Wien – Die Bühne ist kleiner, es gibt weniger blaue Luftballons, und auf Live-Musik der John-Otti-Band wird verzichtet. Eine Bezirksveranstaltung der FPÖ fällt nicht ganz so pompös aus wie eine, auf der Parteichef Heinz-Christian Strache spricht.

Zum Simmeringer Platz sind an jenem Nachmittag aber dennoch gut 80 Personen gekommen, um sich zu informieren, was die Blauen im elften Bezirk umsetzen wollen. Simmering gilt wienweit als jener Bezirk, wo die FPÖ am ehesten die SPÖ von Platz eins verdrängen könnte. Bei der Bezirksvertretungswahl 2010 kamen die Blauen auf 34,2 Prozent, die SPÖ auf 49,2 Prozent. Auch die FPÖ ist sich ihrer Ausgangslage bewusst. Wenig überraschend daher, dass Paul Stadler, bisher Vize von Eva-Maria Hatzl (SPÖ) im Bezirk, von seinen Parteifreunden bereits als "zukünftiger Bezirksvorsteher" auf die Bühne gebeten wird.

Blau oder Rot? Wer wird am 11. Oktober das Rennen machen?
Foto: Winkler-Hermaden

Junge Männer hören seiner Rede genauso interessiert zu wie Pensionisten oder Frauen, die blaue Luftballons an ihre Kinderwagen binden. Stadler spricht über verfehlte Flächenwidmungen, "Missstände" bei Arbeitsmarktkonzepten und fehlende Initiativen im Bereich erneuerbarer Energien. Das Flüchtlingsthema darf auch nicht fehlen. Anders als Parteichef Strache bleibt Stadler aber ruhig dabei und spricht sich nicht in Rage. Er wundert sich allerdings, warum die SPÖ nicht offen kommuniziert habe, dass im Bezirk Flüchtlinge untergebracht werden. "Warum sagen die nicht die Wahrheit?", ruft er über den Platz und erntet Beifall.

Schüren von Ängsten

Stadler bringt mit dieser rhetorischen Frage auf den Punkt, worüber sich Politikbeobachter spätestens seit Bekanntwerden der Ergebnisse der Landtagswahlen in Oberösterreich, bei denen die FPÖ stark zulegen konnte, den Kopf zerbrechen. Warum tun sich die etablierten Parteien so schwer damit, das Flüchtlingsthema anzugreifen? Und wie gelingt es den Freiheitlichen, dermaßen abzusahnen? Geht es wirklich nur um das Schüren der Ängste?

Die New York Times veröffentlichte diese Woche einen Artikel, in dem sie feststellt, dass vor dem Hintergrund der europäischen Flüchtlingskrise die FPÖ die Sozialdemokraten bedrohe, was europaweit auf einen generellen Aufschwung populistischer und antimigrantischer Einstellungen hindeute. Doch nicht nur die US-Zeitung thematisiert die Zugewinne der FPÖ. Auch Umfragen zeigen das Erstarken der blauen Partei, der in Wien zwischen 31 und 34 Prozent prognostiziert werden. Die SPÖ liegt in Umfragen zwischen 33 und 38 Prozent.

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Heinz-Christian Strache möchte nur als Bürgermeister nach Wien kommen.
Foto: Reuters/HEINZ-PETER BADER

Die anderen Parteien scheinen schlicht noch keine Antworten auf die Flüchtlingsfrage gefunden zu haben, die eigentliche Themen des Wahlkampfs in den Schatten stellt. Die FPÖ hat klare Ansagen: Sie will die Neuankommenden so schnell wie möglich wieder in ihre Heimat bringen und gar keine neuen mehr nach Österreich lassen. Ein Grenzzaun wird bei jeder Gelegenheit mit einem Gartenzaun verglichen: Man lasse schließlich auch keine Fremden auf das eigene Grundstück.

