Spaniens geschäftsführender Ministerpräsident Pedro Sánchez
Spaniens geschäftsführender Ministerpräsident Pedro Sánchez.
IMAGO/Agencia EFE

Es ist so weit. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez hat genügend Unterstützung, um sich Ende nächster Woche im Parlament für weitere vier Jahre ins Amt wählen zu lassen. Am Freitag unterzeichnete der Sozialist, der einer in Minderheit regierenden Linkskoalition seiner Sozialisten und dem linksalternativen Bündnis vorstehen wird, das letzte Unterstützungsabkommen mit der baskischen Nationalistenpartei (PNV).

Am Vortag schon fixierte Sánchez’ PSOE mit der katalanischen Partei Junts per Catalunya ("Gemeinsam für Katalonien") in Brüssel ein Abkommen. Außerdem sind die in Katalonien regierende Republikanische Linke Kataloniens (ERC), die baskischen Linksnationalisten von EH Bildu sowie die galicischen Nationalisten und eine kanarische Regionalpartei mit an Bord.

Das Spektrum, das Sánchez in monatelangen Verhandlungen hinter sich vereinen konnte, umfasst damit alle Fraktionen außer dem rechten Partido Popular (PP) und der rechtsextremen Vox. Zwar hatte der PP die Wahlen im Juli gewonnen, doch scheiterte sein Vorsitzender Alberto Núñez Feijóo am Parlament.

Dort unterstützte ihn nur Vox. Alle, die jetzt hinter Sánchez stehen, weigerten sich deshalb, mit dem PP zu verhandeln. "Die extreme Rechte zu stoppen ist demokratische Pflicht", heißt es von EH Bildu.

Proteste in Madrid

Feuerwehr bekämpft Feuer auf Straße in Madrid
Am Donnerstag musste die Feuerwehr aufgrund von Brandstiftungen bei Ausschreitungen in Madrid ausrücken.
AFP/PIERRE-PHILIPPE MARCOU

Die geplante Amnestie ist im Land und in der EU höchst umstritten. In einer Umfrage vom September sprachen sich in Spanien rund 70 Prozent der Befragten dagegen aus – davon 59 Prozent Anhänger der Sozialisten. Zudem hat das oberste Aufsichtsgremium der spanischen Gerichtsbarkeit, der Consejo General del Poder Judicial, massive Bedenken an dem Vorhaben geäußert. Diese Linie vertritt auch EU-Justizkommissar Didier Reynders und hat dies der Regierung in Madrid bereits mitgeteilt.

Am Donnerstagabend kam es in Madrid zu starken Protesten gegen die Einigung mit der Junts und die geplante Amnestie. Tausende Anhänger rechter Bewegungen protestierten Donnerstagnacht gegen die Gewährung einer Amnestie – dabei gab es Ausschreitungen und Brandstiftungen. Es folgte ein Großeinsatz von Polizei- und Feuerwehr in Spaniens Hauptstadt.

Wichtige Zugeständnisse

Sánchez und sein PSOE haben in den Verhandlungen eine Reihe wichtiger Zugeständnisse gemacht. Sie gehen von einem neuen Steuersystem und Schuldenerlass für Katalonien über einen Transfer von Kompetenzen an die baskische Autonomieregierung bis hin zu Gesprächen unter internationaler Beobachtung zur Lösung des Katalonien-Konflikts.

Der umstrittenste Punkt ist ein Amnestiegesetz für weit über 1000 Unabhängigkeitsaktivistinnen und -politiker, die 2014 und 2017 zuerst eine Volksbefragung und dann ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens abhielten. Unter denen, die angeklagt sind, aber damit straffrei ausgehen werden, befindet sich der ehemalige Präsident Kataloniens, Carles Puigdemont, der seit Ende 2017 im Brüsseler Exil lebt und im Europaparlament sitzt.

"Es ist der Weg, der Politik das zurückzugeben, was der Politik gehört", zeigte sich Puigdemont nach der Unterzeichnung des Abkommens zufrieden. Junts verpflichtet sich nicht nur, für eine Sánchez-Regierung zu stimmen, sondern für vier stabile Jahre sorgen zu wollen.

Gewerkschaften und der katalanische Unternehmensverband begrüßen, dass die Legislaturperiode endlich beginnen kann, unterschiedliche Richterverbände beschweren sich aber. Für sie greift die Regierung mit der Amnestie direkt in ihre Kompetenzen ein.

Empörte Richter

Was die Richter am meisten empört: Im Abkommen mit Junts wird ein Parlamentsausschuss vereinbart, der untersuchen soll, inwieweit sich ein Teil der Justiz und der Ermittlungsbehörden für einen schmutzigen Krieg gegen Unabhängigkeitsbefürworter hat einspannen lassen. Ein Verdacht, der dieser Tage wieder zu hören ist. Denn ein dem PP nahestehender Richter leitete neue Ermittlungen gegen Aktivisten und Politiker aus Katalonien ein, darunter Puigdemont.

Die spanische Rechte geht auf die Barrikaden. Seit einer Woche reißen die Proteste, zu denen das Umfeld von PP und Vox vor PSOE-Lokalen mobilisieren, nicht ab. In Madrid kommt es dabei immer wieder zu Ausschreitungen.

Der PP distanziert sich von den gewalttätigen Protesten nur halbherzig. Das Abkommen mit Katalanen und Basken erniedrige Spanien, heißt es. PP-Vorsitzender Feijóo rief deshalb für Sonntag zu Kundgebungen auf. Die politische Rechte in Spanien ist aber auch wegen des gewaltsamen Angriffs auf den Vox-Mitbegründer Alejo Vidal-Quadras angespannt: Auf offener Straße wurde der 78-Jährige am Donnerstag in Madrid von einem Unbekannten angeschossen. Die Polizei ermittelt, ob es sich um ein Attentat handelt.

Menschenmasse bei Protest in Madrid
In Madrid gingen tausende Menschen gegen die Amnestie für Separatisten auf die Straße.
AFP/OSCAR DEL POZO

Vox-Chef ruft zu Widerstand auf

Vox-Chef Santiago Abascal unterstützt jene, die in Madrid vor dem PSOE-Sitz eine "nationale Erhebung" fordern. Für ihn ist Sánchez ein autoritärer Machthaber. Abascal prophezeit einen "langanhaltenden zivilen Widerstand". "Es gibt nur ein Ende: Entweder mit dem Diktator auf der Anklagebank, oder wir gehen ins Gefängnis", heizt er die Stimmung an. (Reiner Wandler aus Madrid, 10.11.2023)