Wien – Mario Berndorfer unterhält sich gerne über Mythologie. Oder über griechische Denker wie Plutarch und Sokrates. Das war es auch, was er in der Casa Kagran, einem Altenpflegewohnhaus der Caritas im 22. Bezirk Wiens, tat, als er vor rund einem Jahr anfing, sich dort freiwillig zu engagieren. Er bot Gespräche zu unterschiedlichen Themen an oder las den Bewohnerinnen und Bewohnern vor. Das kam gut an, und er begann auch bei Kinoabenden, Konzerten und Ausflügen auszuhelfen.

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Im Mai startete in dem Pflegewohnhaus ein weiteres Projekt: Um den Bewohnern eine Beschäftigung und mehr Mobilität zu bieten, werden nun Spazierfahrten in Fahrradrikschas organisiert. Eine Taxirikscha, in der eine Person sitzend Platz findet, sowie eine Rollstuhlrikscha wurden extra für die insgesamt 135 Senioren in der Casa Kagran angefertigt. "Cycling Without Age" (Radeln ohne Alter) heißt das Konzept, das aus Dänemark kommt.

Rikschafahrer in Peking

Mario Berndorfer fühlte sich sofort prädestiniert – übte sich der umtriebige 43-Jährige doch schon in Peking als Rikschafahrer. In der Donaustadt sei diese Aufgabe weit weniger stressig als in der chinesischen Millionenmetropole, sagt Berndorfer, der sich selbst als "unruhigen Geist" beschreibt: In der Vergangenheit arbeitete er etwa auch als Straßenbahnfahrer.

Er ist gelernter Maskenbildner und Perückenmacher. Derzeit studiert er Bildungswissenschaft in Wien und will im Herbst mit einem Psychologie-Fernstudium beginnen. Man sei "nie zu alt – auch nicht, um zu helfen".

Mario Berndorfer, der sich einen "unruhigen Geist" nennt, war auch schon Straßenbahnfahrer, bevor er ehrenamtlicher Taxirikschafahrer wurde.
Sarah Brugner

Die Freiwilligenarbeit, zu der ihn seine Frau motiviert habe, mache er, weil er etwas verändern wolle und weil er findet, dass man dabei etwas lernen kann – etwa über die Geschwindigkeit des Lebens. "Hier lebt man mit der Zeit", sagt Berndorfer über das Pflegeheim.

Gemächlichkeit

Beim Radeln sei das wichtig, denn es gehe immer darum, sich gemächlich und sicher fortzubewegen. Nicht nur, weil es den betagten Fahrgästen leicht zu schnell werden kann, sondern auch, damit sie Zeit zum Beobachten ihrer Umgebung und zum Plaudern haben; sei es mit Anrainern oder ihrem Rikschafahrer.

Berndorfer fährt als Rikschafahrer betagte Bewohner eines Pflegeheims der Caritas spazieren und motiviert Anrainer, dasselbe zu tun.
Sarah Brugner

Wie lange eine Fahrt dauert, entscheiden die Fahrgäste – manchen reichen 15 Minuten, andere lassen sich stundenlang kutschieren. Sie wollen etwa wissen, was es Neues im Grätzel gibt, ob die Blumen beim Nachbarn blühen oder wie es den Kindern der Familie zwei Häuser weiter geht.

Neugierige Passanten

"Wir ernten viele neugierige Blicke", sagt Berndorfer. Einmal habe jemand gefragt, ob die Rikschas als Taxis für die ganze Nachbarschaft zur Verfügung stünden. Berndorfer sei dann immer bemüht, das Konzept zu bewerben. Er erklärt auch gern, was beim Rikscharadeln zu beachten ist, und beruhigt: "Es ist nicht schwer zu lernen, nur Rad fahren sollte man schon vorher können." Der Enthusiasmus des 43-Jährigen, der selbst im Grätzel am Rennbahnweg wohnt, dürfte ansteckend wirken. Fast alle der aktuell zehn ehrenamtlichen Rikschafahrer wohnen im Viertel.

Heute fährt Berndorfer mit Frau Czintula spazieren. Weil er spät dran ist, ist sie in Sorge, sie könnte das Mittagessen verpassen. Doch das ist schnell vergessen, als es daran geht, ihren Rollstuhl auf die Rikscha zu schieben. Die Aufregung ist der 92-Jährigen ins Gesicht geschrieben, als sie sich den Helm aufsetzen lässt und zu ihrer ersten Rikschafahrt aufbricht. (Christa Minkin, 29.7.2016)