Jeder Mensch ist sterblich. Das ist eine Tatsache, mit der sich viele erst am Lebensende auseinandersetzen.

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Im eigenen Bett friedlich entschlummern, ohne es zu merken, nach einem langen, glücklichen, gesunden und bis zum Schluss ausgekosteten Leben: So wünscht sich den Tod wohl jeder. Doch die Realität sieht anders aus: Immer mehr Menschen verbringen ihr Lebensende in Spitälern oder Pflegeheimen. Dort sind sie zwar bestmöglich versorgt, es ergeben sich aber neue Probleme - vor allem der Verlust der eigenen Autonomie ist für viele schwer zu ertragen.

Die Institution gibt den Takt für Essen, Schlafen und Beschäftigung vor. Weil die Menschen aber immer länger leben und in den letzten Jahren zunehmend krank sind, geht es oft nicht anders. "Die gesellschaftliche und demografische Entwicklung ist eine große Aufgabe für uns alle", sagt Herzchirurg Felix Unger, der sich für das Thema Palliativmedizin engagiert.

Sicherheit und Zuwendung

"Als ich ein junger Arzt war, wurde das Sterben negiert. Es hat sich hinter verschlossenen Türen abgespielt", sagt Unger, der eine interdisziplinäre Kommission gegründet hat. Palliative Care (lat. palliare: schützen) umfasst nicht nur Medizin am Lebensende, sondern die ganzheitliche körperliche, psychische, soziale und spirituelle Versorgung von unheilbar kranken Menschen. Ausgehend von England und Skandinavien gibt es seit den 1980er-Jahren auch in Österreich eine Hospizbewegung. Es geht darum, die letzte Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten, Ängste zu nehmen und den Patienten das Gefühl zu geben, gut aufgehoben zu sein.

"Sterben ist so individuell wie das Leben", sagt Andrea Schwarz, Leiterin des Hospiz Rennweg der Caritas Socialis in Wien. Während manche das ganze Leben lang alles mit sich selbst ausmachen, wollen andere jemanden immer um sich - nicht anders ist es beim Sterben. Wer eine positive Bilanz des eigenen Lebens zieht, geht leichter als jemand, der bereut, etwas versäumt oder falsch gemacht zu haben. Darüber zu sprechen kann gut tun, "im Hospiz ist auch genug Zeit dafür", sagt Schwarz.

Was Unger beobachtet hat: "Der Mensch braucht am Ende seines Lebens genauso viel Zuwendung wie am Anfang als Kind, er will geborgen sein, gestreichelt werden, das Gefühl haben, jemand ist für ihn da." Auch Sicherheit sei enorm wichtig, ergänzt Herbert Watzke, Leiter der Palliativstation am Wiener AKH: etwa die Sicherheit, keine Schmerzen zu haben und nicht ersticken zu müssen, oder auch immer jemanden zum Reden zu haben. Wie Studien zeigen, steigert das Sprechen über Sorgen und Ängste nicht nur die Lebensqualität, sondern wirkt sogar lebensverlängernd.

Lebensqualität erhalten

Wenn Therapie keine heilende Wirkung mehr hat, übernimmt die Medizin andere Aufgaben. Da geht es um Lebensqualität: Schmerzmittel, Medikamente gegen Übelkeit, wenn nötig künstliche Beatmung. All das soll beitragen, die letzte Zeit so beschwerdefrei wie möglich zu machen. "Oft ist es das kleine Glück, nach dem man sich sehnt: Im Garten sitzen, noch einmal das Lieblingsgericht essen, die Katze streicheln. Die ganz großen Themen, die man hat, wenn man mitten im Leben steht, relativieren sich", weiß Schwarz und erzählt, dass Patienten im Hospiz nicht selten sagen, sie fühlen sich nun am Ziel angekommen.

