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Kohlebbau in Belchatów nahe Lódz: Die polnische Regierung räumt der Kohle zwar Vorrang ein, weil zigtausend Beschäftigte damit ihr Brot verdienen. Gleichzeit wird nun aber auch Solarenergie ausgebaut, weil Wassermangel die Kühlung der Kohlekraftwerke im Sommer immer mehr erschwert.

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STANDARD: Seit dem Amtsantritt von Donald Trump spürt die Öl-, Gas- und Kohleindustrie in den USA wieder Aufwind. In Europa auch?

Turmes: Trump ist ein Faktum, aber Energiepolitik hat zum Glück auch etwas mit Ökonomie zu tun. Der neue US-Präsident kann den Kohlearbeitern noch so viel versprechen – es wird in den USA keine Renaissance der Kohle geben.

STANDARD: Was macht Sie so sicher?

Turmes: Weil in den USA nicht nur Gas, sondern auch erneuerbare Energien wie Wind- und Solarstrom billiger sind. Die Investoren werden sich fragen: Ist Trump in vier Jahren noch da? Man baut kein Kohlekraftwerk für so kurze Zeit. Ich bin also relativ optimistisch, dass da nichts mehr kommt. Solange wir es fertigbringen, den Ausstieg Trumps aus der Klimapolitik international zu begrenzen ...

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Glaubt nicht, dass die Investoren dauerhaft auf Trump setzen: Claudes Turmes.
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STANDARD: ... heißt, die USA im Pariser Klimaschutzabkommen zu halten?

Turmes: Das wird es wohl nicht spielen. Trump will noch in dieser Woche aus dem Pariser Abkommen aussteigen. Wir haben es aber in der Hand, die Auswirkungen möglichst gering zu halten.

STANDARD: Das wäre was?

Turmes: Europa sollte dann bereit sein, mehr zu tun. Das heißt auch mehr Geld in die Hand zu nehmen, weil die Amerikaner bisher auch einen Teil der Klimaforschung finanziert haben. Außerdem sollten wir einen Schulterschluss mit China versuchen. Der für Energie- und Klimaschutz zuständige Kommissar Miguel Arias Cañete war zuletzt mehrmals in Peking, um die Antwort vorzubereiten, wenn Trump aus dem Pariser Vertrag aussteigt.

STANDARD: Andererseits gibt es auch in Europa starke Widerstände gegen eine stringente Energie- und Klimapolitik. Solange das Einstimmigkeitsprinzip in der EU gilt, scheint kein Durchbruch möglich zu sein.

Turmes: Bleiben wir beim schwierigsten Partner in der Klimapolitik, bei Polen. Die Regierung in Warschau sagt, wir setzen weiter auf Kohle. Kohle ist aber im Klimazeitalter ein No-Go. Realität ist, dass Polen in den nächsten drei Jahren 3000 Megawatt Solarkraft bauen wird. Warum? Weil sie ein akutes Stromversorgungsproblem im Sommer haben. Es gibt zu wenig Wasser, um die Kohlekraftwerke zu kühlen. Die polnische Regulierungsbehörde hat der Regierung und dem Übertragungsnetzbetreiber gesagt: Wenn ihr nicht 3000 Megawatt Solar bis 2021 baut, können wir ein Blackout im Sommer nicht ausschließen.

STANDARD: Polen müsste aber neue Jobs für die Kohlearbeiter finden.

Turmes: Das ist der eigentliche Knackpunkt. Ich möchte, dass die EU-Kommission im nächsten Energiebericht im November Maßnahmen benennt, um die Handvoll Kohleregionen in Südpolen, in Teilen Rumäniens, in geringerem Ausmaß auch in Griechenland und Bulgarien aus der alten in die neue Welt zu bringen.

STANDARD: Gehört eine bessere Dotierung der Strukturfonds dazu?

Turmes: Es geht nicht nur um Geld. Ich habe zur Kommission gesagt, wir brauchen ein Exzellenznetzwerk von Leuten, die beim Umbau der alten Kohlegebiete im Ruhrgebiet oder Wales dabei waren. Deren Erfahrungen sollten wir nutzen. Politik ist aber immer auch Zuckerbrot und Peitsche.

STANDARD: Was wäre in dem Konnex die Peitsche für Polen?

Turmes: Dass wir ihnen über Brüssel die Förderung neuer Kohlekraftwerke untersagen, wenn diese mehr als 550 Gramm je Kilowattstunde CO2 ausstoßen.

STANDARD: Und das Zuckerbrot?

Turmes: Das könnten ideelle und finanzielle Hilfen bei Offshore-Wind und beim Strukturwandel in den Kohlerevieren im Süden des Landes sein. Da an der polnischen Ostseeküste genauso viel Wind ist wie an der deutschen und dänischen Küste, sind Offshore-Windanlagen eine wirtschaftliche Alternative zu Kohleverstromung.

STANDARD: In Österreich wird gerade heftig um eine kleine Novelle zum Ökostromgesetz gerungen ...

Turmes: Ich bin Luxemburger und Europapolitiker. Es ist immer etwas anmaßend, von außen zu kommentieren. Aus der Distanz betrachtet sehe ich, Österreich stagniert bei erneuerbaren Energien. Zugespitzt gesagt frage ich mich, warum SPÖ und ÖVP lieber haben, dass tschechischer Atom- oder polnischer Kohlestrom ins Land kommt, statt dass etwa im Burgenland relativ kostengünstig weitere Windkraftanlagen errichtet werden. Ich bin froh und danke der österreichischen Bevölkerung, dass es eine so breite Allianz gegen Atom gibt. Aber wenn ich ein Spiel gewinnen will, darf ich nicht nur defensiv agieren.

STANDARD: Sondern?

Turmes: Dann muss ich für mehr erneuerbare Energien und Energieeffizienz in Brüssel kämpfen. Je schärfer und ambitionierter die Erneuerbaren-Ziele für 2030 sind, desto enger wird es für neue AKWs in Tschechien und der Slowakei. Und der Druck, alte Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen, nimmt auch noch zu. Im Spiel Österreich gegen Atomkraft fehlen in den österreichischen Reihen derzeit die Offensivspieler. Aber das kann sich ja noch ändern. (Günther Strobl, 8.5.2017)