Die ehemalige französische Außenministerin Catherine Colonna.
Die ehemalige französische Außenministerin Catherine Colonna stellte am Montag ihren Bericht vor.
REUTERS/Sarah Meyssonnier

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) steht im Kreuzfeuer der Kritik. Israels Regierung beschuldigt die UNRWA der Komplizenschaft mit der Terrororganisation Hamas, die mit ihrem Überfall auf den jüdischen Staat am 7. Oktober 2023 den aktuellen Nahostkrieg entfesselte. UNRWA-Mitarbeiter sollen sich laut Israel sogar an dem Angriff beteiligt haben. Am Montag präsentierten die frühere französische Außenministerin Catherine Colonna und ihre Kommission in New York einen Untersuchungsbericht über das wichtigste Hilfswerk für Palästinenser.

Nach Colonnas Erkenntnissen hat Israel bisher seine Terrorismusvorwürfe nicht erhärtet. "Israel hat öffentlich behauptet, dass eine beträchtliche Anzahl von UNRWA-Mitarbeitern Mitglieder terroristischer Organisationen sind", heißt es in dem Colonna-Report. "Israel hat jedoch noch Beweise für diese Behauptung zu erbringen." Zudem hält der Report fest: Die UNRWA habe Israel regelmäßig Listen seiner Mitarbeiter zur Überprüfung vorgelegt. "Seit 2011 hat die israelische Regierung dem UNRWA keine Bedenken in Bezug auf UNRWA-Bedienstete mitgeteilt, die auf diesen Personallisten stehen", heißt es in dem Dokument.

Allerdings untersuchte die Colonna-Kommission nicht selbst, ob UNRWA-Angestellte in terroristische Aktivitäten verstrickt sind. Das UN-Büro für interne Aufsichtsdienste (OIOS) ermittelt in dieser Sache. UN-Generalsekretär António Guterres hatte nach Bekanntwerden der Terrorismusvorwürfe die Ex-Außenministerin beauftragt, die UNRWA "unabhängig" zu durchleuchten.

"Problematische" Inhalte

Colonna begann Mitte Februar mit der Durchleuchtung. Ihre Kommission soll zumal bewerten, ob die UNRWA "alles in ihrer Macht Stehende tut, um die Neutralität zu gewährleisten". Neutralität gehört zu den zentralen Prinzipien humanitärer Arbeit. Zwar verfüge die UNRWA über einen weiter entwickelten Ansatz hinsichtlich der Neutralität als ähnliche UN- oder Hilfsorganisationen, schreibt die Kommission. Sie unterbreitete aber Vorschläge, wie das Werk seine Neutralität "sofort" verbessern könnte.

In folgenden Bereichen bestehe Handlungsbedarf: Zusammenarbeit mit den Gebern, Management, Neutralität der Mitarbeiter, der Einrichtungen und Personalvertretungen. Die Kommission kritisierte auch, dass Bücher mit "problematischen", also antiisraelischen, Inhalten in einigen UNRWA-Schulen verwendet werden. UN-Generalsekretär António Guterres versprach, nachdem er den Bericht empfangen hatte, die Colonna-Empfehlungen umzusetzen.

Das UNRWA begrüßte die Ergebnisse des Berichts und sagte zu, die Empfehlungen umzusetzen. "Die Wahrung der Neutralität ist von zentraler Bedeutung für unsere Fähigkeit, weiterhin Leben zu retten und zur menschlichen Entwicklung der Flüchtlinge im Gazastreifen beizutragen", sagte UNRWA-Chef Philippe Lazzarini.

Ausbleibende Gelder

Auch Nahostkenner wie Joost Hiltermann von der International Crisis Group weisen die Vorwürfe der Israelis zurück, laut denen die UNRWA eine Komplizenschaft mit der Hamas eingegangen sei. "Es ist eine einfache Anschuldigung, von der Israel weiß, dass viele im Westen sie ohne Wenn und Aber schlucken werden."

Die Terrorismusvorwürfe stürzten die UNRWA in ihre größte Krise. Geberstaaten setzten die Zahlungen frischer Gelder aus, darunter die USA und Deutschland. Die USA zahlten 2022 rund 344 Millionen US-Dollar, Deutschland überwies 202 Millionen Dollar. Die beiden wichtigsten Geber leisteten somit fast die Hälfte aller Zahlungen von insgesamt 1,17 Milliarden Dollar. Inzwischen haben verschiedene Länder die Zahlungen wieder aufgenommen.

Millionen palästinensische Kinder, Frauen und Männer brauchen die UNRWA zum Überleben. Die darbende Bevölkerung im umkämpften Gazastreifen wäre ohne die Lebensmittelhilfe der UNRWA in einer noch schlimmeren Lage. Die UNRWA mit rund 30.000 Mitarbeitern betrieb vor Ausbruch des Nahostkrieges in der Region mehr als 700 Schulen. Daneben bietet das Werk medizinische Versorgung und Sozialdienste an, verbessert die Infrastruktur und regelt sogar die Müllabfuhr. Allerdings werden die Rufe nach einem UNRWA-Neuanfang immer lauter. Vor allem große Geberstaaten pochen auf tiefgreifende Reformen des schwerfälligen UNRWA-Apparats und auf eine klare Distanz zu Extremisten. (Jan Dirk Herbermann, 22.4.2024)