Daveed Diggs gibt nicht nur mit seinem Hip-Hop-Trio Clipping. den Prediger und Aktivisten. Diesbezüglich ist er auch als Schauspieler in Serien wie
Daveed Diggs gibt nicht nur mit seinem Hip-Hop-Trio Clipping. den Prediger und Aktivisten. Diesbezüglich ist er auch als Schauspieler in Serien wie "Extrapolations" und "Snowpiercer" unterwegs.
David Visnjic

Daveed Diggs hat als Sänger des Broadway-Musicals Hamilton einen Tony und einen Grammy zu Hause stehen. Man kennt ihn sonst möglicherweise als Schauspieler aus der umstrittenen Realverfilmung von Arielle, die Meerjungfrau oder aus den Serien Snowpiercer und Extrapolations. Beide Serien funktionieren als Geschichten, in denen die Welt längst im Eis untergegangen ist, beziehungsweise dank Klimawandel unterzugehen droht. Mit seinem kalifornischen Trio Clipping. sorgte Diggs am ersten Wochenende des Donaufestivals in Krems nun dafür, dass das Publikum im Stadtsaal ordentlich in die Magengrube geboxt bekam. Auch textlich setzten Clipping. zu nervös im Hintergrund flimmernden Schwarzweiß- Bildstörungsvideos mit galliger Sozialkritik auf Überlastung. Brutale Hip-Hop-Beats aus der weniger beachteten harschen Industrial- und Noise-Abteilung verschränkten sich mit bohrenden und fräsenden Synthesizern.

Dazu wurden, von Daveed Diggs in atemberaubendem Tempo rappend, dystopische Wuchteln aus den Alben There Existed an Addiction to Blood oder Visions of Bodies Being Burned serviert. Mit dem späten Gast, der großartigen Sängerin Sharon Udoh, bekam die Apokalypse schließlich noch einen positiven hymnischen Aspekt, der etwa die harsche Strenge von Laibach mit Nina Simone verschränkte. Love is still alive: Sollten einst die Aliens auf die Erde kommen, werden wir ihnen einen von Menschen vollkommen gesäuberten Planeten hinterlassen.

Ganz ohne ich

Auf dem ist es egal, wenn einmal ein Raumschiff in den Ruinen eines Stadtzentrums landet und dabei drei oder vier Häuserblocks wegräumt. Will Smith als meistgebuchter Afroamerikaner in von Weißen produzierten Science-Fiction-Filmen aus Hollywood ist dann auch weg. Da Science Fiction immer auch die Gegenwart abbildet, muss man sich selbst im liberalen Hollywood immer wieder auch Sorgen machen, wenn selbst noch die Zukunft rein "weiß" gesehen wird. Daveed Diggs ist übrigens ein Mann, der in seinen Texten das Wort "Ich" bewusst verweigert.

Clipping. waren kathartische Höhepunkt des Festivals, das heuer unter dem Motto "Community of Aliens" steht und gute alte Themen wie die Entfremdung und die utopischen Möglichkeiten untersucht, über dieses Gefühl auch eine, wenn es denn sein muss, interplanetarische Gemeinschaft herzustellen. Es gilt, Transformationspotenziale zu erkunden, die produktiv mit "tyrannischen Formen" des "Othering" und diversen Ismen im Zusammenhang mit "Rasse", "Sex" oder "Kapitalismus" umgehen. Nun gut.

Schweißen und bohren

Tief in der Welt streng normierter industrieller Produktionsabläufe und Arbeitswelten suchte die Britin Eve Stainton in ihrem Stück Impact Driver nach Möglichkeiten, in all dem trostlosen Dasein als Robotniks am Fließband durch den verzweifelten Versuch zu entkommen, Gemeinschaft und Solidarität herzustellen. Während die mit einem Oscar nominierte Filmkomponistin Mica Levi (The Zone of Interest, Under The Skin, Jackie) gemeinsam mit einem zweiten Gitarristen recht zurückhaltend ihr Instrument würgte und es pfeifen und brummen ließ, wurde in einer nachgebauten Werkstatt auf dem Messegelände, der streng reglementierten japanischen Kaizen-Methode folgend, geschweißt und gebohrt.

Die so entstandenen groben eckigen Stahlteile fügte man zu schweren Ketten zusammen. Die sich miteinander verschränkenden Performer stellten diese, sich wälzend und mit nacktem Ärschlein zwischen Anspannung und Entspannung verbiegend, doch etwas länglich nach. Sie versuchten gleichzeitig, dem Zwang der Kette zu entkommen. Zeit ist in der Arbeitswelt ein wertvolles Gut. Eine Stunde kann da auch weit länger als 60 Minuten dauern.

Eve Staintons Performance
Eve Staintons Performance "Impact Driver": Wo geschweißt wird, wird auch gerangelt.
David Visnjic

Ruhe konnte man in der Installation Zvon/Glocke des slowakischen Künstlers Jon´as Gruska im Minoritenkloster finden. Glocken machen im Wind Geräusche, auch ohne dass sie geläutet werden. Sie erzählen sich Geschichten von den Menschen, dem Krieg, dem Frieden und dem ewigen Kreislauf der Vergeblichkeit. Eine Erholung vom ständigen Gewusel und Gedröhne des Donaufestivals, das wie seit Jahren keinerlei Rückzugsmöglichkeiten bietet.

"Ich, ich und ich!"

Bevor die norwegische Künstlerin Jenny Hval unter Zufügung eines in den Stadtsaal geblasenen wohlriechenden Duftwassers aus der Stuhlkreis-Selbsthilfegruppe eine enervierende musikalisch-theatralische Lecture zu den Themen "Ich, einfach unwiderstehlich", "Ich und die Schlechtigkeit der Welt" oder auch "Ich, ich und ich" gab, erlebte man in der Minoritenkirche eine Offenbarung.

Der in New York lebende Keniate Ian Mugerwa alias Dawuna produziert eine mit Laptop, Gitarre und im Gesangsmikrofon entstehende alieneske Form zu Herzen gehender, ruckelnder und bockender, knuspernder und knisternder R'n'B-Musik. Sie geht einmal in Richtung Gospel, ein anderes Mal klingt sie so, wie wenn Prince im Badezimmer mit Walkman sitzend ein Soloalbum aufgenommen hätte.

Knuspernde und knisternde R'n'B- und Gospeldekonstruktionen von Dawuna im Klangraum Minoritenkirche.
Knuspernde und knisternde R'n'B- und Gospeldekonstruktionen von Dawuna im Klangraum Minoritenkirche.
David Visnjic

Am Eröffnungsabend stellten die Festival-Headliner The Jesus and Mary Chain um die schottischen Gebrüder Jim und William Reid aus den 1980er-Jahren unter Beweis, dass die Kombination aus Surferseligkeit der Beach Boys, cooler, heute etwas daneben wirkender Langeweile auf der Bühne, der Wegnahme des früheren Gitarrenkreischens und sehr viel Altersmüdigkeit erheblich aus der Zeit gefallen wirken kann. Es war befremdlich. (Christian Schachinger, 21.4.2024)