Mevlüt Çavuşoğlu geht ob der österreichischen Haltung die Hutschnur hoch.

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Der türkische Außenminister Mevlüt Çavusoglu will nicht mehr diskutieren. "Ihr Parlament fasst Beschlüsse gegen uns, und die Medien berichten schlecht über uns", sagte er über Österreich. Vor allem aber ist er verärgert über die Forderung Österreichs, die Beitrittsgespräche der EU mit der Türkei einzufrieren. Daher wolle er künftig "auf allen Ebenen gegen Österreich auftreten", sagte er in einem Interview mit einem türkischen TV-Sender.

Zudem wiederholte Çavusoglu die Drohung der Türkei, das Flüchtlingsabkommen mit der EU aufzukündigen – etwa dann, wenn Österreich nicht "höflicher auftrete" oder es weiter keine Fortschritte bei den Verhandlungen über die Visafreiheit gebe. "Erst hätte sie im Juni kommen sollen, dann im Oktober, jetzt diskutieren wir noch immer."

Kurz hatte vor zwei Tagen mit seinem Veto eine gemeinsame Erklärung des EU-Ministerrats zu den Beitrittsgesprächen verhindert. Kanzler Christian Kern verteidigte vor Beginn des EU-Gipfels seinerseits Österreichs Blockade in der Türkei-Frage.

"Schlagen Tür nicht zu"

Auf die Aussagen Çavusoglus, die zum Zeitpunkt des Kern-Interviews noch nicht bekannt waren, reagierte wenig später Österreichs Außenministerium. "Wir haben unseren Standpunkt gut begründet und klar dargelegt. Ich erwarte von allen, dass man sich sachlich auseinandersetzt. Wir sind weiter offen für den Dialog und Kooperation und schlagen die Tür nicht zu", wurde Außenminister Kurz via Aussendung zitiert.

Allerdings werde es in Sachen Rechtsstaat kein Einlenken geben. "In Fragen des EU-Beitritts sowie der Freiheitsrechte, der Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Justiz haben wir eine klare Meinung und behalten diese bei."

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) bezeichnete die Reaktion der Türkei am späten Donnerstagabend dann als "völlig überzogen". "Mangelnde Höflichkeit ist überhaupt nicht der Punkt, es gibt inhaltlichen Dissens", sagte Kern nach dem EU-Gipfel.

Die österreichische Position sei, dass "ein EU-Beitritt der Türkei nicht infrage" kommt, erklärte Kern. Allerdings werde stets betont, die Türkei sei "ein wichtiger Partner" etwa in der Wirtschaft- und Sicherheitspolitik sowie in der Flüchtlingsfrage. Auch setze das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei, mit dessen Aufkündigung Ankara der EU oftmals droht, "uns nicht einer einseitigen Erpressung" aus, sagte der Bundeskanzler im Hinblick auf die wirtschaftliche Abhängigkeit der Türkei. Es gebe "viel zu gewinnen und viel zu verlieren – auf beiden Seiten."

Erdogan: Türkei Teil Europas

Staatschef Tayyip Erdogan betonte am Donnerstagabend nach einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrats in Ankara, die Türkei sei ein Teil Europas, der nicht abgetrennt werden könne.

In der Türkei rätselten viele Bürger über Erdogans Absichten in einer anderen Angelegenheit. Der Präsident hatte am Vortag eine "nationale Mobilmachung" verkündet, die Ziele aber vorerst offengelassen. Im Amtsblatt stand am Donnerstag nichts von der Mobilisierung. Kein neues Dekret ist veröffentlicht worden, seit der Präsident in einer Rede am Mittwoch diesen radikalen Schritt verkündet hat. Nach der Sitzung des Sicherheitsrats schien Erdogan die Aufregung über die Mobilmachung beruhigen zu wollen. Sie sei in erster Linie ein Aufruf zum solidarischen Kampf des Volks gegen den Terrorismus gewesen, erklärte er. Die "seferberlik" – die nationale Mobilisierung – galt in der Türkei im Ersten Weltkrieg und während des anschließenden Befreiungskriegs bis zur Gründung der Republik 1923.

Mit dem Befreiungskrieg gegen Russland und die westlichen Mächte vergleicht Erdogan auch heute die Lage im Land. Für den Kampf gegen den Terrorismus erkläre er nun, gestützt auf den Artikel 104 der Verfassung, die Mobilisierung der Nation, hatte Erdogan verkündet.

Kompetenzen des Präsidenten

Artikel 104 legt die Kompetenzen des Präsidenten im offiziell noch geltenden parlamentarischen System fest; der Begriff der "Mobilisierung" taucht dort allerdings nicht auf. Er ist in einem Gesetz aus dem Jahr 1983 geregelt, geschrieben von den damals erfolgreichen Putschgenerälen.

Der Beschluss der Mobilmachung muss demnach im Amtsblatt veröffentlicht und noch am selben Tag dem Parlament vorgelegt werden. Staatschef und Regierung beauftragen Befehlshaber mit der Herstellung der allgemeinen Sicherheit. Konkret genannt werden die Sicherung von See- und Flughäfen sowie die Suche nach "Agenten, die subversive Aktionen ausführen", wenn nötig auch mit Unterstützung von "Hilfskräften" – eine Umschreibung für Bürgerwehren. Erdogan rief in seiner Rede die Bevölkerung auf, Verdächtige den Behörden zu melden.

Bereits nach dem vereitelten Putsch im Juli hatte ein Erdogan-Berater auf die Bewaffnung der Bevölkerung gedrängt, um die Demokratie zu verteidigen. Bei dem Anschlag von zwei Selbstmordattentätern nach einem Fußballspiel im Besiktas-Stadion in Istanbul waren am Samstag 44 Menschen getötet worden, 36 von ihnen Polizisten. Eine Splittergruppe der kurdischen Untergrundarmee PKK bekannte sich dazu. (mab, red, APA, 15.12.2016)