Zwei Gesichter Wiens

Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) ging im Laufe des Wahlkampfs in die entgegengesetzte Offensive, nahm minderjährige Flüchtlinge aus Traiskirchen in Wien auf und sprach sich für rasche Integrationsmaßnahmen aus. Er spricht damit sicherlich jenes "Gesicht" Wiens an, wie es die New York Times formulierte, das etwa am Westbahnhof half oder für Flüchtlinge spendete. Aber es gibt auch das andere "Gesicht", das sich vor Zuwanderern fürchtet – sei es wegen der Wohnsituation oder der angespannten Lage am Arbeitsmarkt.

Ob Häupls Verhalten also Wählerstimmen bringen wird, zeigt erst der Wahlsonntag. Von seinem ursprünglichen Ziel der absoluten Mehrheit ist er mittlerweile weit entfernt. Auch Grüne, ÖVP und Neos mussten ihre Erwartungen deutlich hinunterschrauben, ihnen droht angesichts der Zuspitzung des Duells um Platz eins, ihr Wählerpotenzial nicht ausschöpfen zu können.

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Bisher ließ Michael Häupl keine Nachfolge-Spekulationen zu. Er will wieder die Absolute erreichen.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Doch worum geht es den Wienerinnen und Wienern? Woher kommt die Angst, die sie in die Arme der Rechtspopulisten treibt? Die Suche nach einer Antwort führt zurück nach Simmering, wo der 32-jährige Schriftsteller Daniel Zipfel aufgewachsen ist. Der gebürtige Deutsche hat dreißig Jahre im elften Bezirk verbracht, hat in Hasenleiten gewohnt, wo die FPÖ immer die besten Sprengelergebnisse erzielen konnte. Im Sommer veröffentlichte er den Roman Eine Handvoll Rosinen, der Bezug auf die Flüchtlingssituation und das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen nimmt. Zipfel ist im Brotberuf Rechtsberater für Flüchtlinge.

"Der Simmeringer arbeitet hart und will sonst seine Ruhe haben. Durch die Wirtschaftskrise ist die Situation für viele sicher nicht einfacher geworden, was auch ein Grund für das Erstarken der FPÖ ist", sagt er zum STANDARD. Die Blauen hätten vielen Leuten in Simmering das Gefühl gegeben, dass sie ihre Sorgen und Ängste ernst nehmen. Die Sozialdemokraten hätten im Gegenteil keine Lösungen parat: "Da fehlt es an Visionen." Zipfel macht auch darauf aufmerksam, dass in der Simmeringer Bevölkerung viele mit niedrigem Einkommen sind, der Bildungsgrad ist nicht besonders hoch: "Die Leute fühlen sich als Verlierer der momentanen wirtschaftlichen Situation." Gleichzeitig hält er fest: "In Simmering laufen nicht lauter leichtgläubige und böswillige Menschen herum. Aber es ist halt einfach so, dass die Leute Sorgen haben und glauben, es gibt mit der FPÖ jemanden, der sich ihrer angenommen hat."

"Erwecken von Unsicherheit"

Auch Sprachwissenschafterin Ruth Wodak, deren neues Buch The Politics of Fear heißt, weiß um die Ängste vieler Wählerinnen und Wähler. "Weil Angst nun einmal sehr stark mit dem Erwecken und Kultivieren von Unsicher-heit zusammenhängt, findet der Rechtspopulismus da ein breites Betätigungsfeld", sagt sie in einem Interview mit der Zeit.

Ziel der rechten Parteien, die sich als Retter in der Not präsentieren, sei immer die Stimmenmaximierung. Anstatt eigene Themen zu setzen und Programme zu präsentieren, würden die anderen Parteien in die Position des Reagierenden gezwungen. "Anstatt Politik zu machen, hecheln sie den Ereignissen hinterher."

Wie stark dieses Hinterherhecheln als Nachteil wahrgenommen wird und wie sehr es den Freiheitlichen gelingen wird, die Ängste der Leute anzusprechen und diese abzuholen, wird man am Abend des 11. Oktober sehen. Noch ist das Match, welches "Gesicht" sich in Wien durchsetzen wird, nicht entschieden. (Rosa Winkler-Hermaden, 2.10.2015)