Diversity-Managerin Beatrice Achaleke, geboren in Kamarun, war über 20 Jahre hinweg eine kritische Stimme in Sachen Integrationspolitik und Vielfalt in Österreich.

Foto: Karola Riegler

Diversity-Managerin Beatrice Achaleke war über 20 Jahre hinweg eine kritische Stimme in Sachen Integrationspolitik und Vielfalt. Mit ihren Veranstaltungsreihen und Workshops wollte sie dafür sorgen, dass Österreich ein Stück weit offener wird, sagt Acheleke über ihre Arbeit. Nun möchte sie Österreich in Richtung Südafrika verlassen. Sie sehe keinen triftigen Grund, vorerst noch hier zu bleiben. Afrika, dieser riesige Kontinent, sei gerade im wirtschaftlichen Aufschwung und biete gute Perspektiven, sagt Achaleke. Im Gespräch mit daStandard schildert sie ihre Lebensgeschichte und gibt Antwort auf die Frage, warum sie letztendlich Österreich den Rücken kehrt.

daStandard: Warum möchten Sie Österreich verlassen?

Achaleke: Wir sind auf die Welt gekommen um zu wachsen. Wenn man das Gefühl hat, dass man in einem Umfeld lebt, in dem man nicht mehr weiterkommt, dann sollte man gehen, wenn man die Möglichkeit hat. Seit fünf Jahren habe ich das Gefühl, dass ich dem System hier entwachsen bin. Und: Die Welt ist so groß. Zwischen Österreich und Kamerun, meinem Herkunftsland, liegt so vieles dazwischen. Viele haben mich gefragt, warum man ein Land oder sein Umfeld nach 20 Jahren verlässt. Aber wenn man keine Lebensgrundlage mehr findet und es finanziell nicht mehr geht, dann fängt man an nach Alternativen zu suchen. Ich kannte hier auch Gott und die Welt und trotzdem hat es mir nichts geholfen. Vor allem war es finanziell schwierig. Wie oft habe ich meinen Kindern schon gesagt, dass wir uns dieses oder jenes nicht leisten können.

daStandard: Was stört Sie in Ihrem Fall besonders?

Achaleke: Ich bin ein unternehmerischer Mensch. Ich erfinde mich ständig neu und versuche bei Hindernissen wieder aufzustehen. Österreich hat ein Integrationsprogramm, das sich auf das Deutschlernen konzentriert. Für Menschen, die dies schon können und mehr wollen, wird nur wenig angeboten. Weiters werden einem ständig die Grenzen aufgezeigt, dieses Kleindenken stört mich hier vor allem.

daStandard: Mit welchen Gedanken verlassen Sie Österreich?

Achaleke: Ich gehe nicht im Groll. Ich bin dankbar und stolz auf alles, was ich hier gelernt und erreicht habe. Hier bin ich zu einer erfahreneren und durchsetzungsstärkeren Person geworden. In Phasen, wo ich von Existenzangst erfüllt war, habe ich den Weg zur Ubuntu-Methode, wie sie Nelson Mandela ausgeübt hat, gefunden. Diese uralte afrikanische Lebensphilosophie, die im alltäglichen Leben aus afrikanischen Überlieferungen heraus praktiziert wird, gab mir den Mut, mich wieder aufzufangen und dorthin weiterzuziehen, wo es eine Zukunft gibt. Das Wort Ubuntu bedeutet in etwa "Menschlichkeit" oder "Gemeinsinn", sowie das Bewusstsein, dass man selbst Teil eines Ganzen ist. Ich werde aber schon im März wieder da sein, um dann meine in Südafrika angewandten Workshops auch hier anzubieten. Ich bin ein globaler Mensch, ich brauche einen Ort zum schlafen, aber mein Wirkungsbereich ist viel größer.

daStandard: Sie äußern sich oft zu integrationspolitischen Themen. Was kritisieren sie genau?

Achaleke: Man geht immer vom Negativen aus, man spricht immer nur dann darüber, wenn es einen negativen Anlass gibt. Stichwort: EU-Grenzen: "Sie kommen, sie werden uns alles nehmen, es wird nachher nichts mehr geben", könnte man die Meinungslage zusammenfassen. Dann kommt noch dazu, dass eine falsche Informationspolitik betrieben wird. Einerseits will man die besten vom Ausland haben, andererseits vermittelt man gleichzeitig, dass jene, die schon hier sind, nicht gut genug sind und dass ihre Herkunftsländer ebenfalls schlecht sind. Das sind falsche Signale. Ich kam nach Österreich mit fünf Sprachen, aber solange ich nicht Deutsch sprechen konnte, war ich nicht gut genug, gab man mir das Gefühl.

daStandard: Österreich ist das zweitreichste Land der EU. Eigentlich müsste es den Menschen hier ja im Miteinander besser gehen, weil das soziale Gefälle nicht so stark ausgeprägt ist.

