Muna Duzdar zur Inseratenvergabe: "Der Staat könnte sich schon überlegen, wo und wie er seine Gelder einsetzt."

Foto: Andy Urban

Duzdar zum neuen Bundeskanzler und zu ihrer Bestellung: "Ich glaube, dass Christian Kern nicht gewusst hat, ob ich Muslimin bin oder nicht."

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Die Tochter palästinensischer Eltern über ihre politische Sozialisation: "Ich war einfach nur die Muna. Dieses Gefühl der Gleichheit habe ich bei der SPÖ erlebt."

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Wien – Muna Duzdar, neue Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, kritisiert im STANDARD-Interview die bisherige Integrationspolitik der Regierung. Sanktionen seien dabei im Vordergrund gestanden. "Ich glaube nicht, dass es richtig ist, allein mit Sanktionspolitik vorzugehen." Es bringe nichts, sich darauf zu fokussieren, dass es Menschen gibt, die nicht Deutsch lernen wollen. "Wenn es gleichzeitig nicht ausreichend Deutschkurse gibt, ist das nicht fair." Duzdar zeigt sich erfreut, dass eine Diskussion über eine qualitätsorientierte Inseratenpolitik im Gange ist: "Auch ethische Grundsätze sollten zählen." Der Staat könnte sich schon überlegen, wo und wie er seine Gelder einsetze, sagte die SPÖ-Politikerin.

STANDARD: Sie sind das erste Regierungsmitglied mit muslimischem Glauben. Geht es nach Ihnen, soll das eine Randnotiz bleiben. Warum nervt Sie diese "Religionisierung der Politik"?

Duzdar: Es ist richtig, dass ich einen muslimischen Background habe, aber warum muss ich darüber definiert werden? Ich bin nicht deswegen Staatssekretärin. Genauso wie ich die erste Muslimin in der Bundesregierung bin, bin ich auch die erste Kaisermühlnerin in der Bundesregierung. Beides ist bemerkenswert, aber es ist nicht die Hauptsache.

STANDARD: Hätten Sie bei Ihrer Angelobung ein Kopftuch getragen – ein Bundespräsident Norbert Hofer hätte Sie nicht angelobt. Was kontern Sie ihm?

Duzdar: Mir wäre gar nicht in den Sinn gekommen, ein Kopftuch zu tragen. Dass er überhaupt auf so eine Idee kommt, ist merkwürdig.

STANDARD: Warum sorgt es immer noch für Aufsehen, wenn eine Person mit Migrationshintergrund Teil der Bundesregierung wird?

Duzdar: Weil es das bisher noch nicht gegeben hat – ganz einfach. Es sollte nichts Besonderes sein, sondern etwas Selbstverständliches – ist es halt noch nicht. Es stört mich auch nicht, dass man darüber diskutiert, aber ich will nicht, dass ich nur darauf reduziert werde. Ich glaube, dass Christian Kern bis zum Schluss nicht gewusst hat, ob ich Muslimin bin oder nicht. Es ist um meine Qualifikation gegangen, um das, was ich einbringen kann.

STANDARD: Lastet da ein gewisser Druck auf Ihnen, weil sie die erste Frau mit Migrationshintergrund in der Regierung sind?

Duzdar: Nein, ich empfinde es als positiv. Es spiegelt die Gesellschaft wider, in der wir leben. Es zeigt, dass wir immer mehr auf eine vielfältigere Gesellschaft zugehen. Politik sollte die Gesellschaft widerspiegeln.

STANDARD: Integration ist Ihnen ein wichtiges Anliegen. Werden Sie sich um Agenden bemühen, die in die Zuständigkeit von Integrationsminister Sebastian Kurz fallen?

Duzdar: Es gibt eine klare Kompetenzverteilung. Aber ich habe auch meine Meinung dazu. Mich berechtigt ja nicht die Tatsache, dass ich Migrationshintergrund habe, dazu, zum Thema Integration zu reden. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren damit, wie man das Zusammenleben stärken kann, wie man das Gemeinsame vor das Trennende stellen kann. Es geht darum, das Beste für das Land zu tun. Nicht "wir" und "die anderen".

STANDARD: Sehen Sie sich als Konterpart zu Kurz?

Duzdar: Ich würde das nicht zu einem persönlichen Match machen. Wir haben gemeinsame Aufgaben.

STANDARD: Wo gibt es Unterschiede?

