Bienen, Nachhaltigkeit, Honig, Unternehmen 
Hinter den Lagerhallen hat das Einkaufszentrum Ziwa in Leobersdorf ein paar Bienenstöcke aufstellen lassen – damit sollen pro Jahr 500 Gläser mit je 130 Gramm Honig befüllt werden.
Jakob Pallinger

Der Ort, an dem Oliver Frühwirt versucht, die Artenvielfalt zu erhöhen, sieht nicht sehr naturnah aus: ein riesiger zubetonierter Parkplatz, daneben die Autobahn, ein McDonald's, Libro, Interspar, Pagro und andere Geschäfte, die zum Einkaufszentrum Ziwa in Leobersdorf südlich von Wien gehören. Dazu ein apokalyptischer Regen an diesem Nachmittag, sodass es scheint, die gesamte versiegelte Fläche könnte gleich meterhoch unter Wasser stehen. "Eigentlich ist die Lage hier perfekt", sagt Frühwirt. Er führt zu einer Wiese hinter der Pagro- und Interspar-Halle und fünf Holzkisten, die dort auf der Anhöhe stehen. "Es gibt hier viel unbewirtschaftetes Areal, Grünland, und sogar einen Bach, dessen Wasser die Völker für die Abkühlung nutzen können."

Mit Völker meint Frühwirt die mehreren Tausend Bienen, die sich aufgrund des Regens heute lieber innerhalb als außerhalb des Stocks aufhalten und um die sich Frühwirt regelmäßig kümmert. Der Hobbyimker soll dafür sorgen, dass das Einkaufszentrum Ziwa einmal im Jahr rund 500 Gläser Honig zu je 130 Gramm bekommt, die das Unternehmen dann auf Messen und zu Weihnachten an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschenken kann. Das soll nebenbei auch das Nachhaltigkeitsimage des Unternehmens verbessern.

Imkerei, Honig, Bienen
Hobbyimker Oliver Frühwirt fährt einmal pro Woche zum Einkaufszentrum Ziwa nach Leobersdorf, um die fünf Bienenstöcke zu überprüfen.
Jakob Pallinger

Bienen-Boom

Das Einkaufszentrum ist längst nicht das einzige, das auf Bienen setzt. Beim Flughafen Wien fliegen die Bienen seit einiger Zeit neben den Start- und Landebahnen, bei den Barmherzigen Brüdern auf den Dächern des Krankenhauses, bei Magna und Manner neben den Produktionshallen. Viele Unternehmen werben damit, mit den Bienen die Nachhaltigkeit und Biodiversität zu fördern und verkaufen den Honig zum Teil in eigenen Shops. Wie nachhaltig sind solche Projekte?

Fest steht: Honigbienen, die sowohl vom Artensterben betroffen als auch die Lösung dafür sein sollen, haben nach wie vor einen guten Ruf. Das hat in den vergangenen Jahren einen regelrechten Bienen-Boom ausgelöst. Die Zahl der Imkerinnen und Imker, allen voran Hobbyimkerinnen und Hobbyimker, ist in Österreich immer weiter gestiegen – knapp 32.000 gibt es mittlerweile.

Von diesem Boom profitieren Start-ups wie Bee-Rent, die Bienen-Partnerschaften und Bienen zum Mieten für Unternehmen anbieten, Place4Bees oder Hektar Nektar, die einen eigenen Online-Marktplatz für Bienenvölker und Königinnen eingerichtet haben und die zahlungswillige Unternehmen, darunter auch das Einkaufszentrum Ziwa in Leobersdorf, auf deren Betriebsgelände mit Bienenstöcken und Imkerinnen und Imkern ausstatten.

Viel gepanschter Honig

"Mit Bienen allein ist man zwar noch nicht nachhaltig, aber es ist zumindest ein erster Schritt in Richtung Artenschutz", sagt Miriam Walch, Geschäftsführerin von Hektar Nektar, die ebenfalls nach Leobersdorf gekommen ist und deren Unternehmen die fünf Bienenstöcke und den Imker für das Einkaufszentrum organisiert hat und betreut. Bienenvölker auf Betriebsflächen anzusiedeln soll nicht nur die Biodiversität in der Umgebung, sondern auch die heimische Imkerei fördern, sagt sie.

Rund 55 Prozent des Honigs in Österreich seien importiert, vor allem aus Ländern wie der Ukraine, Argentinien oder China. "Da wird viel Honig gepanscht und mit Zuckersirup gestreckt, zum Teil riesige Bienenstände auf Lkws für die Bestäubung zu Monokulturen gekarrt und dieser Honig dann um zwei Euro pro Kilo bei uns im Großhandel verkauft", sagt Walch. Tatsächlich stellte die EU in einer Untersuchung kürzlich fest, dass von 320 untersuchten Honigproben 147 verfälscht waren, die meisten davon aus Nicht-EU-Ländern. Um dem einen Riegel vorzuschieben, muss auf einem Glas Honig künftig statt "Honig aus EU- und Nicht-EU-Ländern" das genaue Herkunftsland stehen. Vor wenigen Tagen segnete das EU-Parlament die neue Richtlinie ab.

