Mit Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer (links) an seiner Seite zieht FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in den Kampf gegen das Ergebnis der Präsidentenstichwahl.

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Wien – Die FPÖ ficht die Bundespräsidentenwahl an, konkret die Stichwahl, in der ihr Kandidat Norbert Hofer knapp Alexander Van der Bellen unterlag. Die Anfechtung ist bereits beim Verfassungsgerichtshof eingelangt, bestätigte dessen Sprecher Christian Neuwirth am Mittwoch. Die Richter würden sich auch "sofort an die Arbeit machen", um die Entscheidung über die Wahlanfechtung noch vor der geplanten Angelobung des neuen Bundespräsidenten am 8. Juli vorzulegen. Eine Garantie dafür gebe es aber nicht.

Van der Bellens Team reagierte unbeeindruckt: "Wir sehen dem gelassen entgegen", sagte Wahlkampfmanager Lothar Lockl im Ö1-"Mittagsjournal".

Hofer wiederum sagte dort, man müssen eben Pannen nachgehen. Er hält die Wahrscheinlichkeit, dass die Wahlanfechtung erfolgreich sein wird, für "exorbitant hoch", sagte er am Rande des Rechnungshofhearings. Die aufgezeigten Missstände dokumentierten einen "eklatanten Rechtsbruch", meint Hofer. "Es geht um eine halbe Million Stimmen, die nicht ordnungsgemäß erfasst worden sind."

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache trat um 11 Uhr mit seinem Anwaltsteam im FPÖ-Medienzentrum auf, an seiner Seite Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer und Rüdiger Schender von der Anwaltskanzlei Böhmdorfer-Schender Rechtsanwälte. Strache will eine "generelle Wahlanfechtung" fordern, weil es bei den Wahlkarten zu vielen "Gesetzeswidrigkeiten" gekommen sei, also nicht nur in einzelnen Bezirken, wo Unregelmäßigkeiten bekannt wurden.

Ob mit Absicht manipuliert worden sei, "kann und will ich niemandem unterstellen", sagte Strache, er fordert aber Aufklärung, zumal die FPÖ Hinweise habe, "dass Gesetze gebrochen wurden". Eine Neuaustragung der Stichwahl zwischen Hofer und Van der Bellen "wäre in Wahrheit der Weg", auf die Ungereimtheiten bei der Wahl zu reagieren.

Ohne Pannen wäre Hofer Präsident

Strache sprach von einer "Unzahl von Unregelmäßigkeiten und Pannen" und fügte hinzu: "Wir sind keine schlechten Verlierer, da geht es um die Grundfeste der Demokratie, die gesichert sein müssen." Vor allem aber, so Strache: "Ohne diese Pannen und Unregelmäßigkeiten hätte Hofer Präsident werden können."

Insgesamt wurden beim Verfassungsgerichtshof drei Anfechtungen eingebracht – eine von Strache selbst als Zustellungsbevollmächtigtem, eine vom Präsidentschaftskandidaten Hofer und eine dritte von einem "Wähler und Bürger".

Es geht der FPÖ um 570.000 Briefwahlkarten

Strache sagte, es seien in 94 der 117 Bezirkswahlbehörden Gesetzeswidrigkeiten festgestellt worden. So seien in 82 Bezirkswahlbehörden Briefwahlkarten vor Eintreffen der Wahlkommission vorsortiert worden – das betreffe mehr als 570.000 Wahlkarten. Das "Misstrauen ist gerechtfertigt", sagte der FPÖ-Chef, der betonte: "Wir fechten die Wahl nicht um der Anfechtung willen an. Wenn es durch unzählige Hinweise zu so einem Ergebnis kommt, dass wir so ein Desaster feststellen müssen, können wir das nicht hinnehmen." Derartige Vorkommnisse könnten nicht als "irrelevant für den Wahlausgang vom Tisch gewischt werden. Wer darüber hinwegsieht und zur Tagesordnung übergeht, der hat kein ausreichendes Demokratieverständnis."

Eidesstattliche Erklärungen

Man habe "unzählige" eidesstattliche Erklärungen erhalten, die auf Unregelmäßigkeiten hinweisen. "Das Ausmaß dieser Feststellungen ist mehr als erschreckend und mehr als relevant", sagte Strache. Man sei dem Rechtsstaat und der Demokratie verpflichtet. "Ich fühle mich aus diesem Grund heraus verpflichtet, die Wahl anzufechten."

