.

"Da fließen Dinge zusammen, die dann in den 90er-Jahren mit großer Involvierung der Kronen Zeitung dazu geführt haben, dass die Politik sehr, sehr schnell gesagt hat: Okay, wir versuchen die Gentechnik aus unserer Landwirtschaft draußen zu halten", erklärt der Sozialwissenschafter Seifert.

Neben der Idealisierung einer "reinen Natur" nährt auch eine generelle Skepsis gegenüber Großkonzernen aus dem Ausland die Ablehnung der Gentechnik in Österreich.

4. Die Kritik kommt von links und rechts

In Österreich hat man nämlich nicht nur ein Naheverhältnis zur Natur, sondern ist auch Konzernen gegenüber eher skeptisch eingestellt. Der US-Biotech-Konzern, der gentechnisch veränderte Lebensmittel aus dem Ausland zu uns in unsere reine, gesunde Natur bringt, ist so etwas wie der ultimative Trigger für den gelernten Österreicher.

"Es kommt aber nicht nur aus der linken Ecke", sagt Torgersen. "Das hat mich schon in den 90er-Jahren besorgt gemacht, es kommt auch von rechts. Dass nämlich alles, was aus dem Ausland kommt, was irgendwie nach Globalisierung riecht, was nicht heimisch ist, nicht heimatverbunden, das ist böse. Das hat Anklänge an die Blut-und-Boden-Ideologie."

Dazu kommt noch ein unheimliches Gefühl: nämlich dass der Mensch zu weit geht und sich das eines Tages rächen werde.

5. Der Zauberlehrling

Der Mensch greift seit Jahrtausenden durch gezielte Züchtung von Tomaten oder Rindern in die Natur ein. Ursprüngliche Wildtomaten aus Süd- und Mittelamerika waren so groß wie Erbsen und ein paar Gramm schwer. Zurück zum Ursprung würde also heißen, dass man in Europa gar keine Tomaten essen würde – beziehungsweise wenn überhaupt, dann nur erbsengroße. Mahlzeit!

Ohne die Züchtung von Pflanzen wäre keine Zivilisation möglich. Man nahm einfach die Samen von Wildtomaten, die etwas größere erbsengroße Früchte trugen, und pflanzte sie wieder ein. Wenn man das tausende Male wiederholt und sie auch noch kreuzt, landet man irgendwann bei großen, saftigen Tomaten.

Man verändert also das Erbgut von Tomaten, ohne genau zu wissen, was im Erbgut jetzt genau passiert. Mit moderner Gentechnik kann man das gezielt und hochprofessionell machen, quasi mit dem Skalpell. Dass der Mensch jetzt gezielt in die Natur eingreift statt blind wie früher – da ist für viele dann die Grenze überschritten.

"Da kommt das Unheimliche, der Zauberlehrling Mensch mit seiner Hybris, der in die Schöpfung eingreift. Die Vorstellung ist: Irgendwann wird die Natur sich rächen, wenn man zu stark in sie eingreift", sagt Ortwin Renn vom Helmholtz-Zentrum Potsdam, der sich mit Umwelt- und Techniksoziologie beschäftigt.

In der Medizin sei Gentechnik akzeptierter. Auch andere Eingriffe in die "Natur", etwa der Bau von Autobahnen, haben Gegner, sind aber breit akzeptiert. Da sei der Nutzen für viele klarer, sagt der Soziologe. Bei der Gentechnik sei er für die Verbraucher zu abstrakt. Das mache es den Gegnern besonders einfach, Stimmung dagegen zu machen.

6. Lebensnotwendige Bedrohungen

Warum fürchten wir uns vor der Gentechnik, wenn es da eigentlich nichts zu fürchten gibt?

Der Soziologe Ortwin Renn hat da noch ein Puzzleteil für die Erklärung:

Bis vor der Pandemie und dem Ukrainekrieg habe es in den deutschsprachigen Ländern in der Wahrnehmung der Bevölkerungen lange keine Bedrohung von außen gegeben. Da, wo es keine Katastrophen gebe, würden sie ein Stück weit herbeifantasiert, so Renn.