Honigbiene nicht überlebensfähig

"Böses" aus dem Ausland kam laut vielen heimischen Imkerinnen und Imkern aber nicht nur durch billigen Honig, sondern auch in Form eines Parasiten: der Varroamilbe. Jahrzehntelang reiste sie mit den Bienenvölkern und Königinnen und den dazugehörigen Imkerinnen und Imkern um die Welt, bis sie in fast jedem Land eingeschleppt war. Heute gehört sie zu den größten Schädlingen bei der Bienenzucht.

Frühwirt öffnet die oberste Abdeckung bei einem der Stöcke in Leobersdorf, in dem die Bienen über die Waben krabbeln und den Honig mit leichten Flügelschlägen trocknen. Dann greift er im untersten Fach mit der Hand direkt auf die Bienen, die senkrecht unter den Waben hängen. "Ich muss schauen, ob man Schwarmzellen sieht", sagt er: Gebilde unter dem Brutnest, die aussehen wie Stalaktiten. Das würde bedeuten, dass sich das Volk teilen will. "Durch das Schwärmen verlieren wir Honig, weil die Bienen bei der Umsiedlung viel Honig mitnehmen", sagt er. Zudem würde ein solcher Umzug den sicheren Tod für die Bienen bedeuten. "In der freien Natur kann durch die Varroamilben heutzutage keine Honigbiene überleben. Nach spätestens ein bis zwei Jahren wäre das Bienenvolk vernichtet."

Honigbiene, Überleben
In der freien Natur wären die meisten Honigbienen durch Parasiten heutzutage nicht lange überlebensfähig.
Jakob Pallinger

Sicher sei die Honigbiene langfristig nur im Bienenstock, den Frühwirt nach der letzten Honigernte mit Ameisensäure bedampft, um die Bienen vor den Parasiten zu bewahren. Ohne den Menschen kann die Honigbiene nicht mehr existieren. Sie ist als Nutztier in etwa so verwoben mit der Landwirtschaft wie Kühe und Schweine – und mindestens ebenso weit verbreitet. Mehr als 400.000 Bienenvölker gibt es in Österreich, Tendenz leicht steigend.

Mehr und mehr Bienen

Geht es nach Miriam Walch und Unternehmen wie Hektar Nektar, ist das jedoch noch nicht genug. Bis 2028 will das Unternehmen dafür sorgen, dass es fünf Milliarden mehr Bienen gibt. "Es geht nicht um den Honig, sondern um die Bestäubung", sagt Walch. Fünf bis acht Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung gehen auf die Honigbiene zurück. Ohne sie könnten große Teile der Lebensmittel- und Bekleidungsindustrie, etwa der Baumwollanbau, nicht überleben. Und auch für die Biodiversität seien noch mehr Honigbienen wichtig.

Nicht alle sehen das so. "Das Narrativ, dass wir für die Biodiversität und gegen das Insektensterben noch mehr Honigbienen brauchen, geht an der Realität vorbei", sagt Peter Unglaub, Biodiversitätsforscher an der Universität für Bodenkultur Wien und Mitglied des Österreichischen Wildbienenrats. Jahrelang sei die Ansicht, dass Imkerei automatisch auch Umweltschutz bedeute, von der Imkerlobby gepusht worden. "Wenn ich mir Bienenstöcke in den Garten stelle und behaupte, ich tue etwas für den Insektenschutz, ist das in etwa so, wie wenn ich Hühner halte und sage, ich tue etwas für den Brutvogelschutz."

Wildbienen entscheidend

Erst in den vergangenen Jahren sei bei vielen durchgesickert, dass es neben Honigbienen auch Wildbienen gibt. "Für den Erhalt der Pflanzendiversität brauchen wir die Wildbienendiversität", sagt Unglaub. Während Honigbienen als Generalisten in der Lage sind, schnell große Flächen an Nutzpflanzen in der Landwirtschaft zu bestäuben, bestäuben Wildbienen mit ihren verschiedenen Größen und Techniken sehr viele verschiedene Wildpflanzen. Um die Bestäubung in unserem Ökosystem flächendeckend sicherzustellen, brauche es daher nicht nur Honigbienen, sondern auch Wildbienen und viele anderen Wildbestäuber.

Doch gerade Wildbienen seien durch die intensive Landwirtschaft, die Bodenversiegelung, blütenärmere Landschaften und den Klimawandel ernsthaft vom Aussterben bedroht. Hunderte verschiedene Arten von Wildbienen gibt es in Österreich, Forschende arbeiten gerade daran, eine sogenannte "Rote Liste" zu erstellen, welche Auskunft über deren Gefährdungsstatus gibt.

