Ungarns Premierminister Viktor Orbán.
Ungarns Premierminister Viktor Orbán kam nicht nur zum EU-Gipfel nach Brüssel, sondern auch zum Treffen der nationalkonservativen und extrem rechten Gruppen.
REUTERS/Yves Herman

Es kommt nicht so oft vor, dass ein belgischer Premierminister die Vertreter von nationalkonservativen und sogar extrem rechten Gruppen verteidigt. Seine Mehrparteienregierung war mit Mühe sogar gebildet worden, um die flämischen Nationalisten von der Macht fernzuhalten – und den extremen Vlaams Belang sowieso. Aber dennoch, Dienstagabend war es so weit: Da griff der liberale Regierungschef Alexander De Croo, der zurzeit auch EU-Ratsvorsitzender ist, auf X (vormals Twitter) in die Tasten, um für seinen ungarischen Kollegen Viktor Orbán, den Brexiteer Nigel Farage und den radikalen französischen Politiker Éric Zemmour aus Prinzip eine Lanze zu brechen.

"Was sich im Claridge abgespielt hat, ist unakzeptabel", schrieb er. An diesem Veranstaltungsort im Brüsseler Stadtteil Saint-Josse-de-Noode hatten Europas Rechte mit Blick auf die Europawahlen ein zweitägiges Treffen ausgerichtet. Der ungarische Premier war dort für Donnerstag am Rande des EU-Gipfels als "Stargast" ebenso angekündigt wie davor Farage oder auch die frühere britische Innenministerin Suella Braverman. Weil er das als Gefahr für die öffentliche Sicherheit betrachtete, schickte der zuständige Bezirksbürgermeister Emir Kir Dienstagmittag die Polizei mit dem Auftrag, die Veranstaltung zu beenden. Polizisten betraten zwar den Saal, zogen aber im Scheinwerferlicht von Kameras wieder ab, sperrten lediglich den Zugang zum Claridge. Die Debatten der versammelten Politiker gingen weiter. Farage höhnte über den "kommunistischen Versuch", seinen Auftritt zu verhindern.

Verfassungsrecht oder Gefahr?

Am Abend fand vor dem Gebäude eine Demonstration einer antifaschistischen Gruppe statt, abgesichert von einem Polizeiaufgebot. Premier De Croo fand das alles schließlich nicht mehr lustig: "Die Autonomie der Kommunen ist ein Eckstein unserer Demokratie", twitterte er, "aber sie darf sich niemals über die belgische Verfassung stellen, die seit 1830 die Freiheit der Meinungsäußerung und zur friedlichen Versammlung garantiert." Und weiter: "Politische Treffen zu verbieten ist verfassungswidrig. Punkt."

Diese harte Erklärung und Kritik am Bezirksbürgermeister Emir Kir, einem Sozialdemokraten, gab der Aufregung über das Rechtentreffen erst neuen Schub. Die Veranstalter hatten seit Wochen einen Ort gesucht, waren aber von einem Konzerthaus und einem Hotel abgewiesen worden. Das Claridge akzeptierte sie.

Aus London meldete sich schließlich sogar der britische Tory-Premier Rishi Sunak, der Braverman als Innenministerin gefeuert hatte. Auch er zeigte sich "extrem beunruhigt" über das versuchte Verbot und die Versuche einer antifaschistischen Gruppe, solche Treffen zu verhindern.

Genützt dürfte der Streit den rechten Gruppen haben: So viel Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit hatten sie bei vorigen Treffen in der EU-Hauptstadt noch nie bekommen. Knapp zwei Monate vor den EU-Wahlen geht es ihnen natürlich vor allem darum, die Chancen für einen Wahlerfolg zu erhöhen. Orbán, der vor Beginn des EU-Gipfels eine Rede beim Rechtenkongress halten wollte, strebt einen Zusammenschluss zu einer großen rechten Fraktion im neu gewählten EU-Parlament an. (Thomas Mayer aus Brüssel, 17.4.2024)