Vor einem Jahr noch die Hoffnungsträgerin für Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung, wird die römische Bürgermeisterin Virginia Raggi zunehmend zum Problem für ihre Partei.

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Vermutlich war die Ankündigung als Befreiungsschlag gedacht: In Rom, erklärte die Stadtregierung vergangene Woche, sollen demnächst drei Seilbahnen gebaut werden. "Mit diesem Projekt entwerfen wir die Stadt der Zukunft – bezüglich Mobilität wird sich Rom dann endlich auf dem Niveau der anderen Hauptstädte Europas und der Welt befinden", hieß es in der Verlautbarung. Die Römerinnen und Römer trauten ihren Ohren nicht – aber Bürgermeisterin Virginia Raggi und die für den öffentlichen Verkehr zuständige Stadträtin Linda Meleo meinen das mit den Seilbahnen offenbar absolut ernst.

Das Fehlen von Seilbahnen ist in der Ewigen Stadt bisher von niemandem als Manko empfunden worden. Wohl aber das tägliche Verkehrschaos, die überfüllten, verdreckten und meist verspäteten Busse, die Streiks der U-Bahn. Wegen mangelnder Ersatzteile ist die Hälfte des Fahrzeugparks außer Betrieb, alle paar Wochen geht ein Bus wegen Selbstentzündung in Flammen auf. Man hätte die Prioritäten also auch anderswo setzen können als bei neuen Seilbahnen.

Kein Konzept gegen Müllkrise

Die Seilbahnen sind zumindest ein Beispiel dafür, wie fern jeder Realität die 38-jährige Virginia Raggi regiert. Ein anderes Beispiel ist die chronische Müllkrise. Obwohl sich in den Quartieren immer wieder stinkende Müllhaufen bilden und unvorsichtige Anwohner gelegentlich von Ratten gebissen werden, verkündet Raggi seit Monaten, dass sie das Problem im Griff habe. Einen Plan, die komplett ungenügenden Entsorgungskapazitäten auszubauen, hat Raggi nicht. Den braucht sie aus ihrer Sicht auch gar nicht, denn ihr erklärtes Ziel ist die hundertprozentige Wiederverwertung des Hausmülls. Das Problem ist nur, dass die Römer nicht mitmachen.

Ebenfalls ignoriert hat die Bürgermeisterin in ihrem ersten Amtsjahr die unzähligen Schlaglöcher in den Straßen, die immer wieder zu schweren Unfällen führen. Im Badevorort Ostia, der administrativ zu Rom gehört, helfen sich die entnervten Bürger inzwischen auf ihre Weise: Sie füllen die Schlaglöcher mit Müll. Damit werden gleich zwei Probleme auf einen Schlag gelöst. Nur für den Gestank müsste noch eine Lösung gefunden werden.

Dabei hatte alles so gut begonnen: Mit triumphalen 67 Prozent war Raggi vor einem Jahr zur Bürgermeisterin Roms gewählt worden. Die junge Anwältin wirkte frisch und unverbraucht – wie eine normale, engagierte Bürgerin. Die alleinerziehende Mutter eines Achtjährigen stand für frischen Wind und mehr Ehrlichkeit und Transparenz in der korrupten und abgewirtschafteten Hauptstadt Italiens. Für Beppe Grillos populistische Protestbewegung war sie die große Hoffnungsträgerin: Raggi sollte beweisen, dass die "Grillini" regierungsfähig sind.

Enttäuscht von der Bürgermeisterin

Den Beweis der Regierungsfähigkeit ist Raggi bisher schuldig geblieben – und die Popularitätswerte haben sich in ihr Gegenteil verkehrt: 68 von 100 Römern geben in Umfragen an, von der Bürgermeisterin enttäuscht zu sein.

In der Tat geht die Bürgermeisterin womöglich noch trüberen Zeiten entgegen. In dieser Woche hat die Römer Staatsanwaltschaft eine Voruntersuchung abgeschlossen, die sich direkt gegen Raggi richtet – es droht eine Anklage wegen Amtsmissbrauchs und Falschaussage. Ausgelöst hatte Raggi die Ermittlungen mit einigen dubiosen Personalentscheiden, die im Geruch von Vetternwirtschaft und Korruption stehen. Im Zentrum der Affäre: ihr früherer Stabsmitarbeiter Raffaele Marra, der im Dezember wegen Korruptionsverdachts verhaftet worden war.

Raggi hat erklärt, dass sie vorerst auch im Fall einer Anklageerhebung im Amt bleiben wolle. Sie räumte aber ein, dass ihr Amt sie belaste: "Ich bin in den zurückliegenden zwölf Monaten um zehn Jahre gealtert und habe mein ganzes Privatleben verloren." Für Beppe Grillo sind Misserfolge und Affären seiner Vorzeigefrau Raggi längst zum politischen Albtraum geworden: Schon bei der ersten Runde der Kommunalwahlen vom vergangenen Wochenende, die für die Fünf-Sterne-Bewegung des Ex-Komikers zum Debakel wurden, hatte der "Raggi-Effekt" eine wichtige Rolle gespielt. Und im kommenden Wahlkampf um das nationale Parlament wäre ein Prozess gegen die römische Bürgermeisterin schon gar nicht hilfreich. (Dominik Straub aus Rom, 24.6.2017)