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Bernd Pieschetsrieder drängt die Regierungen, auf die personellen Ressourcen der Zuwanderer nicht zu verzichten.

Foto: Reuters/Dalder

Gamlitz – "Gelassenheit ist angesagt", sagt der ehemalige VW-Vorstandschef und heutige Daimler-Aufsichtsrat Bernd Pischetsrieder. Er reagiere auf die nervösen Nachrichten über eine drohende, von der negativen Entwicklung in China ausgelöste Krise der deutschen Autoindustrie mit "null Aufregung". Niemand habe ernsthaft glauben können, "dass der dortige Markt sich weiter verdrei- oder vervierfacht".

Die deutsche und österreichische Autoindustrie werde auch diese Krise überstehen, zeigte sich Pischetsrieder am Rande einer Enquete des steirischen Autoclusters (AC Styria) im steirischen Gamlitz im Gespräch mit dem STANDARD überzeugt. Pischetsrieder machte sich in diesem Rahmen auch für eine stärkere Integrierung qualifizierter Flüchtlinge stark.

Standortqualität

Wichtig sei vorerst, dass Österreich wie Deutschland an ihrer Standortqualität arbeiten. Österreich habe "beste Voraussetzungen", müsse aber wie Deutschland mehr für Forschung und Entwicklung tun. Niedrige Lohnkosten seien jedenfalls kein Standortvorteil. Pischetsrieder: "Ein Lohnkostenvorteil ist immer nur ein taktischer aber kein strategischer Vorteil. Beispiel Spanien: Warum sind so viele nach Spanien gegangen? Weil Spanien immer Niedriglohnland war, dann fiel plötzlich die Grenze nach Osten. VW war besonders betroffen, weil der gleiche VW-Polo in Spanien und Bratislava gebaut wird und der war in Bratislava plötzlich viel billiger als in Spanien. Das heißt für Standorte: Man muss sich auf Kompetenz konzentrieren. Der steirische Autocluster zum Beispiel ist ja nicht deswegen so stark, weil er billig ist, sondern wegen seiner Kompetenz. Hier gibt's die TU, Magna und spezialisierte Zulieferer. Das ist das, was nachhaltig ist."

Die wirklich bestimmende Größe eines Standortes für einen Industriestandort sei eben F&E und dazu brauche es "Köpfe, schlaue Köpfe". Und hier gerate Deutschland, aber auch Österreich in eine schwierige Situation.

Alle entwickelten Staaten betroffen

"Von allen 40 Millionen Beschäftigten in Deutschland sind eine Million Ingenieure oder Naturwissenschaftler. Die sind für 18 Prozent des Bruttosozialproduktes in Deutschland verantwortlich. Ohne sie gäbe es ein Drama. 60.000 gehen aber jedes Jahr in Ruhestand oder wandern ab. Von den Unis kommen nur 25.000 oder 30.000 Abgänger. Das sind nur halb so viele wie jene, die abgehen. In Österreich ist die Situation sicher gleich. Es trifft alle entwickelten Industriestaaten."

Hier müsse auch das Thema der Zuwanderung stärker ins Spiel kommen. Pischetsrieder drängt die Regierungen, die personellen Ressourcen der Zuwanderung stärker zu nutzen: "Syrien zum Beispiel verfügt über eine vergleichsweise hervorragende Ausbildung. Man darf bei der ganzen aktuellen Problematik, Stichwort Traiskirchen, diesen Aspekt nicht vergessen. Die USA sind deshalb so stark geworden, weil es ein Einwanderungsland ist. Denn eines muss klar sein: Fortschritt entsteht nur durch Vielfalt." (Walter Müller, 26.8.2015)