Michael Verhoeven wechselte in den 1960ern vom Schauspiel zur Regie.
Michael Verhoeven wechselte in den 1960ern vom Schauspiel zur Regie.
APA/dpa/Ursula Düren

Die Berlinale war der Schicksalsort des deutschen Filmregisseurs Michael Verhoeven. Dort begegnete er 1960 der österreichischen Schauspielerin Senta Berger, die er 1966 heiratete. Das Paar gründete nicht nur eine Familie – ihre Söhne Simon und Luca Verhoeven sind beide in der Filmbranche tätig –, sondern auch die Filmproduktion Sentana, die in den 1980er-Jahren für zentrale Meilensteine der deutschen Filmgeschichte verantwortlich zeichnete.

Fixes Motiv des Filmschaffens von Michael Verhoeven war stets die Kritik an Krieg und Nationalsozialismus, davon zeugen seine größten Erfolge Die weiße Rose (1982) und Das schreckliche Mädchen (1990). Grund dafür war nicht nur die deutsche Geschichte an sich, sondern auch Verhoevens darin verstrickter Vater: Paul Verhoeven war einer jener Regisseure, die unter Goebbels ihre Kinokarriere begannen – wenn auch im Unterhaltungssektor der Ufa. In der Nachkriegszeit fielen seine Filme in die Sparte, die später von Vertretern des Neuen Deutschen Films als "Papas Kino" diffamiert wurde. Von Sohn Michael, 1938 geboren, wurde Paul Verhoeven als Übervater empfunden, wohl auch, weil er bis weit in den 1960er-Jahre wichtige Posten in der Filmbranche innehatte.

Ausbruch aus der Schauspielerfamilie

Als Spross einer NS-belasteten Filmfamilie sah Michael Verhoeven die Möglichkeit des Ausbruchs zuerst in einem Berufsfeldwechsel. Er studierte Medizin und promovierte 1969 sogar zur "psychiatrischen Maskierung von Gehirntumoren". Nebenher arbeitete er aber stets als Schauspieler und auch die Sentana-Filmproduktion hatte er 1965 bereits gegründet. Sein erster Spielfilm Paarungen war eine Strindberg-Adaption, in der er seinen Vater als Schauspieler besetzte. Eine kreative Umkehrung der familiären Machtverhältnisse.

Das Power-Couple des deutschen Films: Senta Berger und Michael Verhoeven 1974.
Das Power-Couple des deutschen Films: Senta Berger und Michael Verhoeven 1974.
APA/dpa/Georg Göbel

Verhoeven drehte auch Auftrags-Filmkomödien im flapsig-hippen Stil der Münchner Schule mit Namen wie Engelchen macht weiter – hoppe, hoppe Reiter (1968) oder Der Bettenstudent (1969). Eine mögliche Erklärung dafür, warum er, der noch dazu eine eigene Produktionsfirma hatte, nie wirklich zum Vertreter des Neuen Deutschen Films gezählt wurde.

Dann kam mit o.k. (1970) der zweite Schicksalsschlag, der sich auf der Berlinale ereignete. Denn dort spaltete der experimentelle Anti-Vietnam-Film, der die Verschleppung und Vergewaltigung einer Vietnamesin (gespielt von Eva Mattes) in den Bayerischen Wald verlegte, die Gemüter. Der amerikanische Jurypräsident George Stevens protestierte, die Filmvorführung wurde abgebrochen. 1989 griff Brian De Palma den Stoff unter dem Titel Casualties of War wieder auf.

Aufarbeitung des Nationalsozialismus

Michael Verhoeven drehte viel, und er war nicht zu wählerisch. TV-Produktionen und Kinofilme wechselten sich ab. Senta Berger besetzte er erstmals 1970 in der Dreiecks-Liebesgeschichte Wer im Glashaus liebt ... Der Graben. Aufgrund von Erregung öffentlichen Ärgernisses wegen Nacktheit wurden der Hauptdarsteller Hartmut Becker und Verhoeven kurzzeitig festgenommen, und auch auf der Berlinale wurde der Film als zu obszön wahrgenommen. Die populärste Zusammenarbeit des Ehepaares kam viel später, mit der ZDF-Serie Die schnelle Gerdi (1988), in der Berger eine Münchner Taxifahrerin verkörperte.

Der Kinofilm Die weiße Rose aus dem Jahr 1982 thematisiert die Widerstandsgruppe rund um Sophie Scholl, deren Todesurteile zum Zeitpunkt des Erscheinens des Films noch rechtsgültig waren. Dieser Hinweis im Filmabspann führte zu Debatten rund um die Justizurteile während des Nationalsozialismus und deren Fortleben in der Bundesrepublik. Die Schauspielerin Lena Stolze verkörperte ein paar Jahre nach der Widerstandskämpferin Sophie Scholl auch eine kleinstädtische Aufrührerin in Das schreckliche Mädchen (1990). Die auf realen Tatsachen basierende Geschichte über eine niederbayerische Schülerin, die in ihrer Klassenarbeit die Nazi-Verbrechen der Stadt aufdeckt, wurde mit dem Silbernen Bären auf der Berlinale und sogar mit einer Oscar-Nominierung bedacht.

Das schreckliche Mädchen ≣ 1990 ≣ Trailer
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Auch in späteren Jahren ließen Verhoeven die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht los, wovon seine Dokumentarfilme Der unbekannte Soldat von 2006 und Menschliches Versagen von 2008 zeugen. Darin werden die Verbrechen der Mitläufer – der Wehrmacht und der Zivilbevölkerung – thematisiert. Für seinen "beständigen Einsatz gegen den Nationalsozialismus" erhielt er den Achievement Award des Jüdischen Filmfestivals in Jerusalem.

Nun ist Michael Verhoeven im Münchner Vorort Grünwald verstorben. Er wurde 85 Jahre alt. (Valerie Dirk, 26.4.2024)