Achaleke: Ja, davon geht man aus. Aber wenn man was hat, dann will man es umso mehr schützen und quasi einen exklusiven Klub gründen und sagen, wir sind reich, wir brauchen keine anderen mehr hier, vor allem keine Fremden, die uns was wegnehmen.

daStandard: Glauben Sie denn, dass Österreich hierbei eine Ausnahme ist? Immerhin ist dieser Rechtsruck ja in vielen weiteren EU-Ländern spürbar.

Achaleke: Ich kann nur über Österreich sprechen, ich kenne die anderen EU-Länder nicht so gut. Was ich sagen kann, ist, dass beispielsweise die englischsprachigen Länder besser mit Migranten umgehen, weil die Sprache schon bereits international ist. Die deutsche Sprache ist hingegen eine auf Deutschland, Österreich, teilweise die Schweiz beschränkte Sprache, die dann auch ihre Eigenheiten hat. Sie ist meiner Meinung nach deshalb nicht so weltoffen.

daStandard: Mit welchen Erwartungen kamen Sie vor 20 Jahren nach Österreich?

Achaleke: Ich kam hierher, um zu studieren, mich weiterzubilden und dann in mein Land Kamerun zurückzugehen, um mich dort zu etablieren, dort etwas aufzubauen. Dann kam aber auch das private Leben hinzu, ich blieb wegen meiner Kinder. Ich hatte aber keine fixen Erwartungen an Österreich.

daStandard: In Südafrika wären Sie quasi auch eine Fremde.

Achaleke: Ja. Ich bin in Südafrika eine Migrantin. Es wird dort nicht leicht sein, aber die Strukturen sind anders. Die Leute, die Gesellschaft. Ich habe eine offene Art und kann schnell mit Menschen in Kontakt treten. Ich suche dort Möglichkeiten, die mir auch Wachstum ermöglichen. In Österreich habe ich versucht, immer die besten Leute zu holen, mein Ziel war es, Österreich zur Diversity-Hauptstadt Europas zu machen. Geredet wurde viel, getan aber nur wenig.

daStandard: Was hat man Ihnen da genau gesagt? Immerhin ist Österreich mit seinem Life-Ball und etlichen anderen Projekten ja kein unbekanntes Pflaster.

Achaleke: Im ersten Jahr lief es gut für meine Projekte, im zweiten Jahr sagten mir schon viele Entscheidungsträger: Was wollen Sie denn, wir haben Sie schon unterstützt. Im dritten Jahr hat der Hauptsponsor meiner Diversitätstagung kurzfristig. Das führte unweigerlich zu einem großen Verlust. Nach so vielen Jahren konnte ich erstmals meine Miete nicht mehr zahlen.

daStandard: Was machen Sie in Südafrika genau?

Achaleke: Verschiedenes. Ich werde dort eine Ubuntu-Akademie Namens "Happy Minds" gründen. Ich habe den Eindruck, dass Menschen dort in afrikanischen Ländern emotional stärker sind und auch glücklicher. Dieses "Mindset" möchte ich verbreiten und rund um den Globus wie auch in Österreich Kurse anbieten. Finanzielle Armut ist reparierbar, aber emotionale Armut ist nur schwer steuerbar und braucht Zeit. Das versuche ich mit meiner Akademie zu machen. Am Beispiel von Nelson Mandela, der nach dieser uralten Philosophie gelebt und gehandelt hat, sieht man, wie Menschen in extremen Situationen noch immer glücklich sein können. Mandela hat sich nie gerächt, er hat auch niemanden exekutieren lassen, er hat sich für eine Politik der Annäherung, des Friedens und des glücklichen Zusammenlebens aller Menschen unabhängig von ihrem Hintergrund eingesetzt.

daStandard: Über ihre Auswanderungspläne haben sie ein Buch geschrieben, um auf Ihren Weg aufmerksam zu machen. Wie kam es dazu?

Achaleke: Als ich letztes Jahr auf großen Schulden sitzen geblieben bin, habe ich eine Art Selbsttherapie gebraucht. Dann habe ich angefangen, diese fiktive, von mir erdachte Konversation mit Nelson Mandela zu führen und sein Leben mit meinem zu vergleichen. Ich versuchte menschliche Gemeinsamkeiten herauszusuchen, ich suchte auch neue Inspiration, ich wollte auch meine Situation damit vergleichen und mir selbst Mut machen. Als ich wütend war, hieß der geplante Titel des Buches noch "Leaving Vienna to go", nach einiger Zeit kam der Gedanke, es "Follow me to Africa" zu nennen. Mittlerweile geht es mir gut. Auch wenn ich wegziehe, bleibt Österreich ein Stück Zuhause für mich. (Toumaj Khakpour, 9.6.2015)