Unger wiederum kann sich an einen Patienten erinnern, der trotz großer Risiken unbedingt noch am Herzen operiert werden wollte, um nach Amerika zu seiner Tochter reisen zu können. Das hat er gemacht. Nach dem Treffen ist er tot zusammengebrochen, erzählt Unger. "Das Sterben ist eine ganz eigene Sache. Die Leute warten auf jemanden, auf eine Entscheidung, ein letztes Glück, dann können sie gehen."

Wenn man es auch wissenschaftlich nicht erfassen kann, so spielt auch das "Loslassen" der Angehörigen eine Rolle. Oft sterben Menschen in dem Moment, in dem die Familie nicht im Raum ist. "Es kann durchaus sein, dass das nicht zufällig so passiert", sagt Watzke. Wichtig ist, dass beide Seiten loslassen können.

Wenn man nichts mehr tun kann

Problematisch sieht es Unger, wenn entgegen jeder Sinnhaftigkeit bis zum Schluss therapiert wird - aus Angst, etwas zu unterlassen. "Vieles geschieht heute aus einer Absicherungsmedizin heraus", so der Experte. Der Satz "Wir können nichts mehr machen" bringt nicht nur Patienten, sondern auch Mediziner an ihre Grenzen. Im Zweifel oder wenn es zu spät für ein Nachfragen ist, muss das Leben ohnehin so lange wie möglich erhalten werden - so sieht es das Gesetz vor. Das sei auch gut so, betonen Unger und Watzke mit Bestimmtheit.

Die Sterbehilfe grundsätzlich ablehnen will Unger zwar nicht, aber man müsse aufpassen, keine Dämme brechen zu lassen. Wie schnell das geht, sehe man in den Niederlanden, wo auch psychisch Kranken und Kindern zum Tod verholfen wird. In Ausnahmen muss man sich dennoch zu helfen wissen, sagt Unger: "Wenn ich sehe, jemand hat massive Schmerzen, gebe ich ihm starke Medikamente, auch wenn ich weiß, dass ich dadurch sein Leben verkürzen könnte." Die bestehende Gesetzgebung will er aber unbedingt berücksichtigen.

Auch Watzke würde am Gesetz nichts ändern. Schließlich gibt es nicht nur die Möglichkeit einer Patientenverfügung, mit der bestimmte medizinische Handlungen im Vorhinein abgelehnt werden können, sondern auch den jederzeitigen Verzicht auf eine Therapie. "Jeder Patient hat das Recht, seine Therapie abzubrechen. Bei Krebs im Endstadium muss man nicht jede Infektion behandeln", so der Palliativmediziner. Durch Therapieverzicht könne man das Leben so auf legale Weise verkürzen. Auf der Station im AKH wird diese Möglichkeit mit jedem Patienten besprochen - für viele sei das Wissen um diese Möglichkeit eine große Erleichterung. Überraschenderweise entscheiden sich die meisten dann doch für die Therapie einer akuten Infektion. Bis zum Schluss.

Status quo der Versorgung

Wie steht es mit der Palliativversorgung in Österreich? Die 291 Einrichtungen, darunter 36 Palliativstationen und neun stationäre Hospize, überwiegend aber mobile Dienste, sind großteils ehrenamtlich organisiert und durch Spenden finanziert. Das Angebot hat sich, laut Watzke, in den letzten Jahren verbessert, allein: "Österreich hat einen hervorragenden bundesweiten Versorgungsplan, er ist aber leider erst sehr unvollständig umgesetzt." Von den bis 2012 geplanten mobilen Palliativteams gibt es erst die Hälfte, von den geplanten Hospizen lediglich ein Fünftel.

Jegliche Diskussion zum Thema Sterbehilfe ist Watzke zufolge "scheinheilig", solange die seit Jahren bestehenden Pläne nicht vollständig umgesetzt wurden. Hospizleiterin Schwarz unterstreicht, dass es in ganz Wien nur 90 Palliativbetten, österreichweit knapp 400 gibt. So viel ist sicher: In einer immer älter werdenden Gesellschaft ist das zu wenig. (Florian Bayer, DER STANDARD, CURE, 19.8.2014)