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Make America great again: Charlie Kirk spricht beim Parteitag der Republikaner in Cleveland im Sommer 2016.

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Harvard-Professorin Naomi Oreskes stand auf der Liste.

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Trump-freundliche Studentenkundgebung an der Liberty University. Die Uni wurde vom radikalen Baptistenprediger Jerry Falwell gegründet.

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Charlie Kirk, nicht einmal 23 Jahre jung, erfreute sich im November 2016 einer plötzlichen Popularität. Der konservative Jungpolitiker, Gründer der Plattform "Turning Point USA", startete ein aufsehenerregendes Onlineportal: "professorwatchlist.com". Hier werden, wie der Betreiber der Website stolz verkündet, "antiamerikanische, linksgerichtete" Universitäts- und Collegelehrer aufgelistet – mit einer Aufforderung, weitere Namen zu nennen. Man könnte auch sagen: zu denunzieren.

Auffallend war nicht zuletzt der Starttermin: Die "Professor Watchlist" ging online, einen Tag nachdem Richard Spencer, Führungsfigur der rechtsextremen Alt-Right-Bewegung, beim Rufen der Worte "Heil Trump!" gefilmt worden war. Hat da nicht jemand die Aufbruchsstimmung im konservativen und extrem rechten politischen Lager der USA für seine Sache genützt? Kirk beteuerte in einem Gespräch mit der Onlinezeitung "Slate", das sei alles purer Zufall gewesen. Die Website sei seit Monaten geplant gewesen und habe auch gar nichts mit dem Wahlerfolg Trumps zu tun.

Kirk meinte, dass er das Recht der auf der Watchlist genannten Professoren, ihre Meinung zu äußern, jederzeit verteidigen würde. Dass er keinen Druck ausüben wolle. Es gehe ihm nur um "awareness" für Studenten, die für diese Vorlesungen ja schließlich bezahlten.

Sorgen um die Sicherheit

"Slate"-Journalistin Rebecca Schuman meinte, im Umfeld eines immer stärker werdenden Rechtspopulismus in den Vereinigten Staaten "mache ich mir aber Sorgen um die Sicherheit derer, die auf dieser Watchlist stehen". Und das sind im amerikanischen Hochschulbetrieb nicht unbekannte Persönlichkeiten: Nancy Scheper-Hughes, Anthropologin von der University of California in Berkeley, wird genannt, weil sie in einem Blog die US-amerikanische Waffenlobby mitverantwortlich machte für das Massaker in einem Schwulen-Nachtclub in Orlando im Juni 2016.

Dale Maharidge, ein Journalismus-Professor an der Columbia University, steht auf der Watchlist, weil er sich nicht mit Undercover-Videos der rechten Plattform "Project Veritas" anfreunden konnte und verärgert reagierte. Er antwortete auf Twitter mit Ironie und schrieb, er verabreiche seinen Studenten Kaffee aus Bohnen von Linkslinken aus Guatemala, sagte aber später etwas nachdenklicher laut "Guardian": "Ich lachte über die Leute, die diese Watchlist gestalten, mache mir aber gleichzeitig Sorgen. Das sind Clowns, aber im Europa der 1930er-Jahre und während der McCarthy-Ära in den USA gab es sie auch, diese Clowns."

Auch die renommierte Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes wagt den Vergleich mit jener Zeit in den frühen 1950er-Jahren, in der der US-amerikanische Senator Joseph McCarthy und das Komitee für unamerikanische Umtriebe eine Hexenjagd auf tatsächliche und angebliche Kommunisten veranstalteten. "Definite aroma of Joe McCarthy!", lässt sie den STANDARD per Mail wissen.

Sorge und Ironie

Sie sei auch auf der Liste gestanden, "aber irgendwann sind ich und andere Harvard-Professoren wieder gelöscht worden. Vielleicht hat die Universität interveniert." Oreskes tritt seit vielen Jahren gegen die US-amerikanische Lobby der Klimaskeptiker auf. Sie warnte auch vor der Wahl Donald Trumps, der ja mehrfach seine Zweifel an wissenschaftlich belegten Fakten zum Klimawandel verkündet hat.

Insgesamt finden sich etwas 200 Professoren auf der Liste. Jeweils mit Foto und mit einer Begründung für die zweifelhafte Ehre – dazu ein Quellennachweis aus dem Netz. Auf der rechtspopulistischen Website "breitbart.com" freute man sich über die Onlineplattform und kommentierte: "It's no secret that some of America's college professors are totally out of line."

