US-Außenminister Antony Blinken inmitten seiner Amtskollegen aus den arabischen Golfstaaten beim Treffen in Riad.
REUTERS/Evelyn Hockstein

Ein definitives Ende der indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas in Kairo wäre eine Katastrophe für die israelischen Geiseln im Gazastreifen und für die Zivilbevölkerung von Rafah. Regional bedeutete es eine noch größere Eskalationsgefahr. Und die US-Regierung von Joe Biden könnte sich mit dem Zusammenbruch ihres wichtigsten nahostpolitischen Projekts von geostrategischer Bedeutung konfrontiert sehen.

Noch vor wenigen Tagen strahlten US-Außenminister Antony Blinken und sein saudischer Amtskollege Prinz Faisal bin Farhan Al Saud bei einem außerordentlichen Treffen des World Economic Forum Davos in Riad Optimismus aus: "Sehr nahe" seien die USA und Saudi-Arabien einem bilateralen Abkommen. Über einen weitreichenden US-saudischen Sicherheitspakt war schon vor dem 7. Oktober 2023, als der Hamas-Terrorüberfall auf Israel alles veränderte, verhandelt worden. Damals wie heute hing der US-saudische Deal jedoch an zwei Bedingungen: Israel macht Konzessionen den Palästinensern gegenüber, Saudi-Arabien normalisiert die Beziehungen zu Israel.

Video: Israel weist Vorschlag für Feuerpause zurück.
AFP

Strategische Entscheidung

Nach Beginn des Gazakriegs und trotz der Kritik an der israelischen Kriegsführung ist für das Regime in Saudi-Arabien dieser Plan nicht vom Tisch. Die Normalisierung mit Israel sei eine prinzipielle strategische Entscheidung, an der Kronprinz Mohammed bin Salman festhalte, heißt es. Gleichzeitig sind jedoch die Forderungen an Israel gestiegen: Riad verlangt nun von Jerusalem, dass es ernsthafte Verpflichtungen für eine Zweistaatenlösung mit den Palästinensern eingeht. Mit der Rafah-Offensive würde so ein Szenario in noch weitere Ferne rücken. Schon vor den aktuellen Entwicklungen soll das Treffen, das Blinken von Saudi-Arabien kommend mit Israels Premier Netanjahu hatte, nicht gut verlaufen sein.

Manche Beobachter wollen aus der Betonung der "Bilateralität" durch Blinken und Prinz Faisal jedoch ablesen, dass Washington und Riad eine abgespeckte Variante einer Übereinkunft verfolgen könnten. Inhaltlich gibt es nur vage Informationen, lediglich Grundpfeiler sind bekannt.

Für Saudi-Arabien ginge es zuallererst um US-Sicherheitsgarantien: Die Rede ist laut Al-Monitor von einem Verteidigungspakt, der nicht so stark wie jener mit Japan von 1960 ausfallen würde, aber wesentlich mehr beinhalten würde als das, was ein "Non-Nato Major Ally" (NNMA) bekommt. Dem Emirat Katar wurde der NNMA-Sonderstatus für US-Militärverbündete 2021 verliehen. Das war ein böses Erwachen für die Saudis: Die nach dem Überfall des Irak auf Kuwait 1990 in Saudi-Arabien stationierten US-Truppen mussten nach dem Golfkrieg 2003 – der US-geführten Invasion im Irak – das Königreich verlassen. Seitdem hat sich Katar mit der US-Militärbasis Al Udeid zum wichtigsten Gastgeber von US-Truppen im Nahen Osten entwickelt.

Saudisches Atomprogramm

Als Teil der US-Konzessionen an Saudi-Arabien wird weiters ein besserer Zugang zu US-amerikanischer KI-Technologie genannt – sowie Assistenz beim Aufbau eines zivilen saudischen Atomprogramms. Dieses würde offenbar den gesamten nuklearen Brennstoffkreislauf umfassen, also auch ein Urananreicherungsprogramm. Das wäre die größte Kröte, die Israel schlucken müsste, um die offizielle Anerkennung durch Saudi-Arabien zu erreichen.

Was die USA von Saudi-Arabien bekämen, wäre – abgesehen von der Nahostschiene – von geostrategischem Wert: Eine derartig substanzielle Annäherung käme einem Ausbremsen Chinas gleich. In den vergangenen Jahren hat sich Saudi-Arabien sehr sichtbar alle außenpolitischen Optionen offengelassen: Trotz des Überfalls auf die Ukraine wurden die Beziehungen zu Russland ausgebaut. Und die Saudis vergönnten China den spektakulären diplomatischen Erfolg, die Normalisierung der Beziehungen Riads mit – ausgerechnet – dem Iran zu vermitteln.

Biden, dessen Beziehungen zum saudischen Kronprinzen wegen des Mordes an dem Journalisten Jamal Khashoggi zu Beginn seiner Amtszeit im Keller waren, hat den großen Preis, den die USA für ihren Rückzug aus dem Nahen Osten bezahlen, inzwischen erkannt. Für Saudi-Arabien stellt sich aber auch die Frage, ob es einen potenziellen nächsten Präsidenten Donald Trump verärgern will, indem es mit Biden abschließt – oder aber die Demokraten, falls Biden die Wahl gewinnt.

Probleme im Kongress

Der Kongress müsste bei manchen Entscheidungen eingebunden werden, und die Demokraten könnten im Senat Schwierigkeiten machen. Die Republikaner wiederum würden womöglich ihre Zustimmung für einen schlankeren Deal – einen ohne saudische Normalisierung mit Israel – verweigern. Zumindest müsste Saudi-Arabien dann etwas anderes liefern, etwa eine noch deutlichere Abgrenzung von China.

Der Führung in Saudi-Arabien ist bewusst, dass mit Trump nicht die goldenen Zeiten anbrechen. Sie stand zwar Barack Obama, dessen Vize Biden war, wegen seiner Nahostpolitik geradezu feindselig gegenüber: Obama hatte 2011 den Arabischen Frühling unterstützt und 2015 mit dem Iran den Atomdeal abgeschlossen. Als die Saudis jedoch 2017 Katar wegen seiner Muslimbrüder-freundlichen Politik mit einem Boykott belegten und 2019 von den jemenitischen Huthis und anderen Iran-affiliierten Milizen angegriffen wurden, eilte ihnen Trump keineswegs prompt zu Hilfe. Das bedeutete eine Wende in der saudischen Sicherheitspolitik.

Dass die jüngsten US-saudischen Gespräche ernst zu nehmen waren, zeigten die Reaktionen in Teheran. Dort warnte Religionsführer Ali Khamenei die saudische Führung vor dem Zorn des Volkes. Auch für die Hamas wäre das Ende der US-saudischen Verhandlungen ein Geschenk. Ihre Eskalation am 7. Oktober war unter anderem von den längerfristigen Normalisierungserfolgen Israels in der Region – den Abraham Accords mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko von 2020 – getrieben. Die Verschlechterung der israelisch-arabischen Beziehungen und die Rückkehr der Palästinenserfrage waren ihr schrecklicher "Erfolg". (Gudrun Harrer, 7.5.2024)