Partido Popular und Vox nutzen die Neuankünfte von Flüchtlingsbooten auf den Kanarischen Inseln, um Unmut gegen die alte und wohl auch neue Linkskoalition zu schüren.
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Die Kanarischen Inseln verzeichnen einen Höchststand an Neuankünften. Alleine im Oktober kamen auf dem zu Spanien gehörenden Archipel vor Afrikas Atlantikküste Flüchtlingsboote mit rund 13.000 Menschen an. Das ist knapp die Hälfte der 27.800, die seit Jahresbeginn den gefährlichen Seeweg auf den Außenposten der Europäischen Union suchten. Das Jahr 2023 ist dabei zum Jahr mit den meisten Flüchtlingen zu werden. Bisher ist das 2006. Damals kamen insgesamt 31.000 Menschen auf den Kanaren an.

Mit den Neuankünften im Oktober ist die Kapazität der Inseln für die Unterbringungen der Flüchtlinge endgültig erschöpft. Die Regierung in Madrid unter dem Sozialisten Pedro Sánchez beginnt nun, 8.700 Migranten auf das spanische Festland zu bringen und sie dort auf mehrere Provinzen zu verteilen. Als Notunterkünfte müssen leerstehende Kasernen, alte Krankenhäuser, Herbergen aber auch Hotels und religiöse Unterkünfte herhalten. Außerdem werden Einrichtungen genutzt, die einst Flüchtlingen aus der Ukraine dienten und jetzt wieder leer stehen. Während einige Städte – die meist von den gleichen Linksparteien regiert werden, die auch die spanische Regierung stellen – sich solidarisch zeigen, schlagen rechte Gemeindeverwaltungen und autonomen Gemeinschaften – vergleichbar mit den Bundesländern – Alarm. Dort regiert der konservative Partido Popular (PP) meist zusammen mit der rechtsextremen Vox.

Wahlen im Fokus

"Wir sind dazu übergegangen, die Einwanderer, die auf den Kanarischen Inseln ankommen, aufzunehmen und sie, ohne mit den autonomen Gemeinschaften zu sprechen, in Flugzeuge zu setzen und sie an Bushaltestellen auszusetzen", erklärt PP-Chef und Oppositionsführer Alberto Nuñez Feijóo. "Die Regierung Sánchez hat beschlossen, mit den organisierten Geschäft der Schleppermafia zusammenzuarbeiten, in dem sie zum letzten Glied der Kette wird", geht der PP-Abgeordnete Rafael Hernando auf X noch einen Schritt weiter.

PP und Vox nutzen das Thema Flüchtlinge, um Unmut gegen die alte und wohl auch neue Linkskoalition zu schüren. Der Sozialist Sánchez muss nach den Wahlen im vergangenen Juli im Laufe des Novembers erneut die Parlamentsmehrheit hinter sich vereinen, will er weiterregieren. Ansonsten kommt es zu Neuwahlen. Und genau darauf scheinen die beiden Rechtsparteien hinzuarbeiten.

Die PP-Regionalregierungen machen gemeinsam Front gegen die Unterbringung von Migranten. "Wir wurden nicht informiert", wiederholt die Chefin der Regierung der Hauptstadtregion Madrid, Isabel Díaz Ayuso, immer wieder, obwohl dies laut Innenministerium nicht wahr ist. Sie wirft Sánchez vor, die Migranten "wie Packen auf die Halbinsel zu bringen und sie überall zu verteilen". In und um Madrid sollen mindestens 425 Migranten untergebracht werden.

Offener Rassismus

"Wenn sie sie nicht wie Tiere markieren, ihnen etwa ein Armband oder etwas Vergleichbares verpassen, weiß ich nicht, was für einer Kontrolle diese Kreaturen, die anfangen herumzustreifen, unterliegen werden", erklärt in einem Radiointerview der Kultur- und Traditionsbürgermeister der PP der Kleinstadt Torrox im südspanischen Andalusien. In diese Region sollen rund 2.000 Flüchtlinge kommen. Auf den Kanaren gebe es bereits Typhus, fügt er hinzu und warnt: "Wir wissen nicht was sie treiben werden, ob sie dir das Auto stehlen …"

Und im zentralspanischen Castilla y León warnt der Vox-Politiker und Vizeregierungschef Juan García-Gallardo: "Während die Regierung behauptet, die Interessen der Frauen zu vertreten, bringen sie 183 junge Männer im wehrpflichtigen Alter hierher."

Der Vizepräsident der kanarischen Regierung, Manuel Domínguez, ist der einzige Politiker der spanischen Rechten, der offen aus dem rassistischen Chor ausschert. "Das kann einfach nicht sein. Wenn wir ein bisschen, nur ein bisschen Einfühlungsvermögen haben. Wenn jemand zu einem der Häfen käme, um zu sehen, wie diese Leute von Bord gehen, würde sich die Meinung wohl ändern. Wir sollten mit diesen Vorwürfen aufhören", mahnt Domínguez.

"Sie versuchen diese Angelegenheit politisch, opportunistischen und ausländerfeindlich auszuschlachten", erklärt Spaniens Sozial- und Einwanderungsminister José Luis Escrivá. Aus nicht von der PP regierten Regionen, wie etwa Katalonien, das über 1.600 Flüchtlinge aufnehmen soll, oder dem Baskenland, wo am vergangenen Freitag die ersten 36 Flüchtlinge ankamen, gibt es kaum kritische Stimmen. (Reiner Wandler aus Madrid, 31.10.2023)