Duzdar: Ich würde sagen, in der Rhetorik. Sanktionen sind immer legitim, aber als letztes Mittel. Ich glaube nicht, dass es richtig ist, allein mit Sanktionspolitik vorzugehen. Ich bin der Überzeugung, dass die überwältigende Mehrheit der Migrantinnen und Migranten ein großes Interesse daran hat, in der Gesellschaft weiterzukommen, dass ihre Kinder gut in der Schule und bemüht sind. Es geht darum, Stärken zu stärken und Schwächen zu schwächen.

STANDARD: Mit Ihrer Kritik an Sanktionen meinen Sie, dass der Verdacht der Integrationsunwilligkeit im Vordergrund steht?

Duzdar: In unserer Gesellschaft wird oft das Bild des integrationsunwilligen Migranten gezeichnet. Es gibt auch sicher welche. Aber ich bin der Überzeugung, dass die Mehrheit ambitioniert ist und Chancen sucht. Es bringt nichts, sich darauf zu fokussieren, dass es Menschen gibt, die nicht Deutsch lernen wollen. Wenn es gleichzeitig nicht ausreichend Deutschkurse gibt, ist das nicht fair. Die Regierung hat durch den neuen Budgetrahmen bereits versucht, Chancen und Möglichkeiten zu schaffen. Erst danach kann man die Menschen beurteilen. Aber es braucht ausreichende Möglichkeiten, flächendeckende Angebote.

STANDARD: Für Bürgermeister Michael Häupl ist Kurz als Integrationsminister "abgetreten", weil er sich zu wenig um Integration kümmere. Sehen Sie das auch so?

Duzdar: Kurz und ich haben gemeinsame Aufgaben. Integration ist harte Arbeit. Integration bedeutet auch, dass man besonders den Städten Gelder zur Verfügung stellt. Wenn ich von Integration rede, dann muss ich auch Maßnahmen in die Wirklichkeit umsetzen.

STANDARD: Da werden Sie mit Kurz Gespräche führen müssen.

Duzdar: Ich bin natürlich offen für alle Gespräche mit ihm und werde weiter meine Meinung haben. Aber ich habe nicht das Budget dazu. Integration ist nicht mein Ressort.

STANDARD: Wie stehen Sie zu einer teilweisen Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber?

Duzdar: Wenn jemand als Flüchtling kommt, ist es wichtig, dass er schon im Asylverfahren die Sprache lernt und sich darum bemüht und die Möglichkeit erhält, seine Bildungsabschlüsse anerkennen zu lassen. Es geht nicht darum, dass man sofort auf den Arbeitsmarkt kommt. Vor zwei Wochen gab es eine Veranstaltung der Zahnärztekammer mit 70 syrischen Zahnärzten. Sie haben vor zwei Jahren nicht gewusst, dass sie jemals ihr Land verlassen müssen. Aber es ist nun einmal so. Sie haben gefragt: "Was machen wir jetzt?" Die Nostrifikationshürden sind hoch. Zahnärzte brauchen drei, vier Jahre.

STANDARD: Diese Prozesse sollen vereinfacht werden?

Duzdar: Ich bin dafür, dass man sich das genau anschaut, ohne dass die Qualität darunter leidet. Aber ich denke mir: Das sind ausgebildete Zahnärzte. Die Ausbildung in anderen Ländern ist oftmals gleichwertig, mitunter besser.

STANDARD: Sie haben jenen vier SPÖ-Frauen Respekt gezollt, die im Nationalrat gegen die Verschärfungen des Asylrechts gestimmt haben. Nun sind Sie Teil der Regierung, die mit diesem Gesetz arbeiten muss. Werden Sie anstreben, dieses Gesetz rückgängig zu machen?

Duzdar: Ich habe das Gesetz immer kritisch gesehen. Daran hat sich nichts geändert. Aber es wurde so im Nationalrat beschlossen. Jetzt muss man den Schwerpunkt auf Integration legen.

STANDARD: Was genau stört Sie an dem Gesetz?

Duzdar: Wenn die Rede davon ist, dass so viele Männer in Österreich sind, und gleichzeitig nicht die Möglichkeit gegeben wird, die Familie nachzuholen, dann frage ich mich: Worin bestehen die Chancen auf Integration? Damit hemme ich sie. Wer nimmt einen Lehrling auf, von dem er nicht weiß, ob er in zwei Jahren noch da ist? Wer investiert in die Ausbildung von Menschen, wenn man nicht weiß, ob sie bleiben können? Aber ich bin Demokratin und akzeptiere natürlich, dass die breite Mehrheit im Parlament dafür gestimmt hat.

STANDARD: Ihre Eltern stammen aus Palästina, Sie sind in Österreich geboren. Wie haben Sie Integration wahrgenommen?

