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Emmanuel Macron wahlkämpft in Lyon.

Foto: AP/Euler

Er ist jung, smart, dynamisch. "Und was für ein Lächeln!", findet Inès, eine junge Biotechnikerin aus Lyon, die am Samstag mit 16.000 Interessierten in den hiesigen Sportpalast gepilgert ist, um das Phänomen Macron live zu erleben. Gekommen ist Inès aber nicht wegen des Lächelns, wie sie gleich betont. Sie hat genug von der Linken, genug von François Hollande, dem sie 2012 die Stimme gegeben hatte. Und die Rechte kommt für sie ohnehin nicht in Frage – "die haben doch allesamt Affären am Hals, sei es Chirac, Sarkozy oder nun Fillon".

5000 Besucher finden keinen Platz in der Sportarena. Um sich in der Winterluft aufzuwärmen, skandieren sie "Macron président". Im Innern sagt Laurence Haïm, eine ehemalige USA-Korrespondentin des französischen Fernsehens, die Euphorie dieser Kampagne erinnere sie an Barack Obamas Wahlkampf von 2006. Lyons sozialistischer Bürgermeister Gérard Collomb widerspricht den zahlreichen Medienkommentaren, die "Macronmanie" sei künstlich und werde bald in sich zusammenfallen: "Wir sind keine Blase, wir sind eine gewaltige Welle!"

Endlich tritt Macron in den dunklen Saal, ohne jeden Scheinwerferkegel. Der 39-jährige Charmeur wider Willen will nicht Star sein, auch nicht Favorit – auf jeden Fall noch nicht jetzt. Die Präsidentschaftswahlen sind erst in drei Monaten, und Macron weiß, dass die Dinge fast zu gut laufen für ihn: Im Dezember hatte Hollande auf eine Wiederkandidatur verzichtet; bei den Primärwahlen der Sozialisten blieb sodann Ex-Premier Manuel Valls auf der Strecke; und jetzt erwischt es auch noch Fillon.

Fillon-Affäre

Wegen dessen Scheinjobaffäre liegt Macron in den Umfragen plötzlich vorn. Dabei hat er noch nicht einmal ein Programm vorzulegen. Aus diesem Grund bemüht sich der Ex-Investmentbanker mit dem sozialen Touch für einmal, konkret zu werden. Er werde den Mindestlohnbeziehern pro Monat 100 Euro mehr zusprechen, kündigt er seinen Anhängern an. Eine linke Maßnahme? Nein, Macron begründet die Lohnerhöhung mit einem rechten Argument: "Ich will, wie ihr alle, nicht mehr hören, dass es in Frankreich einträglicher sei, von der Sozialhilfe zu leben statt zu arbeiten."

Um die enttäuschten Fillon-Wähler anzuziehen, verspricht Macron auch, den Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Auch den Etat für die Terrorbekämpfung will er erhöhen – und moslemische Männer, die Frauen die Hand nicht schütteln wollen, nicht akzeptieren. Den Vorschlag des linkssozialistischen Präsidentschaftskandidaten Benoît Hamon, die Roboter zu besteuern, lehnt der einstige Wirtschaftsminister der Linksregierung ab: "Es gibt in Frankreich nicht zuviele, sondern zuwenige Roboter." Als Hamon im Saal ausgebuht wird, unterbricht Macron: "Pfeift nie jemanden aus! Man baut kein politisches Projekt mit Pfiffen."

Bauchredner

Der Gentleman-Kandidat kann aber auch austeilen. "Einige sprechen im Namen des Volkes", greift er den Front National an, der am Sonntag ebenfalls in Lyon Marine Le Pen auf einem Parteitag inthronisieren will. "Aber es sind nur Bauchredner", fügt Macron nach einer Kunstpause an. "Unser Kampf besteht darin, zu erreichen, dass nichts dem Front National nützt." Vom Vater zur Tochter, von der Tochter zur Nichte schürten Jean-Marie, Marine und Marion Le Pen Misstrauen, diese "demokratische Lepra", meint Macron.

An diesem Abend tritt er als Gegenprojekt zu Le Pen auf. Er ist der einzige der französischen Kandidaten, dem es gelingt, Europa und die Partnerschaft mit Deutschland applaudieren zu lassen. "Europe, Europe!" skandiert der Saal. Seine Themen sind nicht Dekadenz, Hass oder Protektionismus, sondern Hoffnung, Öffnung, ja Liebe. Was bei jedem anderen Politiker peinlich klingen würde, lässt hier den Saal erschauern, wenn Macron mit seinen blauen Augen eindringlich ins Rund blickt und ausruft: "Ich liebe euch wahnsinnig!"

Jetzt fällt seine Zurückhaltung ab, und Macron setzt wieder sein teuflisch verführerisches Lächeln auf. "Politiker sein ist kein Beruf, sondern eine Berufung", bedeutet er seien Fans mit Vibrato in der Stimme und beseeltem Blick. Kein Zweifel: Der Nordfranzose, der mit 16 schon seine Französischlehrerin bezirzte – sie sitzt heute als seine Gemahlin in der ersten Saalreihe – , will jetzt auch Frankreich im Sturm nehmen. Als der Saal zum Schluss die obligate Marseillaise anstimmt, steht Macron ganz allein in der Mitte und singt mit geschlossenen Augen mit, glücklich über seine Mission. (Stefan Brändle aus Lyon, 4.2.2017)