Auch Böhmdorfer und Schender hätten zur Anfechtung geraten. "Ob der Verfassungsgerichtshof dann zur Ansicht gelangen wird, ob das zur Wiederholung der Wahl oder zur teilweisen Wiederholung der Wahl führen wird, ist offen", so Strache.

Kernpunkt der Anfechtung sind jene Unregelmäßigkeiten, die die Auszählung der Briefwahlstimmen betreffen. In 82 Bezirkswahlbehörden orten die Freiheitlichen bei der Auszählung Mängel von unterschiedlicher Qualität. Dabei geht es um zu frühe Vorsortierung der Wahlkarten, zu frühe Öffnung der Wahlkartenkuverts oder eine zu frühe oder von nichtberechtigten Personen durchgeführte Auszählung der Briefwahlstimmen.

Falschfarbige Stimmkuverts

In weiteren Bezirkswahlbehörden seien falschfarbige Stimmkuverts an die Wähler verschickt worden, die dann bei der Stimmabgaben zum Teil als nichtig beziehungsweise ungültig oder aber auch als gültig gewertet wurden. Insgesamt kommt man so auf 94 Bezirkswahlbehörden, in denen es bei der Auszählung der Briefwahlstimmen zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein soll. Insgesamt würden die Verfehlungen schwer wiegen, so Strache: "Man nimmt das mit offenem Mund und fassungslos zur Kenntnis."

Neben der Auszählung der Briefwahlkarten weist die FPÖ in ihrer Anfechtung auch auf andere Unregelmäßigkeiten hin, etwa auf Hinweise, dass "nichtösterreichische Staatsbürger" an der Wahl teilgenommen haben und unter 16-Jährige ihre Stimme abgegeben hätten.

"Spitze des Eisbergs"

Böhmdorfer sagte, die in der Anfechtung angeführten Unregelmäßigkeiten würden wohl nur "die Spitze des Eisberges" darstellen. Er betonte, dass die Partei nicht die gesamte Anfechtung veröffentlichen könne, um die Ermittlungen nach den Anzeigen durch das Innenministerium wegen Unregelmäßigkeiten bei einigen Bezirkswahlbehörden nicht zu behindern.

Gefragt, für wie realistisch er die Wiederholung der Wahl halte, sagte Strache: "Für sehr realistisch, denn bei so einer dramatischen Situation kann man nicht zur Tagesordnung übergehen." Auf die Frage, ob es Hinweise gebe, dass mit Absicht manipuliert wurde, wollte sich der FPÖ-Chef nicht einlassen: "Wenn man mutwillig Gesetz bricht, geschieht das aus Dummheit, Unwissenheit oder Absicht." Er wolle aber niemandem Absicht unterstellen.

150 Seiten Anfechtungstext

Strache hat dazu 150 Seiten als Zustellungsbevollmächtigter beim Verfassungsgerichtshof eingereicht. Darin finden sich teils bekannte, teils unbekannte Vorwürfe zu Unregelmäßigkeiten vor allem beim Umgang mit den Wahlkarten, berichtete Gerichtssprecher Neuwirth.

Grüne: Hofer "schlechter Verlierer"

Nicht überrascht von der Wahlanfechtung zeigen sich die Grünen: Die Freiheitlichen hätten "wochenlang Weltverschwörungstheorien gezielt verbreitet", erklärte der geschäftsführende Parlamentarier der Grünen, Dieter Brosz, am Mittwoch in einer Aussendung. Hofer zeige sich damit als "schlechter Verlierer".

"Wer wochenlang Weltverschwörungstheorien gezielt verbreitet, möchte sich zum Schluss nach einer Abweisung der Anfechtung durch den Verfassungsgerichtshof auch noch als Opfer darstellen können", vermutet Brosz. Strache habe "bewusst wiederholt von Wahlbetrug gesprochen, ohne auch nur einen einzigen konkreten Fall aufzeigen zu können, bei dem eine Stimme unrichtig gewertet worden wäre". Formale Abweichungen vom Wahlprozedere in einzelnen Wahlbehörden seien selbstverständlich in Zukunft abzustellen, aber kein Wahlbetrug, betonte Brosz.

