Vienna City Marathon Teilnehmer Läuferinnen Läufer
Auf die Plätze, fertig, los. Für das Elitefeld gilt: Brutto-Zeit ist gleich Netto-Zeit. Die Plebs hingegen muss nach dem Startsignal lange warten, bis sie die Startlinie überqueren kann. Da kommt zum Netto noch einiges dazu.
APA/EVA MANHART

Wien – Erst vor einem knappen Monat haben wir an der Uhr gedreht, und jetzt stellen sie schon wieder die Zeit um. Auf den Gedanken konnte kommen, wer sich nach dem 41. Vienna City Marathon auf der VCM-Homepage oder über die App die offiziellen Ergebnislisten vor Augen führte. Diese sehen nämlich ganz anders aus als in den Jahren zuvor. "Official Place" steht da in der Spalte ganz links, offizielle Platzierung also, und in der Spalte ganz rechts steht die Zeit, die dafür herangezogen wird. Doch anders als in den Vorjahren trägt die rechte Spalte plötzlich nicht mehr die Überschrift "Chip Time", sondern die Überschrift "Official Time". Das soll heißen: Hier steht die Zeit, die vom Startsignal weg verstrichen ist, bis der jeweilige Teilnehmer oder die Teilnehmerin die Ziellinie überquert hat.

Das Problem: Vom Startsignal bis zum Überqueren der Startlinie können viele, viele, viele Minuten vergehen. Und genau das wird im offiziellen Resultat nicht mehr berücksichtigt, Chip hin, Chip her. Von 1998 an, weiter reichen die Online-Ergebnislisten nicht zurück, bis einschließlich 2023 hatte die Chip-Time fürs offizielle Resultat gegolten. Da ergab sich die Reihung daraus, wer tatsächlich wie lange für die exakt 42,195 Kilometer benötigt hatte. Die Wartezeit bis zum Überqueren der Startlinie wurde also quasi ausgeklammert, der Chip ist schließlich in der Lage, die Netto-Zeit zwischen Start- und Ziellinie exakt zu messen. Das wurde insofern als fair empfunden, als sich mancheine(r) nach dem Startsignal auf der Wagramer Straße viele Minuten lang die Füße in den Bauch stand und steht, ehe sich der Tross in Bewegung setzt. Und bis zur Startlinie kann es sowieso noch ein gutes Stück Weg sein.

Netto bleibt weniger übrig

Nicht wenige Teilnehmer reagierten noch am Sonntag überrascht bis verärgert auf die "Zeitumstellung". Schließlich ist nun nicht mehr auf den ersten Blick zu erkennen, am wievielt schnellsten man den Marathon (oder auch den Halbmarathon) tatsächlich absolviert hat – sondern erst auf den zweiten Blick. Denn Spalten mit "Chip Time" und "Chip Place" werden durchaus noch geführt, aber hochoffiziell zählt die Chip-Time jetzt halt elf. Und da fühlte sich der eine oder die andere vor den Kopf gestoßen, weil er oder sie im Klassement den einen oder anderen Platz eingebüßt hatten. Andere hatten im offiziellen Resultat gegenüber dem Chip-Time-Ranking manchmal sogar hunderte Plätze "gutgemacht". Dem STANDARD liegt die Urkunde einer Frau vor, die zwischen Rang 500 und 600 gewertet wurde, deren Echtzeit aber nur einen Platz um 900 bedeutet hätte.

Sorgen haben die Leute, könnte man vielleicht festzuhalten versucht sein. Andererseits ist Menschen, die sich laufend 42 oder auch nur 21 Kilometer antun, nicht vorzuwerfen, dass sie einen gewissen Ehrgeiz an den Tag legen. Und in einer Altersklassenwertung, nur zum Beispiel, können ein paar Bruttominuten mehr schon bedingen, dass ein (theoretisch) einstelliges Nettoresultat zu einem offiziell zweistelligen wird. Oder ein zweistelliges zu einem dreistelligen.

"Wofür dann der Chip?"

Wieso werde ich bestraft, wenn ich am Start brav weiter hinten stehe? Wofür brauche ich dann überhaupt einen Chip? – Fragen wie diese waren es, die nach dem 41. VCM flott die Runde machten. Auf STANDARD-Anfrage haben die Veranstalter die Zeitumstellung bestätigt und zu begründen versucht. Man halte sich, hieß es, an eine Vorgabe des Weltverbands (World Athletics, kurz WA), der zufolge die offizielle Zeit fürs Ranking heranzuziehen sei. Nach dem Motto: Ein Rennen ist ein Rennen ist ein Rennen. Wer als Erster ins Ziel kommt, hat gewonnen, und wer als 125. ins Ziel kommt, hat den 125. Platz belegt. Das gilt für den 4217. Platz nicht minder, das gilt nämlich bis zum allerletzten Platz.

Früher habe nur für die Elite bei Männern wie Frauen eine gemeinsame Startzeit gegolten. Doch dadurch habe man in den Resultaten immer "irgendwo einen Cut ziehen müssen, der nie ganz sauber sein konnte", sagen die VCM-Veranstalter, die sich nebstbei über 37.633 Finisher in den diversen Bewerben freuten, davon allein 7455 im Marathon am Sonntag. An die WA-Vorgabe zum Ranking würden sich im Übrigen auch die meisten anderen Marathon- und Halbmarathonläufe mittlerweile halten.

Theorie, Praxis, Zählweisen

Die VCM-Organisatoren führen noch ein weiteres Argument ins Treffen. Weil wir schon bei den Altersklassenwertungen waren: Da könnte einer, der als Erster ins Ziel läuft, noch um den Sieg umfallen, so zwei Minuten später ein anderer daherkomme, der drei Minuten später gestartet sei. Oder einer geht genau zehn Sekunden hinter seinem großen Gegner ins Rennen und trabt ihm dann immer unauffällig hinterher bis ins Ziel, das er dann aber nur fünf Sekunden später erreicht. Dann hätte er nach alter Zählweise noch den Sieg davongetragen. Nach neuer Zählweise müsste er den Gegner überholen und vor ihm ins Ziel laufen. Hat doch auch etwas für sich. (Fritz Neumann, 22.4.2024)