Der schwarze Zeitplan wäre eigentlich perfekt gewesen: Sebastian Kurz besucht die Eröffnungsfeier der neuen Büroräumlichkeiten von Österreichs erfolgreichstem Start-up Runtastic im Paschinger Einkaufstempel Plus City. Jung, dynamisch, erfolgreich und die Karriereleiter im Laufschritt nach oben. Das passt ins gewünschte Bild, da nimmt man sich als Außenminister schon einmal entsprechend Zeit. Und doch galt es beim Händereichen am laufenden Band, nicht zu trödeln. Angesagt hatte sich nämlich zur Eröffnung am vergangenen Mittwoch auch Bundeskanzler Christian Kern.

Und ein Aufeinandertreffen samt Foto der SPÖ- und wohl künftigen ÖVP-Spitze galt es, so war aus schwarzen Parteikreisen zu erfahren, tunlichst zu vermeiden. Der Zeitplan sah exakt einen Puffer von 15 Minuten vor – Kurz geht, Kern kommt.

Sorgfältig geplante Begegnungen: Sebastian Kurz in Oberösterreich mit Landesrätin Christine Haberlander.
Foto: APA/HANNES DRAXLER

Und dann das: Der Kanzler kommt – ein Schelm, der Böses denkt – genau eine Viertelstunde früher. Rot lächelt süffisant, Schwarz kommt ins Schwitzen. Man reicht einander kurz die Hände, wechselt aber kaum ein Wort. Nur Minuten später verlässt Sebastian Kurz die Runtastic-Eröffnung. "Weitere Termine ...", heißt es auf Nachfrage aus dem ÖVP-Stab.

Diese "Zufallsbegegnung" mit überraschendem flotten Abgang zeigt eines ganz klar: Der Mann, der einst das "Geilomobil" lenkte, steht gerne allein in der Sonne. Selbstinszenierung mit Partner ist eben weniger "geilo".

Ist das rote Gegenüber aber fern, läuft die jugendliche Charmeoffensive wie geschmiert. Am selben Oberösterreich-Tag besuchte Sebastian Kurz in seiner Rolle als Integrationsminister auch das Linzer Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium Ramsauerstraße. Ein Saal voller aufgeregter Jugendlicher, drei erfolgreiche Österreicher mit Migrationshintergrund auf dem Podium, keine kritischen Journalistenfragen, kein SPÖ-Politiker – für Sebastian Kurz eine "gmahde Wiesn".

Die Pausenglocke

Sein Auditorium kocht der schwarze Hoffnungsträger an diesem Mittwochvormittag charmant ein: "Ihr könnts ruhig du sagen – so viel älter bin ich nicht." Auf Augenhöhe mit dem Außenminister – so etwas kommt bei den Schülern gut an. Es ist Platz für Humorvolles ("Auch die Matura geht vorbei – und dann kommt eine richtig lässige Zeit"), da stört die Härte in der Sache gleich deutlich weniger ("Also, mein Zugang ist, dass wir den Strom der Zuwanderung reduzieren müssen"). Mit dem Läuten der Pausenglocke stellt sich auch Zufriedenheit unter den Siebtklässlern ein. "Man muss nicht jede seiner Ansichten teilen, aber er ist ein anderer Typ Politiker – einer, der ankommt. Vor allem bei den jungen Menschen", bilanziert ein Schüler. Und Sebastian Kurz dankt es mit einem Lächeln, einem Selfie und einem Autogramm auf dem Deutschheft.

Im schwarzen Tirol ist der ÖVP-Hoffnungsträger ebenso ein gern gesehener Gast. Zuletzt war Kurz auffallend oft zu Besuch beim mittlerweile längstdienenden schwarzen Landeshauptmann Günther Platter. Der hält große Stücke auf den 30-Jährigen. Vor allem der Auftritt des Außenministers beim Gauder-Fest im Zillertal am vergangenen Wochenende befeuerte Spekulationen über baldige Neuwahlen. Selbst die Veranstalter zeigten sich überrascht vom Aufmarsch der ÖVP-Granden. Neben dem Landeshauptmann zählt eigentlich nur Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter aus Brandenberg zum Inventar des größten Trachtenfestes Österreichs. Doch heuer kam Rupprechter in Begleitung von Justizminister Wolfgang Brandstetter – und Kurz.

Kurz beim Tirol-Empfang in Wien mit Tirols Landeshauptmann Günther Platter.
Foto: e & k public relations/WILLIAM TADROS

Wir hätten ja fast eine Regierungssitzung am Gauder-Fest einberufen können", zeigte sich Organisator Martin Lechner überrascht. Er vermutete Vorwahlkampf hinter dem Ministerauftrieb im Zillertal. Der Wiener Kurz gab sich im Festzelt volksnah, trug dem Anlass geschuldet Loden und kehrte den Traditionalisten hervor: "Ich finde es klasse, dass in einer Zeit, in der viele unsere Werte und Traditionen infrage stellen, diese im Zillertal hochgehalten werden."

