Baumaschinen und Bauarbeiter auf einer Baustelle in der Wiener Leopoldstadt.
Nicht nur rund um das Landesgericht für Strafsachen, sondern auch anderswo wird in Wien gebaut. Die Arbeiten in der Praterstraße sollen indirekt zu einer gefährlichen Drohung geführt haben.
STANDARD / Zoidl

Wien – Folgt man dem Angeklagten A., trägt wahrscheinlich Verkehrsstadträtin Ulrike Sima die Schuld daran, dass er vor Richter Christian Gneist sitzt. Oder die Radfahrerinnen und -fahrer. Oder sonst jemand, auf jeden Fall nicht er selbst. Denn er habe in der Nacht vom 5. auf den 6. April einen anderen Verkehrsteilnehmer nicht gefährlich bedroht, beteuert der unbescholtene 33-Jährige.

Es sei auf der Praterstraße in Wien-Leopoldstadt wegen der dort existierenden Baustelle, die unter anderem der Errichtung des "Mega-Radhighway" Richtung Donaustadt diente, zwar zu einer Auseinandersetzung mit einem Autofahrer gekommen, gibt der Taxichauffeur zu. Er gesteht sogar den verbalen Austausch von Unhöflichkeiten zu, während er ein Stanleymesser in der Hand gehalten habe – aber das sei nicht als Drohung gemeint gewesen.

Der Verteidiger schildert im Eröffnungsplädoyer die Version seines Mandanten: Ein anderer Autolenker habe mehrmals durch abruptes Abbremsen im Baustellenbereich versucht, einen Auffahrunfall zu provozieren. Als beide nebeneinander zu stehen kamen, habe A. durch das offene Fenster mit den Worten "Was soll das, du Arschloch?" eine Erklärung für dieses Verhalten eingefordert. "Dabei hat er die Hände hochgerissen, wobei er unglücklicherweise das Stanleymesser, das er zum Selbstschutz im Taxi hat, in einer Hand hatte", erzählt der Rechtsvertreter.

Ungläubiger Richter

"Wollen Sie mir das jetzt wirklich erzählen? Wäre es nicht an der Zeit, ein wenig Verantwortung zu übernehmen?", fragt Richter Gneist daraufhin den Angeklagten etwas ungläubig. Der in der Türkei geborene Österreicher bleibt dabei: Er sei nichtschuldig. Im Gegenteil, er sei sogar bemerkenswert ruhig geblieben, findet er. Denn nach diesem Zwischenfall habe er den Auftrag bekommen, einen Fahrgast in Wien-Ottakring abzuholen, und der Kontrahent habe ihn die ganze Zeit dorthin verfolgt.

Die Verbalinjurie tue ihm auch leid. "Das ist dieser Wutmoment gewesen!", beschreibt er seinen emotionalen Zustand. "Und was machen Sie mit einem Messer in der Hand in einem Wutmoment?", interessiert Gneist. "In dem Wutmoment ist mir das Messer in die Hand geschlüpft", lautet die überraschende Antwort. "Aber ich bin nicht ausgestiegen!", führt der bald dreifache Familienvater zu seiner Verteidigung an.

Der zweite Beteiligte erzählt als Zeuge anderes. Er sei damals nach Dienstschluss kurz nach Mitternacht auf dem Weg nach Hause gewesen. "In der Baustelle ist ein 30er, ich bin vielleicht 25 gefahren", erinnert er sich. "Dann habe ich im Rückspiegel gesehen, dass ein schnelleres Auto kommt und knapp auffährt. Er hat gehupt und mir die Lichthupe gegeben, ich dachte zuerst, etwas ist bei meinem Wagen defekt."

"Komm her, ich schneide dich!"

