Bundesheer Neutralität Nato Österreich
Das Bundesheer auf dem Wiener Heldenplatz: immerwährend neutral?
Foto: Imago / Isabelle Ouvrard

In letzter Zeit versuche ich vermehrt, mich über die Vorgänge in der österreichischen Innenpolitik auch mithilfe ausländischer Zeitungen zu informieren. Die "NZZ" und ihre Korrespondentin in Wien berichten zum Beispiel sachlich und unaufgeregt über unser Land. Mit etwas Abstand gelingt es mir manchmal, einen klareren Blick auf die Lage zu gewinnen, ohne mich täglich in der Lektüre nationaler Medien von Schlagzeile zu Schlagzeile treiben zu lassen. Normalerweise bringt das auch ein gewisses Gefühl der Gelassenheit mit sich.

Anders ist das in Bezug auf die Spionageaffäre um Egisto Ott. Das Bild, das Kommentatorinnen und Kommentatoren aus dem Ausland zurückspiegeln, ist leider noch dramatischer, als wir es im Inland wahrhaben wollen. Der Versuch der Einflussnahme und Unterwanderung unserer Sicherheitsstrukturen durch Russland ist kein Einzelfall, sondern ein systematisches Vorgehen.

Dass die Politik über Jahre weggeschaut hat, ist ein Teil des Problems; der andere Teil ist, dass der breiten Öffentlichkeit ein Problembewusstsein für die geopolitischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte fehlt. Wir halten immer noch am Selbstverständnis aus dem Kalten Krieg fest, als Österreich als neutrales Land eine internationale Mittlerrolle einnehmen konnte und davon profitierte. Damals war es auch normal, ohne Sturzhelm Motorrad zu fahren.

Geopolitische Umbruchszeit 

Wir befinden uns längst in einer massiven, geopolitischen Umbruchszeit. Europa steht einer losen Allianz autoritärer Staaten wie Russland, China und dem Iran gegenüber, die vereint sind durch das Ziel, Europa zu schwächen.

Aus russischer Sicht ist unsere Neutralität eine Achillesferse, die es auszunutzen gilt. Russland hat ein Interesse daran, dass diese Neutralität erhalten bleibt, und wird alles tun, um die öffentliche Meinung in diese Richtung zu beeinflussen. Wir werden so zu nützlichen Idioten für Wladimir Putin. Österreich dient seit Jahren als ein Einfallstor und Operationsbasis für subversive Kräfte. Andere Länder weisen reihenweise russische "Diplomaten" aus, Wien ist weiterhin Dreh- und Angelpunkt für deren Operationen in Europa.

"Ein kleiner Puzzleteil in einem weiter größeren Bedrohungsszenario."

Sicherheitspolitisch ist Österreich also nicht nur Trittbrettfahrer, sondern auch ein Risiko. Der jüngste Spionage-Fall ist keine provinzielle Agentenposse, sondern ein kleiner Puzzleteil in einem weit größeren Bedrohungsszenario. Angesichts dieser Lage verkommt unsere Neutralität zu einem Anachronismus, der nicht mehr zeitgemäß ist. Vor 30 Jahren gelang es durch eine überparteiliche Kraftanstrengung, Österreich in die Europäische Union zu bringen und es vom Zuschauer zum Mitgestalter zu machen. Der Bevölkerung konnte damals klargemacht werden, dass wir wirtschaftlich auf der Strecke bleiben würden, wenn wir uns nicht aktiv einbrächten.

In einer weitaus komplexeren politischen Gemengelage gilt es nun, dafür zu werben, dass unser Land endlich auch einen Beitrag zur Sicherheitsarchitektur Europas leistet – aus Solidarität und um unsere eigene Demokratie zu schützen. Über einen Beitritt zum Verteidigungsbündnis der Nato brauchen wir gar nicht zu diskutieren, bevor dafür kein Verständnis herrscht. (Philippe Narval, 22.4.2024)