Wer Stimmung gegen das Pensionssystem macht, gefährdet den sozialen Frieden.

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Den Marktfundamentalisten ist die öffentliche, solidarische Pensionsvorsorge ein Dorn im Auge. Seit der Einführung des Umlageverfahrens 1909 versuchen sie immer wieder, die private Pensionsvorsorge zu Lasten der Allgemeinheit durchzusetzen. Auch heuer brechen sie wieder eine nicht notwendige "Jung-gegen-alt"-Diskussion vom Zaun. Argumentiert wird mit einer nahezu asketischen Moral, der ein lustvolles Leben suspekt ist. Besser wäre es aber, Konzepte und Maßnahmen zu liefern, die genügend Arbeitsplätze für alle schaffen und Löhne beinhalten, von denen ein gutes Leben möglich ist.

Dass Forderungen nach einer privaten Pensionsvorsorge immer noch so viel Raum erhalten, überrascht. Sowohl die Fakten als auch der gesunde Menschenverstand sprechen dagegen. Laut einer Umfrage des "VersicherungsJournals" könnten Österreicherinnen und Österreicher etwa 196 Euro pro Monat in ihre private Pensionsvorsorge investieren. Notwendig wären aber 500 Euro, die man 45 Jahre lang Monat für Monat einzahlen müsste, um in den Genuss einer Nettopension von 1000 Euro zu gelangen. Erstens kann sich neben den Fixkosten wie Miete und Lebensmittel kaum jemand 500 Euro nebenher über so einen langen Zeitraum leisten. Zweitens haben nur wenige so lange und durchgehende Erwerbsbiografien: im Schnitt kommen Männer auf 35 und Frauen auf 30 Arbeitsjahre. Die Veranlagung am Kapitalmarkt birgt zusätzlich auch ein hohes Risiko. Wurden bei der Einführung der privaten Zusatzpension noch Renditen um sieben Prozent angekündigt, sind es in der Realität 0,1 Prozent oder sogar negative Werte.

Vermeintliche Kostenexplosion

Finanzminister Hans Jörg Schelling rechnet mit einer jährlichen Steigerung der Pensionskosten um 4,2 Prozent und für das Jahr 2016 mit Ausgaben von 14 Milliarden Euro. Das abgerechnete Bundesbudget 2015 zeigt jedoch: Die öffentlichen Ausgaben für die Pensionen sind gegenüber dem Vorjahr um insgesamt 216,3 Millionen Euro gesunken. Auch für das Jahr 2016 rechnet die Pensionskommission, im Gegensatz zum Finanzminister, mit Ausgaben in der Höhe von nur 10,7 Milliarden Euro.

Neben der vermeintlichen Kostenexplosion des Pensionssystems wird auch das Antrittsalter in den Fokus der Pensionsdebatte gerückt. So argumentierte Schelling Ende Jänner: "1971 waren die Österreicher im Schnitt acht Jahre in Pension, 2011 schon 22 Jahre. […] Wenn wir nichts tun, werden meine Enkel 30 Jahre in Pension sein." Auch diese Behauptung ist schnell wiederlegt. Denn ein Blick auf die Daten zeigt, dass im Zeitraum von 1970 bis 2011 die Pensionsbezugsdauer bei Frauen nur um knapp acht Jahre und bei Männern um 6,7 Jahre stieg. Als Anpassung an die steigende Lebenserwartung gab es bereits Änderungen bei der Invalididätspension und die Abschaffung der Hackler-Regelung. Für 2017 ist die Einführung des Bonus-Malus-Systems für ältere Beschäftigte geplant. Es soll Betriebe dazu bringen, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer länger im Betrieb zu behalten. Das Regierungsziel, das faktische Pensionsantrittsalter anzuheben, ist schon heute erreicht, obwohl es erst für 2018 vorgesehen war. Auch hier zeigt sich: Es ist besser, die Fakten zu kennen als unnötig Panik zu verbreiten.

Achtung, Prognose!

Gerne wird in der Pensionsdebatte mit Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung oder Arbeitsmarktentwicklung in den nächsten 30, 40, 50 Jahren argumentiert. Doch diese Berechnungen sind oftmals sehr vage und verstellen so den Blick auf die eigentlichen Probleme: Im Umlageverfahren ist entscheidend, ob alle, die Arbeit finden wollen, auch Arbeit finden können und somit in unser Sozialsystem einzahlen. Darum: Besser nicht gleich alle Weltuntergangsprophezeiungen glauben, denn bereits 1959 war sich die ÖVP sicher, dass unser Sozialstaat jeden Moment zusammenbricht. So titelte ihre Parteizeitung am 29. März 1959: "Sozialstaat in der Sackgasse. Wer zahlt morgen die Rente?". Und wie wir alle wissen, ist dieser Untergang nie eingetreten.

Menschen in Beschäftigung bringen

Die aktuell größte Baustelle unseres Pensionssystems beginnt viel früher als der Pensionsantritt: Nämlich im Erwerbsleben und den Zugängen zum Arbeitsmarkt. Für die Finanzierung der Pensionen ist entscheidend, wie viele Erwerbstätige ins System einzahlen können und wie viele ältere Menschen anspruchsberechtigt sind. Es wäre zu einfach gedacht, dass das Pensionsantrittsalter bei einer steigenden Altenquote genauso erhöht werden muss.

Relevant ist, wie viele der potentiellen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler auch wirklich beschäftigt sind. In einer Zeit der steigenden Arbeitslosigkeit und großen Lücken in der Erwerbsbiografie sollten sich Finanz- und Wirtschaftsminister eher darum sorgen machen, als neidisch auf ihre Enkel zu blicken, weil diese statistisch gesehen länger leben werden. Wir müssen mehr Menschen zu guten Löhnen in Beschäftigung bringen. Das ist nur gerecht, denn die Produktivität ist seit 2000 um 18 Prozentpunkte gestiegen, die Löhne aber nur halb so stark. Zu Sicherung des Pensionssystems stellt sich also auch die soziale Frage: Wie ist der Wohlstand einer Gesellschaft verteilt?

Vorbild Schweden?

Von wirtschaftsliberaler Seite gefordert, zeigen sich beim schwedischen Modell einige Schwächen. Es beruht darauf, dass im Laufe des Erwerbslebens auf Beitragskonten einbezahlt wird. Bei Pensionsantritt werden die Auszahlungen im Falle einer steigenden Restlebenserwartung reduziert. Im Vergleich zu Österreich haben Pensionistinnen und Pensionisten letztendlich weniger. Während österreichische Pensionististinnen und Pensionisten 76,6 Prozent ihres Durchschnittsverdienstes an Pensionszahlungen kriegen, bekommen schwedische nur 55,6 Prozent. Gerade die nächsten Generationen wären bei Einführung dieses Modells von drastischen Pensionskürzungen betroffen.

Wer trotz der bekannten und eindeutigen Faktenlage Stimmung gegen das Pensionssystem macht, führt aber etwas anderes im Schilde: den sozialen Frieden zu gefährden, in dem Enkelkinder gegen Großeltern ausgespielt werden. Denn wer sagt, wir können uns die Pensionen nicht mehr leisten, meint eigentlich, wir können uns die Pensionistinnen und Pensionisten nicht mehr leisten. Das ist Ausdruck eines Menschenbilds, das noch nie zukunftsfit war und besser am Schrottplatz der schlechten Ideen abgegeben werden sollte. (Julia Freidl, Klaus Baumgartner, 26.2.2016)