Am 27. April findet in Wien zum vierten Mal der Secondhandmarkt Curvect statt.
Getty Images/iStockphoto

Im Juni 2022 veranstaltete Bobby Hermann-Thurner ihren Secondhandmarkt Curvect zum ersten Mal, mittlerweile geht die Veranstaltung in die vierte Runde. Der Markt ist etwas Besonderes, denn allzu oft gibt es solche speziell auf größere Größen zugeschnittene Secondhand-Events nicht. In Europa sei das Konzept noch ausbaufähig, meint Hermann-Thurner. Grund genug, sich mit der Veranstalterin über Mode für größere Größen zu unterhalten.

STANDARD: Wieso braucht es einen eigenen Secondhandmarkt für größere Größen?

Herrmann-Thurner: Es gäbe sonst nichts für uns. Die Veranstaltung ist einerseits aus einem Nachhaltigkeitsgedanken heraus entstanden, aber auch, weil es zu wenig stationäres (Secondhand-)Angebot für mehrgewichtige Menschen gibt. Wir werden als Zielgruppe kaum angesprochen. Es gibt einen Bedarf, aber der wird nicht gedeckt. Die Veranstaltung bietet auch die Möglichkeit, sich auszutauschen und zu vernetzen. Sie soll ein Safe Space für mehrgewichtige Menschen sein, die sich im Alltag in Boutiquen nicht gut aufgehoben fühlen. Ich weiß, wie das ist, mit einem dicken Körper einzukaufen. Viele von uns shoppen online. Ich will eine Möglichkeit bieten, Kleidung einkaufen zu können, die wir im stationären Handel sonst nicht finden.

STANDARD: Was ist bei Ihrem Secondhandmarkt anders?

Herrmann-Thurner: Es geht los mit Kleidergröße 46. Nach oben hin sind keine Grenzen gesetzt. Die Veranstaltung soll größentechnisch so inklusiv wie möglich sein. Außerdem gibt es bei uns kein Bodyshaming, keinen Diet-Talk, keine "Wenn wir doch anders aussehen würden"-Gespräche. Jeder Mensch ist gut, wie er ist.

STANDARD: Warum mangelt es auf anderen Flohmärkten oder in Secondhandstores an größeren Größen?

Hermann-Thurner: Das ist einerseits historisch bedingt. Ein Kostüm aus den Sechzigerjahren in der Kleidergröße 54 zu finden, ist schwierig, weil die Konfektion damals noch nicht so weit war. Es wurde viel selbstgenäht. Die Auswahl war insgesamt kleiner. In den Neunzigerjahren war ich froh, wenn es Plus-Size-Mode gab, die nicht aussah, als stamme sie von meiner Uroma. In den letzten Jahren ist das Angebot auch dank inklusiver Onlineshops größer geworden. Andererseits müssen Secondhandstores den größeren Größen auch Platz einräumen. In Wien gibt es beispielsweise im zweiten Bezirk die Boutique Pampelmuse, die sich auf Secondhandmode diverser Größen spezialisiert hat.

Plus Size Flohmarkt Wien Curvect
Die Politikwissenschafterin Bobby Herrmann-Thurner gründete 2015 "Curvect – Österreichs erstes Plus-Size-Blogazine". Sie veranstaltet in Wien einen Secondhandmarkt für Plus-Size.
Ursula Schmitz

STANDARD: Ihnen ist es ein Anliegen, Mehrgewichtige in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen. Inwieweit sind sie zu wenig sichtbar?

Hermann-Thurner: Sie sind zu wenig positiv sichtbar. In negativen Zusammenhängen sind dicke Menschen zuhauf sichtbar, dazu muss man nur den Fernseher einschalten. In den Medien werden dicke Menschen auch immer wieder ohne Kopf dargestellt. "Headless Fatty" nennt sich diese entmenschlichte Darstellung. Positive Vorbilder, erfolgreiche Role-Models, gibt es hingegen viel zu wenige. Es ist ein bisschen so, als dürfte es sie nicht geben. Wenn Mehrgewichtige zu positiv dargestellt werden, wird einem vorgeworfen, man behaupte, dass es okay sei, mehrgewichtig zu sein. Glücklicherweise hat sich online eine große mehrgewichtige Community gebildet. Ich möchte diese Community auch auf die Straße holen.