Mit "Chuzpe" in die Hofburg

Der Grüne glaubt, dass das wichtige demokratische Instrument der Wahlanfechtung "in diesem Fall für ein parteitaktisches Spiel" herangezogen werde. Die "Chuzpe" an dieser Vorgangsweise sei, dass Hofer die Niederlage zunächst eingestanden habe, "jetzt aber offenbar darauf spitzt, die Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten gemeinsam mit der Ersten Präsidentin und dem Zweiten Präsidenten des Nationalrats zu übernehmen", kritisierte Brosz. Es wäre dem Dritten Präsidenten des Nationalrats in dieser Situation gut angestanden, die FPÖ zur Räson zu rufen, findet Brosz. "Stattdessen zeigt sich Hofer als schlechter Verlierer und ficht die Wahl sogar selbst an."

Fehler müssten Endergebnis drehen können

Damit die Anfechtung der FPÖ vom Verfassungsgerichtshof in der Sache geprüft wird, müssen die behaupteten Fehler geeignet sein, das Ergebnis der Stichwahl zu verändern – also deren Behebung dazu führen können, dass letztlich Hofer statt Van der Bellen Erster ist. Van der Bellen lag am 22. Mai um 30.863 Stimmen – und damit in Summe 50,35 Prozent – vorne.

Dieses amtliche Endergebnis wurde am 1. Juni verlautbart, die FPÖ hatte eine Woche Zeit für die Anfechtung, die Frist endet am Mittwoch um Mitternacht. Liegen tatsächlich relevante Verstöße gegen die Wahlordnung – mit entscheidendem Einfluss auf das Ergebnis – vor, hat das Verfassungsgericht das ganze Wahlverfahren oder genau bezeichnete Teile für nichtig zu erklären, also aufzuheben. Jener Teil der Wahl, der rechtswidrig war, müsste dann wiederholt werden. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Abstimmung (auch nur in einzelnen Wahlbezirken oder etwa der Briefwahl) wiederholt werden muss. Möglich ist auch, dass andere Teile des Wahlverfahrens – also zum Beispiel die Stimmenauszählung – wiederholt werden müssen.

Zu früh geöffnete oder ausgezählte Wahlkarten

Die FPÖ hat seit der Stichwahl immer wieder von Unregelmäßigkeiten berichtet, die ihr zugetragen wurden. Sie betrafen vor allem die verfrühte Öffnung von Briefwahlkuverts und die Auszählung der Wahlkarten. Zur Prüfung, ob die Wahlbehörden in einem steirischen (Südoststeiermark), einem niederösterreichischen (Wien-Umgebung) und vier Kärntner Wahlbezirken (Villach-Land, Villach-Stadt, Hermagor und Wolfsberg) damit Amtsmissbrauch begangen haben, hat das Innenministerium die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft eingeschaltet. Diese ist eigentlich nicht für Amtsmissbrauchsfälle zuständig, hat aber das Verfahren an sich gezogen, sagte eine Sprecherin der APA. Zwei Erwägungen waren dafür ausschlaggebend: Einerseits handle es sich um einen Fall besonderen öffentlichen Interesses, andererseits könne damit die Zuständigkeit in einer Hand konzentriert werden.

Paragraf 20b der Strafprozessordnung sieht ausdrücklich vor, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft für Amtsmissbrauchsfälle zuständig ist, wenn an ihnen ein besonderes öffentliches Interesse besteht. Bei einer Bundespräsidentenstichwahl liegt ein solches naturgemäß vor.

VfGH-Session mit zwei blauen Wahlanfechtungen

Die Verfassungsrichter müssen sich bei der am Donnerstag beginnenden Sommersession (bis 2. Juli) also mit gleich zwei Wahlanfechtungen der FPÖ beschäftigen: Neben dem Antrag zur Bundespräsidentenwahl steht auch die Anfechtung der Bezirksvertretungswahl in Wien-Leopoldstadt vom 11. Oktober 2015 auf dem Programm.

Auch da geht es um die Auszählung der Briefwahlstimmen. Allerdings nicht um verfrühte Handlungen der Wahlbehörden, sondern um eine – wie es im Antrag heißt – "unerklärliche Differenz" zwischen der Zahl der Wahlkarten und der Zahl der gezählten Stimmzettel. Ursprünglich gab es um 82 Stimmzettel weniger als abgegebene Wahlkarten, nach der Neuauszählung waren es noch 23.

Für die FPÖ geht es in diesem Fall um den zweiten Platz – und damit den Posten des Bezirksvorsteher-Stellvertreters. Diesen verpasste sie mit nur 21 Stimmen Rückstand auf die Grünen. Deshalb begehren die Freiheitlichen die Aufhebung und Wiederholung der Bezirkswahl. (APA, nim, 8.6.2016)