Als "Verrat" brandmarkten verärgerte Sozialdemokraten 2015 die rot-blaue Koalition im Burgenland: Die SPÖ baut nun vor, um sich künftig derartige Transparente an der Fassade der Parteizentrale zu ersparen.

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Wien – Eine Außenseiteridee wird Mainstream: Als junge Aktivisten in der SPÖ im Herbst 2013 eine Urabstimmung der Parteimitglieder über den anstehenden Koalitionsvertrag mit der ÖVP gefordert hatten, wurden sie von der Chefetage abgeschasselt. Heute hingegen geben sich rote Spitzenpolitiker selbst basisdemokratisch. Mehrere Landesparteichefs plädieren für eine Mitgliederbefragung nach der nächsten Regierungsbildung, Kanzler Christian Kern zeigt sich aufgeschlossen.

Was das Umdenken befeuert, ist die Aussicht auf eine rot-blaue Koalition. Kern und Co müssten in diesem Fall versuchen, die erwartbaren Proteste vom linken Parteiflügel zu beschwichtigen. Ein Votum der Genossen könnte dem Schulterschluss mit dem einstigen Hauptfeind Legitimität verleihen.

Druck auf Parteispitze erhöhen

Der langjährige SPÖ-Europapolitiker Hannes Swoboda hält das für dringend nötig: "Ein Abweichen von der bisherigen Haltung muss legitimiert werden, ansonsten droht der Partei die Spaltung", sagt er. Darüber hinaus würde eine Urabstimmung den Druck auf die Parteispitze erhöhen, "nicht zu nachgiebig zu sein".

Urabstimmungen sind in der Sozialdemokratie üblich – außerhalb Österreichs. In vielen Ländern dürfen Parteimitglieder über die Besetzung des Chefpostens bestimmen. Die deutschen, schwedischen, finnischen und österreichischen Sozialdemokraten hingegen zählen laut einer Analyse des Politologen Oliver Zwickelsdorfer zu den Muffeln, die bei der Kür des Vorsitzenden keinerlei Vorwahlen veranstalten.

Seltener ist die Mitsprache bei Sachfragen. Frankreichs Sozialisten holten sich ein Ja zur EU-Verfassung ab, die deutschen Sozialdemokraten den Sanktus für ihren 2013 geschlossenen Koalitionsvertrag mit der CDU – mit einer satten Mehrheit von 76 Prozent.

Allen Wählern verpflichtet

Die deutschen Genossen hätten es leichter gehabt, weil sie im Fall eines Neins keiner Rechtspartei à la FPÖ zum Durchbruch verholfen hätten, argumentierten SPÖ-Politiker damals ihr Nein zur Urabstimmung. Grundsätzlichere Einwände: Eine Partei sei nicht nur Mitgliedern, sondern allen Wählern verpflichtet, ein insgesamt ausgewogener Pakt könnte an einzelnen Fahnenfragen wie Studiengebühren oder Vermögenssteuern scheitern. Außerdem könnte sich ein potenzieller Partner lieber vorsorglich für eine andere Option entscheiden, statt sich auf einen Pakt ohne Umsetzungsgarantie einzulassen.

Besonders praktikabel sei so etwas nicht, sagt der Politikberater und Ex-SPÖ-Bundesgeschäftsführer Josef Kalina, "doch wenn sich die Wortführer der Partei geschlossen für eine Koalition aussprechen, werden die Mitglieder genauso entscheiden". Im konkreten Fall sei eine Urabstimmung notwendig, um der innerparteilichen Demokratie Genüge zu tun: Schließlich müsse jener Parteitagsbeschluss aufgehoben werden, der eine Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ verbietet.

"Ohne Aufhebung keine Verhandlung"

Die Blauen wollen dies allerdings bereits früher erleben. "Wenn der Parteitagsbeschluss nicht bis zur Wahl aufgehoben ist, kann es ja überhaupt keine Verhandlungen mit uns geben", sagt Generalsekretär Herbert Kickl: Die SPÖ versuche, von dieser Grundsatzfrage abzulenken, könne aber den zweiten Schritt "nicht vor dem ersten machen. Ohne Aufhebung keine Verhandlungen und damit kein Ergebnis."

Wenig begeistert zeigen sich auch jene, die einst nach einer Urabstimmung gerufen haben. Wenn es sich um ein einmaliges taktisches Manöver handle, um Rot-Blau durchzusetzen, "dann haben wir keine Freude damit", sagt der Politikwissenschafter Zwickelsdorfer, der sich in der widerspenstigen Wiener Sektion 8 engagiert. Die Demokratisierung der Partei müsse ein dauerhaftes, umfassendes Projekt sein – und da sollte die SPÖ bei anstehenden Personalentscheidungen anfangen. Was in der Berliner SP längst üblich ist, müsse auch für die Wiener Genossen gelten: "Die Parteimitglieder sollen den Nachfolger von Bürgermeister Michael Häupl wählen." (Gerald John, Katharina Mittelstaedt, 27.5.2017)