STANDARD: Es gibt immerhin einige mehrgewichtige Influencerinnen ...

Hermann-Thurner: Genau, ich habe auch mit einem Blog begonnen. Aber sobald man das Smartphone zur Seite legt, hilft die Online-Community nur bedingt, man ist auf sich allein gestellt.

STANDARD: Models mit größeren Größen wie Ashley Graham oder Paloma Elsesser sind in den vergangenen Jahren zu Stars geworden, sie landeten auf den Titeln der Vogue. Hat deren Sichtbarkeit das Angebot der Stores und Marken verändert?

Hermann-Thurner: Nein. Vor zehn Jahren, als ich gerade im Rahmen der Berlin Fashion Week die damals neue Messe Curvy is Sexy besucht habe, wäre meine Antwort noch anders ausgefallen. Damals habe ich daran geglaubt, dass die Industrie sich verändert hat. Doch die wunderbaren Frauen auf den Magazintiteln sind Einzelfälle. Selbst die Vogue hat nach der letzten Fashion-Week in einem Artikel festgestellt, dass es wieder weniger Plus-Size auf den Laufstegen gibt. Seit Covid wird das Engagement zurückgefahren, auch in den Onlineshops sind dicke Models seltener zu sehen. Eine Ashley Graham ist gut gebucht, ihr Erfolg spiegelt sich aber nicht in der Mode oder der Lebensrealität Mehrgewichtiger wider. Im Gegenteil, viele Marken haben ihre Plus-Size-Bereiche in den Geschäften online ausgelagert. Gerechtfertigt wird das oft mit Platzgründen.

STANDARD: Grenzen Modefirmen dicke Menschen bewusst aus?

Hermann-Thurner: Es gibt Ausnahmen, aber ja. Ich kann mir nicht erklären, warum es heißt, dass Plus-Size-Mode im Vormarsch sei, es aber kein Angebot für uns gibt. Das mag für so manches Unternehmen auch eine Imagefrage sein. Man will nicht mit dicken Menschen in Verbindung gebracht werden. Um es kapitalistisch auszudrücken: Die Modeindustrie nimmt uns nicht als Wirtschaftsfaktor wahr – nur die Diätindustrie hat uns entdeckt.

STANDARD: War das dünne Ideal trotz aller Body-Positivity-Bekenntnisse der Unternehmen nie weg?

Hermann-Thurner: Das Ideal gab es immer. Auch in jener Zeit, in der Plus-Size im Vormarsch war. Aber eine gewisse Zeitlang gab es mehr Bekenntnisse zu Diversität und ein Verständnis für die Unterschiedlichkeit von Körpern. Unternehmen wie Dove oder Gilette beispielsweise warben mit Plus-Size-Models. Solange die Proportionen gepasst haben, waren mehrgewichtige Körper okay. Hinsichtlich Fat-Acceptance hat sich nie grundlegend etwas geändert.

STANDARD: Auch dicke Männer sind in der Mode noch weniger präsent …

Hermann-Thurner: Einerseits gibt es in der Modeindustrie nicht besonders viele Vorbilder und sehr wenig Angebot in den Geschäften. Andererseits ist ein "gestandener Mann mit einem Bauch" in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so ein Problem wie eine Frau mit einem Bauch.

STANDARD: Ab welchen Größen wird der Einkauf für Frauen schwierig?

Hermann-Thurner: Ab Kleidergröße 46, bei Hochzeitskleidern kann aber schon die Suche nach einer 44 problematisch sein. Die Größen 52 oder 54 sind im stationären Handel nur in spezialisierten Geschäften zu finden. Online gibt es einige Anbieter, die bis Größe 54 oder 56 liefern. Alles darüber ist eine Herausforderung. Bei kleinen Labels wäre es utopisch zu erwarten, die ganze Range an Größen anzubieten. Aber ich glaube, es gäbe Potenzial. Es mangelt an Wissen, große Schnitte gut umzusetzen, oder Modellen, nach denen auf Bedarf produziert wird.

STANDARD: Müssen mehrgewichtige Menschen mehr Geld für Mode hinlegen?

Hermann-Thurner: Viele bemühen sich, größere Größen zum gleichen Preis anzubieten, aber tendenziell ja. Es kann sein, dass eine Kleidergröße 52 teurer ist als eine Kleidergröße 44. (Anne Feldkamp, 24.4.2024)