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Susanne Dagen teilt die Positionen Uwe Tellkamps inhaltlich. Mit ihrem Buchhaus Loschwitz in Dresden ist sie zu einer Schaltstelle der rechten Opposition in Sachsen geworden.

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"Wenn Sie ihm geschrieben hätten, wäre das bei mir gelandet", sagt die Buchhändlerin Susanne Dagen bei der Erwähnung einer schließlich gar nicht gestellten Interviewanfrage an den Schriftsteller Uwe Tellkamp. Der Autor des Bestsellers Der Turm (2008) ist Stammgast im Buchhaus Loschwitz in Dresden und persönlich wie ideologisch mit Susanne Dagen gut befreundet. Vor zwei Wochen bei einer Diskussion über Meinungsfreiheit in Dresden hatte Tellkamp eine Art Coming-out. Mit seiner Behauptung, "über 95 Prozent" der seit 2015 nach Deutschland gekommenen Asylsuchenden wäre es um "Zuwanderung in die Sozialsysteme" gegangen, ließ er eine Gesinnung erkennen, wie sie nur am eher äußeren rechten Rand des Meinungsspektrums vertreten wird. Seither wird diskutiert, was heute in Deutschland als konservativ, als rechts oder gar als rechtsradikal gelten mag.

Tellkamp selbst hat sich nach seinem Auftritt bei einem öffentlichen Gespräch mit Durs Grünbein nicht noch einmal deutlicher erklärt. Allerdings hat er sich noch einmal positioniert. Er hat seine Unterschrift unter eine "Gemeinsame Erklärung" vom 15. März gesetzt, in der behauptet wird, dass "Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür protestieren, dass die Rechtsstaatlichkeit an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird." Tellkamp steht an zweiter Stelle der Unterzeichneten, gefolgt von Thilo Sarrazin.

Schaltstelle der rechten Opposition

Ein Besuch bei Susanne Dagen macht in dieser Situation aus mehreren Gründen Sinn. Man hätte natürlich auch zu Vera Lengsfeld nach Thüringen fahren können, der Ex-DDR-Bürgerrechtlerin, die später für die Grünen im Bundestag war und auf die die "Gemeinsame Erklärung" zurückgeht. Susanne Dagen hat nicht unterschrieben, teilt aber die Position. Mit ihrem Buchhaus in Dresden ist sie zu einer Schaltstelle der rechten Opposition in Sachsen geworden. Sie spricht mit Blick auf die "Gemeinsame Erklärung" von einem "anderen Kreis, es gibt aber Überschneidungen".

Sie selbst hat zur Überschneidung von Kreisen ebenfalls mit einer Erklärung beigetragen, die sie 2017 nach den Tumulten um einen Auftritt von rechten Verlagen auf der Frankfurter Buchmesse verfasst hat. Diese Charta 2017 machte der Empörung über die Zerstörung von Ständen rechter Verlage Luft und reklamierte "Meinungsfreiheit" und "demokratisches Miteinander" auch für rechte Verlage wie Antaios. Der deutsche Börsenverein gab zu verstehen, dass die Genehmigung der Stände nicht so zu verstehen sei, dass man das "Gedankengut gutheißen" würde. Das Publikum wurde eingeladen, "die Begegnung mit den Verlagen nicht zu scheuen". Es kam die Antifa. Unter den Unterzeichneten der Charta schon damals: Uwe Tellkamp.

Begriffliche Manöver

Zwei Begriffe aus der Charta 2017 gehören inzwischen zum Inventar der rechten "Systemkritik": Gesinnungskorridor und Gesinnungsdiktatur. Das steht in einer gewissen Spannung zu der Behauptung von Susanne Dagen: "Von der Linken wird immer mit Begriffen argumentiert, nicht mit Inhalten." Das Bild von der Verengung der Meinungsvielfalt, das bei dem Wort "Korridor" mitschwingt, ist aber eben auch in erster Linie ein begriffliches Manöver. Während man bei der Tellkamp-Behauptung von den "über 95 Prozent" doch recht eindeutig erkennen kann, dass es sich um eine Meinung und nicht um eine Tatsache handelt. Immerhin impliziert Tellkamp damit ja, dass der allergrößte Teil der Asylsuchenden in Deutschland die Behörden über ihre Motive belogen hätten – womit der Schutzgrund entfiele.

"Uwe ist jemand, der nach eigenem Kenntnisstand keine falschen Zahlen verbreitet", versucht Susanne Dagen eine umständliche Rechtfertigung. Und sie lässt erkennen, dass sie dem Anstoß, den Tellkamp mit seiner Formulierung erregt hat, viel Positives abgewinnen kann: "Es hätte gar nicht besser laufen können." Der Fokus auf den kontroversen Satz ("eine hinterfragenswerte Aussage aus einem zweistündigen Gespräch") ist für sie Beleg für den Meinungskorridor.

"Schutzsuchende"? Ein "Systembegriff"

Von dem Ressentiment, das Tellkamp vor allem mit seinem Eingangsstatement in der Diskussion über die Meinungsfreiheit erkennen ließ (eine konfuse Aufzählung von Zitaten), ist bei Dagen wenig zu spüren. "Ich habe das Glück gehabt, eine andere Gesellschaft schon erlebt zu haben. Ich bin diktaturerfahren. Das ist ein großer Erfahrungsschatz", sagt Dagen über die DDR, in der sie aufwuchs. Die wünschenswerte Breite des Gesinnungskorridors benennt sie so: "Ich möchte, dass die Meinungsfreiheit bis an die äußersten Ränder geschützt wird."

Schützenswert sind für Susanne Dagen manchmal auch Anführungszeichen. In einem Zitat, das ihr zur Freigabe vorgelegt wurde, kommt das Wort Schutzsuchende vor. Da ist es ihr ausdrücklich wichtig, dass das als "Systembegriff" deutlich gemacht wird. Dass sie damit das polemische Tellkamp-Zitat noch einmal auf subtile Weise bekräftigt, ist sicher Absicht, und vermutlich freut sie sich heimlich darüber, dass ihr das gelingt, indem sie politisch korrekte Bemühungen um eine angemessene Sprache unter den Vorbehalt von Häkchen setzt. (Bert Rebhandl, 24.3.2018)