Gewerkschaftspräsident Erich Foglar: Vorschusslorbeeren, aber auch Forderungen an den neu bestellten Bundeskanzler Christian Kern.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

STANDARD: Christian Kern wurde von manchen Genossen fast wie ein Erlöser begrüßt. Haben Sie auch eine Heilserwartung an ihn?

Erich Foglar: Der Optimismus, den Bundeskanzler Kern mitbringt, hat sich einen Vertrauensvorschuss verdient. Er hat gleich einen anderen Zugang, eine andere Sprache an den Tag gelegt, doch nun müssen auch Taten folgen. Wir hatten vorher ja nicht die falschen Ziele, nur wurde vieles nicht umgesetzt. Kern muss alles vorwärts bringen, was auf der Strecke geblieben ist.

STANDARD: Zum Beispiel?

Foglar: Die alte Regierung hat die Wohnbauoffensive zigmal beschlossen, aber bis heute sind die 700 Millionen, die uns die Europäische Investitionsbank als billiges Geld bietet, nicht in Form von Aufträgen bei den Baufirmen gelandet. Tonnen von Papier mit den richtigen Zielen nutzen nichts, wenn diese nie erreicht werden. Da muss die Regierung Gas geben, denn unser großes Sorgenkind ist und bleibt der Arbeitsmarkt.

STANDARD: Was kann Kern da Neues bewirken? Die strengen Budgetregeln in der EU werden keine großen Investitionen zulassen.

Foglar: Ich erwarte mir, dass Kern in der EU Druck macht, das Korsett der Budgetpolitik zu lockern. Wir brauchen eine goldene Regel, die Neuverschuldung für öffentliche Investitionen erlaubt. Wenn jetzt entgegnet wird, es gehe in der EU ja eh aufwärts, dann ist das eine Chuzpe der Sonderklasse: Der Aufschwung, der als Trendwende verkauft wird, ist lächerlich im Vergleich zum Ausmaß, in dem die Wirtschaft in manchen Ländern zuvor eingebrochen ist.

STANDARD: Soll Kern in Österreich notfalls das Ziel des Nulldefizits aufschieben und ein höheres Defizit zulassen?

Foglar: Ich werde dem Bundeskanzler über die Medien keine Ratschläge erteilen, aber als ehemaliger ÖBB-Chef weiß er ohnehin selbst, wie wichtig öffentliche Investitionen sind. Allerdings müssen diese unseren Arbeitslosen zugutekommen und nicht noch mehr ausländischen Arbeitskräften, die zu Dumping-Konditionen ausgebeutet werden. Auch hier sollte Christian Kern Druck in Brüssel machen: Die Regeln für die Entsendung von Arbeitskräften aus anderen Ländern müssen so geändert werden, dass Lohn- und Sozialdumping ausgeschlossen sind.

STANDARD: Was erwarten Sie sich vom Neustart der Regierung noch?

Foglar: Die zweite große Herausforderung ist die Bildung. Auch da gibt es nur sehr zögerlichen Fortschritt. Die letzte Einigung drehte sich lediglich um die Verwaltung, in den Schulklassen ändert sich nichts. Wir brauchen ein umfassendes Konzept: Ganztagsschulen mit integriertem Unterricht in ganz Österreich, ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr, eine Verteilung des Geldes an die Schulen nach sozialer Problemlage statt mit der Gießkanne. Zentrales Ziel: Jeder Pflichtschulabsolvent muss in der Lage sein, eine Berufsausbildung zu schaffen.

STANDARD: Die Arbeit in der Koalition endet oft in einem Patt. ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner fordert nun die Abkehr von einem alten Prinzip: Für jeden Vorschlag, den eine Partei durchsetzt, fordert die andere ein Gegengeschäft.

Foglar: Da kann Herr Mitterlehner im eigenen Haus anfangen, dort gibt es eine lange Liste solcher Forderungen. Ja, es muss nicht immer ein Gegengeschäft geben, aber das muss für beide Seiten gelten. Das Motto "Ich setze meine eigenen Forderungen durch und lehne alles andere ab" klingt erst recht wieder nach dem alten Stil. (Gerald John, 18.5.2016)