B wie Bildung: An den Schulen wüssten sie, wie es geht – nur die Strukturen hinderten Lehrer oft an Innovation und Reformen, sagt der IHS-Experte.

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Einmal mehr treffen in dieser Woche die Sozialpartner in Wien zusammen, um auf Expertenebene über die Bildungsreform zu verhandeln.

Glaubt man dem Institut für Höhere Studien (IHS), wird, selbst wenn sich alle mächtig anstrengen, wieder nichts dabei herauskommen. Denn: "Nicht gegensätzliche Positionen sind das Problem – sondern dass diese nicht in einem vernünftigen inhaltlichen Diskurs behandelt werden", heißt es in einem Positionspapier von IHS-Bildungsforscher Lorenz Lassnigg, das dem STANDARD vorliegt. Bildungsexperte Lassnigg hat sich die Problemfelder in der Bildungsdiskussion vorgenommen und minutiös in ihre Einzelteile zerlegt. Herausgekommen sind dabei neun "faktenbasierte Anregungen für eine neue Kultur in der Bildungspolitik und Bildungsreform", wie der Forscher schreibt. Der Untertitel darf als programmatisch verstanden werden: "Kooperation und Augenmaß".

Die größten Hemmschuhe für sinnvolle Innovationen im Bildungsbereich zählt Lassnigg eingangs auf: Der politische Diskurs sei von gegenseitiger Abwertung geprägt; Intransparenz der Finanzierungsströme und der Ressourcenverteilung; eine Interessenvertretung, die auf die Bewahrung materieller Vorteile beschränkt und innovationsfeindlich sei; dadurch wenig Durchlässigkeit zwischen Schulpraxis und Bildungsforschung. Die Lehrergewerkschaft führe einen Abwehrkampf gegen vermeintlich "praxisferne" bildungswissenschaftliche Institutionen – mit dem Bifie als "liebstem Pappkameraden".

Parallelstrukturen aufbauen

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten, erzählt der Bildungsforscher Lassnigg dem STANDARD, habe er persönlich das Gefühl, dass er wisse, "wie es gehen könnte". Und das, obwohl er sich selbst immer eifrig am Reformdiskurs beteiligt habe. Die Kurzformel (sehr vereinfacht) lautet dabei: nicht gleich das ganze Haus umbauen – wenn keiner das Geld hat und niemand weiß, wie man Ziegel richtig schichtet. Stattdessen: aufräumen, ausmisten, die Hütte mit bereits vorhandenen, aber längst vergessen geglaubten Schätzen neu aufmöbeln.

Die sechs Handlungsvorschläge, die Lassnigg aufzählt, klingen tatsächlich viel technischer und sind wissenschaftlich exakt ausformuliert. Das Um und Auf für den Forscher wäre, die professionelle von der standespolitischen Interessenvertretung der Lehrer zu trennen. Sprich: Die Lehrergewerkschaft sollte weiterhin für Gehalts- und Arbeitszeitfragen zuständig sein – aber nicht länger für inhaltliche Fragen. Lassnigg: "Wie man Kindern Dinge am besten beibringt, welche neuen Lehrmethoden es gibt, wie man Kinder fördert – das geht nur die Lehrer etwas an."

"Professionelle" Vertretung

Tatsächlich seien die Personalvertreter die einzige Konstante in der ansonsten sehr fragmentierten Bildungsdebatte: "Auf jeder Ebene bestimmen sie mit, und zumeist beschränkt sich ihr Beitrag auf das Verhindern von Innovation."

Daher müsse sich eine "professionelle Lehrervertretung" aufbauen – quasi in Eigenregie. Lassnigg stellt sich das so vor: "An jeder Schule in ganz Österreich gibt es engagierte Lehrer. Es ist einfach nicht wahr, dass es einen Reformstillstand gibt. Diese Lehrer sind ein zivilgesellschaftlicher Schatz. Sie müssen sich organisieren und mit den Kollegen von der Bildungsforschung zusammenschließen und austauschen." Allein dadurch, sagt Lassnigg, könne es einen "österreichweiten Schub an Bildungsinnovation" geben. Dafür brauche es eine Schulautonomie, die diesen Namen auch verdiene.

Der Forscher warnt freilich davor, diese "zentral, von oben herab" zu regeln: An manchen Standorten könne es gut funktionieren, dem Schulstandort selbst Eigenständigkeit zuzubilligen – andernorts wäre es sinnvoll, die Position der Kommunen (Städte) im Schulwesen zu stärken.

Alles neu rechnen

Voraussetzung wäre allerdings, zunächst einmal alle Daten zu erheben und zu sammeln: Welche Innovationen gibt es überhaupt im österreichischen Schulsystem, was machen die einzelnen Schulen, was funktioniert wo und warum? Dazu komme, dass "vollkommen unklar ist, wie hoch die Verwaltungsausgaben sind", so Lassnigg. Es gebe eine "erhebliche Differenz" zwischen dem Prozess des Geldausgebens im Schulwesen – und der Dokumentation darüber: Was ist Personalaufwand, was ist Sachaufgabe? So werde das für den AHS-Bereich teilweise anders berechnet als für den (übrigen) Pflichtschulbereich.

Das Thema "Föderalismusreform" würde Lassnigg dagegen nicht angreifen: "Wir müssen aufhören, in diesem Bereich über eine Veränderung zu fantasieren, das wird nie funktionieren." Daher müsse man mit den bestehenden Strukturen arbeiten – eben mit Parallelstrukturen, innerhalb derer den (nicht in der Personalvertretung organisierten) Lehrern eine entscheidende Rolle zukommt.

Die Gesamtschulfrage sieht der IHS-Experte ambivalent und möchte sie komplett neu aufrollen – mit mehr als einem Blick über die Landesgrenzen. Lassnigg: "In Österreich hinken wir den international geführten Debatten darüber meilenweit nach." (20.9.2016, Petra Stuiber)