"Es ist nicht uninteressant, dass nach dem Unfall im AKW Fukushima in Deutschland mehr Jodtabletten verkauft worden sind als in Japan. Alles Schlimme passierte immer nur bei den anderen. Man konnte sich zurücklehnen und auf die Dinge konzentrieren, wo man negatives Potenzial sah. Das waren in Deutschland lange Zeit die beiden Bösewichte Atomkraft und Gentechnik."

Das sei jetzt anders, Pandemie, Ukrainekrieg, auch der Klimawandel werde spürbarer, Waldbrände, Hochwässer, die Katastrophen kämen wieder zurück. "Dadurch wird noch einmal alles umgedeutet. Diesen Luxus, sich auf Gefahren zu konzentrieren, die eigentlich keine sind, den können wir uns jetzt gar nicht mehr leisten."

Aber auch Umwelt-NGOs spielen eine Rolle. Haben sie sich erst einmal auf ein Thema eingeschossen, das funktioniert, haben sie den Anreiz, es immer weiter zu spielen.

7. Lobbys brauchen eine Aufgabe

Die Umweltbewegung hat sich in Österreich zunächst stark gegen Atomkraftwerke eingesetzt, sagt Helge Torgersen. Mit der Entscheidung gegen die Inbetriebnahme des AKW in Zwentendorf sei das Thema aber quasi erledigt gewesen. Auch in Deutschland übrigens, sagt Torgersen, "da gab es zwar Atomkraftwerke, aber der weitere Ausbau wurde sehr eingeschränkt".

Die Gentechnik war dann die nächste für gefährlich erklärte Technologie, auf die die Umweltbewegung aufsprang. In den 70er-Jahren habe sich die Kritik auf die Züchtung von Menschen bezogen. Als das dann vom Tisch war, brauchte man dann wieder eine neue Aufgabe, sagt Torgersen, und man konzentrierte sich auf Probleme der Gentechnik bei Pflanzen.

"Ich kann mich noch gut erinnern, dass Ende der 70er-Jahre das Argument war: Also bei Tieren und Menschen pfui, aber bei Pflanzen gibt es große Potenziale", sagt Torgersen. Als die Debatte über Gentechnik bei Tieren und Menschen erledigt gewesen sei, habe man sich auch gegen Gentechnik bei Pflanzen gestürzt.

Conclusio: Woher kommt die Ablehnung?

Meine Meinung

Was mir jetzt am Ende noch wichtig ist: Wenn Menschen in der Natur Sinn und Verbundenheit verspüren, ist das toll und freilich Privatsache, genauso wie Wanderkultur etwas Spezielles ist. Niemand will ein sinnloses Leben führen, ich auch nicht!

Dazu kommt: Die Biolandwirtschaft zeigt der konventionellen, wie man ohne Kunstdünger und mit weniger Spritzmitteln relativ gute Ergebnisse liefert. Viele Ökos zeigen mit Verzicht auf Auto oder Flieger alternative Lebensweisen vor, von denen wir lernen können.

Ein Problem wird es dann, wenn sich diese Einstellungen mit einer Ablehnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen paaren – und man auf nachhaltige Technologien verzichtet, weil sie nicht in unsere "reine Natur" passen.

Es ist absurd, einerseits zu sagen, der Kampf gegen die Klimakrise sei essenziell, und gleichzeitig auf einen Teil des Werkzeugkoffers dagegen zu verzichten.

Moderne Gentechnik kann dabei helfen, zehn Milliarden Menschen nachhaltiger zu ernähren. Sie hilft uns dabei, uns auf die Folgen der Klimakrise vorzubereiten. Und weil wir durch die höheren Erträge weniger Felder brauchen, bleibt Platz, um der Natur Raum zurückzugeben: für Schutzgebiete, blühende Feldränder oder Brachen.

Zum Fürchten haben wir in Europa jetzt ja leider auch andere Dinge. (Andreas Sator, 21.4.2024)