Tausende Menschen protestieren im galicischen Pontevedra gegen die Amnestie für Unabhängigkeitspolitiker und -aktivistinnen.
Unter anderem im galicischen Pontevedra protestierten tausende Menschen gegen die Amnestie für Unabhängigkeitspolitiker und -aktivistinnen.
IMAGO/Europa Press/ABACA

Am Montag reichte Spaniens sozialistische PSOE mit Regionalparteien aus Galicien, dem Baskenland und Katalonien beim spanischen Parlament ein Amnestiegesetz ein, das Straffreiheit für katalanische Unabhängigkeitspolitiker und -aktivistinnen gewährt, die gegen den Willen der Zentralregierung 2014 eine Bürgerbefragung und 2017 ein Unabhängigkeitsreferendum organisierten.

Die Amnestie ist einer der wichtigsten Punkte der Vereinbarungen, die die PSOE von Ministerpräsident Pedro Sánchez mit anderen Parteien schloss, um nach einer Parlamentsdebatte am Mittwoch und Donnerstag für weitere vier Jahre ins Amt gewählt zu werden. Mit diesem Gesetz erreichte Sánchez die Unterstützung der in Katalonien regierenden Republikanischen Linken (ERC) und von "Gemeinsam für Katalonien" (JxCat) des im Brüsseler Exil lebenden ehemaligen katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont.

Rund 400 Personen betroffen

Das "Gesetz der Amnestie zur institutionellen, politischen und sozialen Normalisierung in Katalonien", so der offizielle Name, begünstigt all jene, die zwischen 2012 bis heute in Zusammenhang mit den beiden Volksbefragungsprozessen angeklagt oder verurteilt wurden. Das dürften rund 400 Personen sein, darunter Puigdemont und weitere im Exil lebende Politiker.

"Bei den Wahlen am 23. Juli haben die Bürger gesagt, dass Spanien nur regiert werden kann, wenn der politische Pluralismus und die territoriale Vielfalt des Landes anerkannt werden", erklärte Sánchez am Wochenende. Er macht damit aus der Not eine Tugend. Denn noch im Wahlkampf wollte er von einer Amnestie nichts wissen. Ein solches Gesetz habe in der Verfassung keinen Platz, behauptete er ohne juristische Grundlage. Und vor nunmehr vier Jahren versprach Sánchez gar, Puigdemont nach Spanien vor die Richter zu zerren.

Das Umdenken kam mit dem Wahlergebnis. Zwar wurde die PSOE im Juli nur Zweiter, doch Alberto Núñez Feijóos PP verbündete sich mit der rechtsextremen Vox und scheiterte am Parlament.

Frauenrechte beschnitten

PP und Vox regieren seit den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai gemeinsam in mehr als 100 Gemeinden und Städten sowie in fünf Regionen. Überall dort werden seither unter anderem die Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten beschnitten. Dort, wo sie gemeinsam regieren und es – wie auf den Balearen in Form des Katalanischen – eine eigene Sprache neben dem Kastilischen gibt, versuchen PP und Vox, diese zurückzudrängen.

Diese Politik stößt auf breite Ablehnung. 179 der 350 Abgeordneten unterstützen deshalb Sánchez für weitere vier Jahre. Alle sind dabei, außer PP und Vox. Neben dem Amnestiegesetz hat Sánchez in den Verhandlungen dafür eine Reihe wichtiger Zugeständnisse gemacht. Sie reichen von mehr Investitionen auf den Kanaren und in Galicien, einem neuen Steuersystem und Schuldenerlass für Katalonien über den Transfer von Kompetenzen an die baskische Autonomieregierung bis hin zu Gesprächen unter internationaler Beobachtung zur Lösung des Katalonienkonflikts.

All das ist für PP und Vox eine "Erniedrigung Spaniens" und eine Gefahr für "die Einheit der Nation". PP-Chef Feijóo lädt deshalb alle ein – egal aus welchem politischen Lager –, sich den Protesten gegen die Amnestie anzuschließen.

Parteiinterne Unterstützung

Die Demos sind zwar teilweise gut besucht, die PSOE hält sich bei jüngsten Umfragen aber trotzdem erstaunlich gut. Auch parteiintern genießt Sánchez breite Unterstützung. 87 Prozent der Sozialisten stellten sich in einer Basisabstimmung hinter ihm.

In Katalonien loben selbst strikte Gegner der Loslösung von Spanien die Vereinbarung zwischen Sozialisten und Unabhängigkeitsbefürwortern. "Das Abkommen öffnet die Tür zu einem politischen Szenario, das so in der zeitgenössischen Geschichte Spaniens selten war: Alle sind dabei", schreibt der stellvertretende Chefredakteur und Leiter des Hauptstadtbüros der konservativen La Vanguardia aus Barcelona, Enric Juliana. (Reiner Wandler aus Madrid, 13.11.2023)