Wildbienen, Klimawandel
Wildbienen sind im Gegensatz zu Honigbienen auf bestimmte Pflanzen und Blühzeiten spezialisiert. Viele der rund 700 Arten sind jedoch ernsthaft bedroht.
Heinz Wiesbauer

Nahrungskonkurrenz zwischen Bienen?

Hinzu kommt: Zu viele Honigbienen könnten für Wildbienen sogar zum Nachteil werden. "Jede Landschaft stellt jeden Tag eine begrenzte Anzahl an Blüten-, Nektar- und Pollenressourcen bereit. Wenn ich auf einen Fleck plötzlich 50 oder 60 Bienenvölker hinsetze, erhöhe ich möglicherweise den Druck für andere Bienen in einer Welt, die ohnehin schon kleiner geworden ist", sagt Unglaub.

Tatsächlich deuten einige Studien darauf hin, dass es zum Teil zu einer Nahrungskonkurrenz zwischen Honigbienen und Wildbienen kommen kann. In Gebieten mit besonders hohen Honigbienendichten, zum Beispiel in einem sensiblen Schutzgebiet, seien negative Effekte auf heimische Wildbienen deutlich wahrscheinlicher. "Im Vergleich zu dem Effekt, den die intensive Landwirtschaft und die Bodenversiegelung auf Wildbienen haben, ist die Nahrungskonkurrenz aber eher hinten gereiht", gibt Unglaub zu bedenken.

Bienenökologische Raumplanung

Walch bestreitet, dass es eine Nahrungskonkurrenz zwischen Wild- und Honigbienen gibt. Bevor das Unternehmen Bienenstöcke an einem Ort aufstellt, überprüfe es, ob es dort schon eine große Honigbienendichte gibt. "Wir brauchen jedenfalls eine Kombination von Honig- und Wildbienen, da sich beide ergänzen", sagt sie.

Um nicht nur Honigbienen, sondern auch Wildbienen zu fördern, schlägt Unglaub eine "bienenökologische Raumplanung" mit "Heatmaps" vor. Diese Heatmaps könnten beispielsweise die verfügbaren Blühressourcen, Wildbienen-Hotspots und Honigbienendichten an einem bestimmten Ort anzeigen. Damit könne man sehen, wo noch Bienenstöcke aufgestellt werden können und wo keine weiteren Flächen versiegelt werden sollten. "Momentan wissen wir noch viel zu wenig."

Komplexe Form der Tierhaltung

An die Imkerei sollte man jedenfalls nicht leichtfertig herangehen, sagt Robert Brodschneider, Biologe an der Universität Graz. "Das ist eine sehr komplexe Form der Tierhaltung." Wer Krankheiten nicht früh genug erkennt und bekämpft, riskiere, dass das ganze Volk zugrunde geht. Auch das wäre für die Nachhaltigkeit des Bienenprojekts und die Tierhaltung wenig förderlich.

"Ich bin mit meinem ersten Volk, das ich gekauft habe, glorreich gescheitert", sagt Frühwirt. Schon den ersten Winter haben die Bienen nicht überlebt. "Wahrscheinlich durch die Varroamilbe." Auch auf die Faulbrut, eine Erkrankung der Bienenlarven, teste Frühwirt die Völker nun einmal im Jahr.

Auswirkungen durch Klimawandel

Den langfristigen Veränderungen, die durch den Klimawandel sowohl auf die Honigbienen als auch auf die Wildbienen zukommen, können aber auch die besten Imkerinnen und Imker wenig entgegensetzen. "Wenn künftig milde Temperaturen Blühzeitpunkte der Pflanzen verschieben, kann es sein, dass sich die Aktivitätsphase einiger Wildbienenarten nicht mehr ausreichend mit dem Blühzeitpunkt überschneidet", sagt Unglaub. Dadurch könnten viele Wildbienenpopulationen in Bedrängnis geraten. Hochalpine Hummelarten werden versuchen, immer höher zu "wandern", um der Erwärmung zu entgehen. "Aber auch da gibt es irgendwann eine Grenze."

Eine bessere Maßnahme, als neue Bienenstöcke aufzustellen, könne daher sein, Emissionen zu senken – oder mehr Grünflächen zu ermöglichen. Wer auch etwas zum Überleben der Wildbienen beitragen will, könne beispielsweise dafür sorgen, dass es viele blühende heimische Wildpflanzen im eigenen Garten oder auf dem Balkon gibt. Dadurch könne man mit verhältnismäßig geringem Aufwand große Verbesserungen herbeiführen.

"Viele Wildbienen nisten im Boden. Hier wird es sehr schwer für sie, Nester zu bauen", sagt Walch und deutet auf den betonierten Parkplatz vor dem Ziwa-Einkaufszentrum in Leobersdorf. So gut es den Honigbienen in den Stöcken gehen mag, für Wildbienen gibt es hier kaum etwas zu holen. (Jakob Pallinger, 22.4.2024)