Bild nicht mehr verfügbar.

Koalitionsbrüche begleiteten den Weg der Zweiten Republik: Kanzler Figl verlor erst die Kommunisten, dann die SPÖ und dann den Rückhalt in der ÖVP.

Foto: Fibinger, Max / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com

Bild nicht mehr verfügbar.

Der letzte ÖVP-Politiker, den den Koalitionsbruch wagte, war Wilhelm Molterer. Ihm reichte der Populismus der SPÖ. Der Wählerzuspruch reichte ihm aber nicht.

Foto: Reuters / Bader

Wien – Reinhold Mitterlehner drohte am Mittwoch offen mit einem Ende der Koalition. Es wäre nicht das erste frühzeitige Ende einer Regierung.

Das "Es reicht!" des damaligen Vizekanzlers Wilhelm Molterer (ÖVP) vom Sommer 2008 ist vielen noch besser in Erinnerung als die Leistungen jener dritten Auflage der großen Koalition. Dass ein Koalitionspartner vom Tisch aufsteht, ist allerdings nicht ungewöhnlich.

1947: Ausstieg der Kommunisten

Die erste gewählte Regierung der Zweiten Republik war (wie ihre Vorgängerin, die provisorische Staatsregierung) eine Konzentrationsregierung, an der alle Parlamentsparteien (ÖVP, SPÖ und KPÖ) beteiligt waren. Zu einer schweren Krise kam es, als im Sommer 1947 – zu jener Zeit machten sich in ganz Osteuropa Kommunisten daran, "Volksdemokratien" zu errichten – Gerüchte aufkamen, die ÖVP verhandle mit der KPÖ über eine Regierungsumbildung. Die SPÖ war empört, schließlich aber hielten SPÖ und ÖVP zusammen. Kurz darauf stand die Währungsreform an – das einzige kommunistische Regierungsmitglied, Elektrifizierungs- und Energiewirtschaftsminister Karl Altmann, trat am 17. November 1947 aus Protest gegen das Währungsschutzgesetz aus der Regierung aus. ÖVP und SPÖ setzten die Koalition bis zum regulären Wahltermin 1949 fort.

1952: Budgetkrise

Die nächste Legislaturperiode, die regulär bis November 1953 gedauert hätte, wurde wegen eines Budgetstreits 1952 abgekürzt. Hintergrund waren die galoppierende Inflation infolge des Korea-Kriegs, die Drohung der USA, die Marshallplan-Mittel zu kürzen, und die geschwächte Position von Bundeskanzler Leopold Figl (ÖVP) in der eigenen Partei. Bundespräsident Theodor Körner versuchte zu retten, was zu retten war – musste aber Neuwahlen am 22. Februar 1953 zustimmen. Die SPÖ gewann die Stimmen-, die ÖVP aber dank der Wahlarithmetik die Mandatsmehrheit: Der Wirtschaftsflügel der ÖVP liebäugelte mit einer Koalition mit der Wahlpartei der Unabhängigen (WdU), dem von Nazis durchsetzten Vorläufer der FPÖ. Figl sträubte sich – der Kompromiss war, dass Figl Platz machte und der Wirtschaftsbündler Julius Raab mit der SPÖ koalieren musste. Damit war der Weg frei für den Raab-Kamitz-Kurs.

1956: Verstaatlichungsstreit

Nach Abschluss des Staatsvertrags stellte sich – mitten in der wirtschaftlichen und außenpolitischen Hochkonjunktur – das Problem des Umgangs mit ehemals deutschem Eigentum und der Eingliederung der bis dahin unter sowjetischem Einfluss stehenden Usia-Betriebe. Die Regierung zerbrach an den Verstaatlichungsforderungen der SPÖ. Die ÖVP errang einen glänzenden Wahlsieg mit 82 von damals 165 Mandaten. Die ÖVP-SPÖ-Regierung und der Raab-Kamitz-Kurs wurden fortgesetzt.

1959: Korruptionsvorwürfe

Im Jahr 1958 sorgte der Zusammenbruch des Stahlwerks Haselgruber, das die Wiener ÖVP großzügig unterstützt hatte, für koalitionären Unfrieden – im Jahr darauf gab es einen Skandal um unnötige "Provisionszahlungen" der rot geführten Vöest. Vorgezogene Neuwahlen brachten die SPÖ wieder auf Augenhöhe mit der ÖVP – und Zugewinne für die FPÖ. Die Kommunisten flogen aus dem Parlament, die große Koalition ging bis 1966 trotz großen Misstrauens (Habsburg-Krise) weiter.

1986: Rausschmiss für Haider

Von 1966 bis 1983 gab es Alleinregierungen, nur einmal eine wesentlich verkürzte Legislaturperiode: 1971 ließ die SPÖ ihre Minderheitsregierung unter dem Motto "Lasst Kreisky und sein Team arbeiten!" in vorgezogenen Neuwahlen bestätigen. 1983 aber reichte es nur noch für eine Koalition von Fred Sinowatz (SPÖ) mit Norbert Steger (FPÖ) – Sinowatz machte 1986 Franz Vranitzky Platz, einige Monate später verdrängte Jörg Haider den gemäßigt agierenden Steger. Obwohl der stellvertretende SPÖ-Vorsitzende Heinz Fischer vorher gesagt hatte, dass die SPÖ zur Koalition stehe, solange das Koalitionsabkommen "auf Punkt und Beistrich eingehalten" werde, sprang Vranitzky ab. Bei der vorzeitigen Neuwahl verlor die SPÖ zehn, die ÖVP vier Mandate. ÖVP-Chef Alois Mock verpasste die Chance, sich von Haider zum Kanzler machen zu lassen – es folgten lähmende 13 Jahre großer Koalition.

1995: Streit ums Sparpaket

Im Frühjahr 1995 kam Wolfgang Schüssel an die ÖVP-Spitze und forderte einen scharfen Sparkurs von Kanzler Vranitzky. Der wollte zunächst nicht nachgeben, Schüssel erzwang Neuwahlen – gewann aber kurz vor Weihnachten 1995 mit seinem "Schüssel-Ditz-Kurs" weniger dazu als die SPÖ. Es wurde dann ein wenig gespart – aber im Übrigen rot-schwarz weitergewurstelt.

2002: Steuerreformprobleme

2002 hatte es die seit Anfang 2000 agierende schwarz-blaue Regierung in ruhigeres Fahrwasser geschafft – doch der Kärntner Landeshauptmann Haider drängte auf eine weitere Steuerreform, obwohl ein Hochwasser und der anstehende Eurofighter-Kauf das Budget belasteten. In Knittelfeld putschte die blaue Parteibasis gegen die moderate Parteiführung in Wien, Schüssel rief Neuwahlen aus und gewann haushoch. Es ging schwarz-blau weiter, die Steuerreform kam später.

2008: Molterer reicht es

2007 hatten sich SPÖ und ÖVP unter Alfred Gusenbauer wieder zu einer großen Koalition zusammengeschlossen – aber der ÖVP ging der Reformwille der SPÖ (insbesondere bei den Pensionen) zu wenig weit. Den Ausschlag gab jedoch ein Brief von Gusenbauer und Werner Faymann an die "Kronen Zeitung", der als Schwenk in der Europapolitik verstanden wurde. Am 7. Juli 2008 sagte Molterer nach 543 Tagen in der Regierung "Es reicht!" und stimmte einem grünen Neuwahlantrag zu. Bei der folgenden Wahl wurden beide Koalitionsparteien abgestraft, die ÖVP allerdings stärker als die SPÖ. (Conrad Seidl, 1.10.2015)