Am Ende der Baustelle habe ihn das hintere Fahrzeug mit Vollgas rechts überholt und so vor ihm gehalten, dass er blockiert gewesen sei, sagt der 31-Jährige. Er habe das Fenster heruntergekurbelt, um zu fragen, was das Problem sei, A. habe ihn beschimpft. Dann habe der Angeklagte das Messer mit auf sechs Zentimeter ausgefahrener Klinge gezückt, die Tür geöffnet und gerufen: "Komm her, ich schneide dich!", ehe er weiterfuhr.

"Ich hatte große Angst", behauptet der Zeuge. "Ich habe dann ein kurzes Video gemacht und die Polizei angerufen. Die haben gesagt, ich soll ihm nachfahren und sagen, wo wir sind, das habe ich gemacht." Er kann dem Richter den Kurzfilm auf seinem Mobiltelefon auch vorführen. Im Zuseherraum zu hören ist, dass der Jüngere den Taxler durchaus lautstark auffordert, ihm nochmals das Messer zu zeigen, sowie die Tatsache, dass die Männer sich wechselseitig konstatieren, eine Austrittsöffnung des Darmkanals zu sein.

Der Verteidiger hat einen Einwand: Wenn die Klinge des – übrigens nach seinem Erfinder Fredrick Trent Stanley benannte – Cutters ganz ausgefahren gewesen sei, hätte die Waffe aufgrund der zahlreichen Sollbruchstellen der Klinge keine Gefahr mehr dargestellt. "Ich habe selber Stanleymesser", outet der Richter sich als Heimwerkerking und verweist auf seinen Brotberuf. "Hier herinnen verhandeln wir zum Teil über lebensgefährliche Verletzungen durch ein Stanleymesser. Da werden wir keinen Gutachter brauchen", sieht Gneist durchaus eine Gefahr.

Video und Verfolgung

Noch etwas stört den Verteidiger: "Warum haben Sie das Video gemacht?", will er vom Zeugen wissen. "Als Beweis. Damit man sieht, welches Taxi es war!", antwortet der 31-Jährige. "Große Angst können Sie aber nicht gehabt haben, wenn Sie meinem Mandanten noch nachgefahren sind!", sieht der Anwalt die für das Delikt notwendige Voraussetzung von "Furcht und Unruhe" nicht gegeben. "Doch, ich hatte große Angst", entgegnet der Zeuge, der am Ende aber auch klarstellt: "Ich will nicht, dass er große Strafe oder so bekommt. Ich kenne ihn ja nicht einmal."

Während der Staatsanwalt den Strafantrag aufrechterhält und eine schuld- und tatangemessene Strafe fordert, plädiert der Verteidiger auf einen Freispruch. Erstens stehe Aussage gegen Aussage und zweitens habe der Zeuge offenbar keine Angst gehabt. A. selbst sagt in seinem Schlusswort über den Kontrahenten: "Wenn er mich nicht genötigt und gereizt hätte, wäre das nicht passiert. Es waren rechts Parkplätze! Er hätte halten und mich vorbeifahren lassen können!", fühlt er sich ungerecht behandelt.

"Ich habe keine Zweifel, dass es sich so abgespielt hat, wie der Zeuge es erzählt hat", begründet Gneist, warum er den 33-Jährigen zu vier Monaten bedingter Haft verurteilt. "Es ist mitten in der Nacht, und Sie fuchteln mit dem Messer herum, weil er Ihnen zu langsam fährt!", rügt er den Angeklagten. "Ihre Verantwortung ist dagegen schon ein wenig hanebüchen", stellt der Richter klar.

Überraschenderweise verzichtet A. nach kurzer Beratung ebenso wie der Ankläger auf Rechtsmittel, das Urteil ist daher rechtskräftig. "Es ist Gott sei Dank nichts Schlimmes passiert. Wir wären für alles offen gewesen", gibt Gneist zu bedenken, dass man die Angelegenheit auch ohne Vorstrafe, die in der Strafregisterbescheinigung aufscheint, erledigen hätte können. (Michael Möseneder, 3.5.2024)