Duzdar: In den roten Jugendorganisationen war es egal, woher meine Eltern stammen. Ich war einfach nur die Muna. Dieses Gefühl der Gleichheit habe ich in der Sozialdemokratie erlebt. Deshalb fühle ich mich dieser verpflichtet. Ich bin eine wirkliche Rote.

STANDARD: Sie haben in Interviews erzählt, dass Ihnen in der Schule die deutsche Sprache sehr schwergefallen ist. Dennoch sitzen Sie jetzt hier.

Duzdar: Meine Eltern haben immer Arabisch mit mir gesprochen. Das ist der Grund, weshalb ich die Sprache heute beherrsche. In meinem Beruf als Anwältin ist das ein Asset. In Wien gibt es genau drei Arabisch sprechende Anwälte. Meinen Eltern war Bildung sehr wichtig. Ich habe in der Volksschule in Deutsch geschwächelt, die Eltern wollten mich aber ins Gymnasium schicken. Sie haben deswegen Nachhilfe bezahlt. In der ersten Klasse Gymnasium hatte ich in Mathematik einen "Fetzen". Dank meines Klassenvorstandes bekam ich die Klausel und konnte aufsteigen. Das war entscheidend, deshalb konnte ich später maturieren und studieren.

STANDARD: Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihrer eigenen Biografie für Integrationsmaßnahmen?

Duzdar: Ich bin eine starke Befürworterin der Gesamt- und Ganztagsschule. Hätte ich nicht diesen Klassenvorstand gehabt, hätte ich eine andere Laufbahn eingeschlagen. Diese Verpflichtung, sich im Alter von zehn Jahren entscheiden zu müssen, ist viel zu verfrüht. Das ist zum Nachteil jener, die aus Migranten- und sozial schwachen Familien kommen.

STANDARD: Sie sind Präsidentin der Palästinensisch-Österreichischen Gesellschaft. Werden Sie den Palästinenserkonflikt thematisieren?

Duzdar: Ich bin Staatssekretärin für den öffentlichen Dienst und Digitalisierung. Außenpolitik ist nicht mein Ressort, auch wenn es mir ein persönliches Anliegen ist.

STANDARD: Kürzlich gab es Aufregung, weil die palästinensische Aktivistin Leila Khaled für einen Auftritt nach Wien eingeladen wurde. Verstehen Sie die Kritik?

Duzdar: Ich verstehe sie, ja. Sie hat vor fünfzig Jahren ein Flugzeug entführt. Aber ich sehe keinen Anlass, über Leila Khaled zu reden. Ich habe mit der Geschichte nichts zu tun gehabt. Das Österreichisch-Arabische Kulturzentrum OKAZ hat sie eingeladen. Es gibt keine Verbindung zu unserer Gesellschaft.

STANDARD: Die Israelitische Kultusgemeinde hat sich skeptisch zu Ihrer Bestellung zur Staatssekretärin geäußert.

Duzdar: Ich verstehe das nicht. Ich war jahrelang in der internationalen sozialistischen Jugend. Wir haben daran geglaubt, dass wir den Friedensprozess einleiten können. Wir haben palästinensische mit israelischen Jugendvertretern zusammengebracht. Als Vertreterin der österreichischen Jugendorganisation habe ich eine starke Vermittlerrolle gehabt. Ich habe an vielen Peace-Camps teilgenommen. Insofern finde ich die Skepsis mir gegenüber ungerecht.

STANDARD: In einem Facebook-Posting haben Sie die Inseratenpolitik von Exkanzler Werner Faymann kritisiert. Dort stand zudem: "Die gekauften 'Österreich' und 'Kronen Zeitung' verdrehen alles so, dass einem richtig übel wird." Werden Sie sich für eine Änderung der Inseratenpolitik starkmachen?

Duzdar: Kanzleramtsminister Thomas Drozda ist für die Medien zuständig. Es ist ja auch schon eine Diskussion in Gange über eine qualitätsorientierte Inseratenpolitik. Ich finde das richtig, damit hat man sich auseinanderzusetzen. Auch ethische Grundsätze sollten zählen. Der Staat könnte sich schon überlegen, wo und wie er seine Gelder einsetzt.

STANDARD: Werden Sie sich in die Diskussionsgruppe einbringen?

Duzdar: Ich werde sicher ab und zu meine Meinung dazu sagen. Aber es ist Minister Drozda zuständig. Das ist sein Bereich. Ich werde das beobachten. (INTERVIEW: David Krutzler, Rosa Winkler-Hermaden, 20.5.2016)