Seriöse Medien und nicht betroffene Wissenschafter, aber auch Studenten reagierten teilweise mit Sorge, teilweise mit Ironie. Sie machten via Twitter Selbstanzeige. "Ich glaube, ich muss meine Schuld eingestehen. Ich habe meinen Studenten gesagt, dass es den weltweiten Klimawandel gibt." Derartige Nachrichten wurden mit dem Hashtag "Trollprofessorwatchlist" versendet.

Die American Association of University Professors sammelte schließlich Unterschriften von Hochschullehrern, die sich mit den auf der Watchlist genannten Personen solidarisierten und aus diesem Grund die Aufnahme in die Reihen der als links denunzierten Kollegen forderten. "Add my name to the Professor Watchlist" wurde bisher fast 12.000-mal unterschrieben.

Ist das nicht zu viel der Aufregung? Gibt man der Plattform zu viel mediale Aufmerksamkeit und macht sie damit wichtiger, als sie ist? Oreskes scheint die "Professor Watchlist" trotz ihrer Assoziationen mit der McCarthy-Ära als keine Besonderheit zu betrachten. Sie sei schon auf mehreren Listen gestanden.

Potenzielle Opfer

Stanford-Literaturwissenschafter Hans Ulrich Gumbrecht, selbst nicht betroffen, fand im STANDARD-Gespräch sogar recht provokante Worte: "Nichts erfüllt den Wunschtraum vieler meiner Kollegen vollkommener als die Professorenwatchlist: Denn dort erwähnt zu sein macht ihren Traum zu einer – schwachen – Realität, erstens politisch relevant zu sein und zweitens als potenzielle Opfer ein gefährliches Leben zu führen." Er sehe keine Gefahr für die akademische Freiheit. Und betonte: "Überhaupt nicht!"

Ob das wirklich so ist, wird sich womöglich erst im Laufe der Regierung erweisen. Die Watchlist könne die Stimmung an den Hochschulen aggressiv machen, heißt es in amerikanischen Unikreisen. Und: Es sei schon – unabhängig von der Plattform – zu anonymen Drohungen gegen Professoren gekommen, die Themen wie Rassismus oder Klimawandel in ihren Vorlesungen besprochen hatten.

Derweil gilt "Turning Point"- und "Watchlist"-Gründer Charlie Kirk ob seiner Jugend und seiner Erfolge als "conservative boy wonder". Seine rhetorischen Qualitäten scheint er offenbar schon 2012 im zarten Alter von 18 Jahren bewiesen zu haben. Damals dürfte er Medienberichten zufolge ohne Mühe mit Reden sein Publikum gefesselt haben.

Das nötige Kleingeld

Als er im besagten Jahr den Parteitag der Republikaner in Tampa, Florida, besuchte, sah er zufällig den Geschäftsmann Foster Friess auf den Stiegen. Natürlich hatte er zuerst die Liste möglicher Financiers der Republikaner genau studiert.

Friess hatte schon mehrfach bewiesen, dass er das Herz und das nötige Kleingeld für Amerikas rechtes Lager hat. Kirk sprach ihn genau deshalb an, wie der Nachrichtenchannel Bloomberg auf seiner Website berichtet. Er wolle eine Community-Plattform für junge konservative US-Amerikaner gründen und sie zu Aktivitäten im Geiste dieser Werte motivieren – als Gegenpol zur damals schon bekannten Plattform "moveon.org", die sich als "democracy in action" bezeichnet.

Drei Wochen später hielt er von Friess einen Scheck mit einem fünfstelligen Betrag in Händen. Das war umso überraschender, als der reiche Mann gerade nicht weniger als 1,5 Millionen Euro zur Unterstützung eines letztlich nicht nominierten republikanischen Präsidentschaftskandidaten gespendet hatte.

Starke Präsenz an Colleges

"Turning Point" hat mittlerweile starke Präsenz an etwa 800 Colleges in den USA, wo um weitere Freunde der Bewegung und natürlich auch um finanzielle Unterstützung geworben wird. Kirk selbst war auch im Vorfeld der vergangenen Präsidentenwahl umtriebig: Anfang 2015 organisierte er eine "Government Sucks"-Kundgebung mit Ted Cruz und Rand Paul, den republikanischen Senatoren von Texas und Kentucky, auf der Conservative Political Action Conference.

Kurze Zeit später brachte das Magazin "The Atlantic", das sich gegen Trump positionierte, ein Porträt über den jungen Konservativen: "The 21-Year-Old Becoming a Major Player in Conservative Politics". Möglicherweise würde er bald eine noch größere Rolle spielen. Eine Einschätzung, die richtig zu sein scheint. Kirk, der auf eine Anfrage des STANDARD nicht reagierte, wirkt auch in Interviews nicht so, als würde er am Ziel seiner Träume sein. (Peter Illetschko, 14.1.2017)