Finden Flüchtlinge in Europa Jobs? Einen Teil müsse man qualifizieren, sagt Christoph Schmidt. Andere sollten gleich arbeiten, viele hätten wohl schlechte Aussichten.

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Ökonom Christoph Schmidt: "Die Ausgaben für Flüchtlinge sind ohne große Sorgen bewältigbar. Die Panik kann man außen vorlassen."

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Wien – Um das Potenzial von Flüchtlingen optimal zu nutzen, dürfe man nicht alle über einen Kamm scheren. Wo es sinnvoll sei, brauche es längere Ausbildungen. Es gebe aber auch viele Flüchtlinge, die man gleich arbeiten lassen sollte, sagt Christoph Schmidt, der Chef des deutschen Sachverständigenrats, im STANDARD-Interview. Gleichzeitig werde womöglich ein großer Teil den Anschluss am Arbeitsmarkt nicht schaffen, sagt der Ökonom, der auch Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts RWI Essen ist. Schmidt war auf Einladung der Wirtschaftskammer in Wien.

Die ungekürzte, nicht bearbeitete Version des Interviews. Der hier abgetippte Teil des Gesprächs beginnt bei Minute 22. Der Teil davor befasst sich mit der Wirtschaftsschwäche Österreichs, der Digitalisierung und der Frage, ob uns Roboter die Jobs für immer wegnehmen werden.

STANDARD: Sie plädieren dafür, dass Flüchtlinge für sechs Monate unter dem Mindestlohn bezahlt werden können sollen. Warum?

Schmidt: Es sind viele gekommen, die man erst einmal qualifizieren muss und sollte. Man wird aber auch viele Flüchtlinge finden, die die Fertigkeiten und Fähigkeiten zur Ausbildung nicht mitbringen. Die sollte man relativ schnell in den Arbeitsmarkt bringen. Dazu wäre es hilfreich, wenn man viele niedrig bezahlte Jobs hat, die man dann gegebenenfalls sozial abfedern kann.

STANDARD: Kann eine sechsmonatige Ausnahme, wie es sie schon für Langzeitarbeitslose gibt, da viel helfen?

Schmidt: Man muss das als Paket sehen. Wir wissen immer noch nicht genau, wie die Qualifikationen derjenigen sind, die da bei uns angekommen sind. Selbst wenn wir das genauer wüssten, wissen wir nicht, was eine formale Qualifikation der Herkunftsländer bei uns am Arbeitsmarkt wert ist. Es scheint eine große Bandbreite von Qualifikationen und Qualifizierbarkeit zu geben. Die Ansicht der Sachverständigen ist es, da, wo es Potenzial gibt, zu investieren. Da reicht nicht einfach nur ein Sprachkurs, und dann sollen sie loslegen. Da braucht es berufliche Bildung oder gar ein Studium. So viel eben, dass die Menschen am meisten für sich, aber auch das Gemeinwesen erarbeiten können.

STANDARD: Und mit dem Rest?

Schmidt: Es gibt sicher auch eine große Zahl, für die eine solche Qualifikation nicht das Richtige wäre. Die aber auch selber schnell loslegen wollen, die keine jahrelange Ausbildung machen möchten. Die sollten nicht daran gehindert werden, indem man hohe Eintrittshürden wie den Mindestlohn aufbaut. Wir sollten aber den Mindestlohn, der große Popularität genießt, nicht wegen der Flüchtlinge wieder aushebeln. Unser Vorschlag ist: Es gibt für Langzeitarbeitslose schon Ausnahmen. Die Frage ist, was macht man mit Flüchtlingen, die oft 1,5 Jahre auf ihren Bescheid warten? Wenn die am Tag nach dem Erhalt des Bescheids dann offiziell erst einen Tag arbeitslos sind, ist das schon ein bisschen zynisch.

STANDARD: Macht man das alles, dann "schaffen wir das", die Integration am Jobmarkt?

Schmidt: Es wird bestimmt viele geben, die zunächst nicht so erfolgreich am Erwerbsleben teilnehmen werden. Es geht eigentlich nur darum, diesen Anteil möglichst klein zu halten und möglichst viel aus dem Potenzial der Zuwanderer zu machen. Da wo es sich lohnt, sollte man investieren. Das wird sich auf Dauer auch rechnen. Da wo es nicht aussichtsreich ist, sollte man Arbeit ermöglichen. Und dann wird es eine Reihe geben, die das nicht schaffen. Unseren Erfahrungen nach sind die Erwerbsquoten der Menschen, die aus vergleichbaren Ländern zu uns gekommen sind, ja nicht besonders hoch. Da wird es womöglich schon einen großen Teil geben, der es nicht schafft. Humanitäre Verantwortung ist aber nicht nur dann angesagt, wenn man damit einen Gewinn macht.

STANDARD: In Österreich sorgt sich die ÖVP wegen der Flüchtlinge um die Staatsfinanzen. Gibt es Grund zur Sorge?

Schmidt: Wenn man davon ausgeht, dass der Flüchtlingsstrom wieder zurückgeht, liegen die Kosten für Deutschland in den kommenden zwei Jahren in etwa bei einem halben Prozent der Wirtschaftsleistung oder weniger. Das sind zehn bis 15 Milliarden Euro. Das kann man ohne weitere Verschuldung und ohne große Sorgen bewältigen. Man kann jedenfalls die Panik außen vor lassen. Den eigentlichen Engpass gibt es aber bei den Behörden und Ehrenamtlichen.

STANDARD: Österreich hat bei der EU dafür lobbyiert, dass die Ausgaben für Flüchtlinge aus dem Defizit herausgerechnet werden. Sie sehen das skeptisch.

Schmidt: In Europa wird fast jede zusätzliche kleine oder große Herausforderung zum Infragestellen der Regeln verwendet. Jetzt ist das natürlich ein außergewöhnliches Problem. Ich kann verstehen, dass man darüber redet. Es wäre aber gut, wenn man eine solide Haushaltsführung betreibt und Vorsorgen trifft. Wir haben ja jedes Jahr eine neue Herausforderung. Die Regeln kann man dann immer brechen. Außerdem gibt es auf EU-Ebene ein Budget, das man für fragwürdigere Dinge wie die Agrarpolitik ausgibt. Warum stellt man das nicht infrage und nutzt es für die Flüchtlinge? (Andreas Sator, 23.3.2016)