Wenn er die Zillertaler verstehe, sei Kurz bereit für größere Aufgaben, witzelte die Kunstfigur Gambrinus im Zuge der traditionellen Gauder-Fest-Büttenrede. Die Tiroler ÖVP-Granden nickten zustimmend. Die Feuerprobe im heiligen ÖVP-Land hat der Youngster damit bestanden. "Kurz ist sehr populär und genießt hohe Anerkennung in der Bevölkerung", sagte Platter am Rande der Landeshauptleutekonferenz, die diese Woche im Tiroler Alpbach stattgefunden hat. Um diese Aussage zu unterstreichen, nannte er dessen Auftritt beim Gauder-Fest: "Als er vom Moderator begrüßt wurde und aufgestanden ist, jubelte das ganze Festzelt." Eine seltene Liebesbekundung für einen Bundespolitiker, die im tiefsten Zillertal sonst nur dem singenden Landeshauptmann zuteilwird, wenn dieser Dem Land Tirol die Treue anstimmt.

Verkrustete Strukturen

Genau einen Monat davor war der "größte Hoffnungsträger der ÖVP", so Günther Platter über Sebastian Kurz, ebenfalls in Innsbruck zu Gast. Bei seinem Auftritt in einem Verbindungshaus des Cartellverbandes drängten sich Studenten und vor allem Studentinnen jeglichen politischen Spektrums im überfüllten Festsaal, um sich persönlich einen Eindruck vom möglichen nächsten VP-Kanzlerkandidaten zu verschaffen. Darauf angesprochen, was sie an Kurz interessiert, erzählten mehrere Besucherinnen und Besucher, dass er mangels Alternativen derzeit der wählbarste Politiker für sie sei. Bei diesem Auftritt schlüpfte der Jungstar in die Rolle des Studenten und vermittelte den durchwegs jungen Zuhörern damit, einer von ihnen zu sein. Er unterhielt das Publikum mit launigen Schwänken aus seiner Zeit als Jungpolitiker und versuchte damit ein Wir-Gefühl zu erzeugen.

Dabei sparte er nicht mit Seitenhiebe auf die verkrusteten Strukturen der eigenen Partei. Im Alter von 16 Jahren habe er begonnen, sich für Politik zu interessieren. Er wandte sich an den Bezirksobmann der JVP Meidling, erzählte Kurz: "Aber der machte den Eindruck, dass ich der Erste bin, der sich bei ihm meldet und mitarbeiten will." Sein Engagement sei nicht wirklich erwidert worden, sagt der Außenminister. Beinah habe die ÖVP sich selbst um ihren Jungstar gebracht. Trotz lustiger Anekdoten, kamen einige kritische Fragen aus dem Publikum. Die tat der Showman Kurz charmant ab, ohne tatsächlich inhaltlich darauf einzugehen. Kritik wird weggelächelt.

Dass die Inszenierungen des Hoffnungsträgers durchgeplant sind, zeigte sich im Nachhinein. Eine JVP-Funktionärin erklärte im Gespräch mit dem STANDARD, dass sie Kurz persönlich kenne und ein Fan von ihm sei. Allerdings halte sie ihn für zu jung, um bereits das Ruder in der Partei und im Land zu übernehmen. Sie sehe Kern weiter als Kanzler und Kurz als Außenminister. Wenige Stunden nach Veröffentlichung dieser Aussage kam der Anruf von Kurz' Stab in der Redaktion. Bei diesem Zitat müsse ein Fehler passiert sein, die junge Dame sei falsch verstanden worden. Die Betroffene zeigte sich zerknirscht und bat um Löschung ihres Namens. Sie habe nicht bedacht, welche Konsequenz ihre Aussage für sie haben könnte. Während man Kritik nach außen weglächelt, wird sie im Team Kurz intern beinhart bestraft.

Sebastian Kurz mit dem Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl und Gattin auf der Grazer Opernredoute.
Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

Doch nicht immer werden Kurz-Besuche in den Bundesländern zum medialen Großevent. So sah sich das Marketingteam des Jungpolitikers bei der Vorbereitung seines jüngsten Vorarlbergbesuches mit heftiger Kritik konfrontiert. Der Minister war zusammen mit Landeshauptmann Markus Wallner (VP) zu einer Diskussion der Schülerunion geladen. Die Schulbehörde ließ sich nicht lumpen und ermöglichte interessierten Jugendlichen Schulfreistellungen. Es hagelte Proteste der Opposition, Anfragen im Nationalrat und im Landtag.

Schulfrei für eine Parteiveranstaltung, das verstoße gegen das Gesetz, sagte Grünen-Bildungssprecher Harald Walser und vermutete Vorwahlkampf der ÖVP-Politiker. Der Landesschulrat argumentierte mit "Möglichkeit zu politischer Bildung" und rechtfertigte die Entscheidung damit, dass Kurz und Wallner in ihrer öffentlichen Funktion kämen, nicht als ÖVP-Vertreter.

Die Kritik hatte Folgen. Der Besuch des jungen Ministers wurde nicht beworben, in keinem Presseaviso erwähnt. Die ÖVP hielt den Ball flach, der Jungstar sollte nicht weiter angepatzt werden. Man blieb bei der Diskussion unter sich.

Am Freitag hat Außenminister Sebastian Kurz die nächste Sprosse seiner steilen Karriereleiter erklommen. Die in Alpbach versammelten Landeshauptleute degradierte er zu seinen Statisten, während er selbst Neuwahlen ausrief. (Steffen Arora, Jutta Berger, Markus Rohrhofer, 13.5.2017)