Von 2005 bis 2015 haben sich die Premierminister der meisten europäischen Länder verpflichtet im Zuge der so genannten Roma-Dekade die Lebensbedingungen von Roma europaweit zu verbessern. Trotz der guten Vorsätze hat sich die Lage für Roma durch das Anwachsen von Nationalismen bis heute eher verschlechtert, sagt Saša Barbul, Roma-Aktivist und Veranstalter des "Opre-Roma-Filmfestivals". Gleichzeitig aber sind einige junge Künstler in Erscheinung getreten, die ihre eigenen Geschichten erzählen, ihre eigenen Filme machen, wie das Beispiel von Kenan Emini zeigt.

Saša Barbul bei der Eröffung des "Opre-Roma-Filmfestivals".
Foto: Sinisa Puktalovic

daStandard: Herr Barbul, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit kulturellen wie menschenrechtlichen Themen rund um Roma. Was war der ausschlaggebende Grund dies zu tun?

Saša Barbul: Seit 2001 habe ich damit begonnen Themen wie Schule, Bildung, Kunst und Kultur die Roma betreffen, sichtbarer zu machen. Beispielsweise durch die Gründung von Vereinen aber auch durch die Schauspielerei und weiteren Projekten. Mir als Einzelperson geht es in Europa ja gut. Beschäftige ich mich aber mit der Roma-Thematik in der EU, dann spüre ich eine sehr große Betroffenheit. Vieles was den Roma widerfährt, passiert mitten in Europa, auf einem Kontinent welches die Menschenrechte hochhält.

Gleichzeitig gibt es aber auch eine andere Seite der Roma, die in den Medien nur sehr selten Platz findet. Das Opre-Roma-Filmfestival ist deshalb auch ein gezielt politisches Festival und soll all diese kleinen und großen Missverständnisse rund um Roma aufzeigen. Irgendwie habe ich auch den Eindruck, dass das Schicksal der Roma so vielen einfach nur egal ist, denn es passiert auf politischer Ebene nur sehr wenig.

daStandard: Warum glauben Sie ist dies so? Es leben schätzungsweise 12 Millionen Sinti und Roma in Europa und das politische Thema ist für die EU von Bedeutung.

Barbul: Diese Frage stelle ich mir selbst sehr oft. Vielleicht geht es allen gleich schlecht und deshalb kümmert sich keiner darum, oder vielleicht ist es der Egoismus der meisten Menschen und jeder beschäftigt sich erstmal mit sich selbst. Aber vielleicht haben Roma auch keine einflussreiche Lobby, die für sie Partei ergreift, wenn es notwendig wird. Und auch die Medien spielen dabei eine Rolle und berichten nur sehr zaghaft und zurückhaltend. Wenn aber etwas Negatives passiert, dann wird sehr wohl darüber berichtet.

daStandard: Wie ist es in Ihrer Arbeit als Aktivist, Veranstalter, Schauspieler, stoßen Sie da auch an Grenzen?

Barbul: Erfreulicherweise gibt es da mehr Zuspruch als Abneigung. Wir haben die IRFC (International Romani Film Commission) gegründet. Dort engagieren sich viele kreative Menschen, darunter Tony Gatlif, Charles Newald. Ich freue mich, dass es so viele Leute gibt die mitmachen. Auch Menschen wie Kenan Emini, der mit seinem Film "F..k Deportations. Alle bleiben!" eine umfassende Analyse der Abschiebungspraxis abgebildet hat. Am meisten würde ich mich aber freuen, wenn ich mehr Roma auch im Publikum sehen würde.

daStandard: Was glauben Sie, müsste man machen, um auch mehr Roma-Publikum anzuziehen?

Barbul: Viele Roma sehen sich gerne bekannte Roma-Stars an, einen Sänger, einen Künstler oder Schauspieler. Das ist in unserem Plan aber derzeit nicht vorgesehen. Gleichzeitig brauchen wir auch viele österreichische Gäste, die das Gesehene hinaustragen. Die Roma-Gemeinschaft ist oftmals lose auch wenn es einen Zusammenhalt gibt, gibt es leider kein Dach, dass Roma-Interessen vertritt. Es gibt aber Bekannte Einzelpersonen, die uns ihre Unterstützung zugesprochen haben. Selimovic, Jovanovic, Gilda Horvarth - wir sind verbunden, arbeiten auch mit dem Romano Centro zusammen. Ganz wichtig war Kültür Gemma, die dieses Festival initiiert haben.

daStandard: Welche Projekte werden Sie in Zukunft angehen?

Barbul: Beim nächsten Opre-Roma-Festival möchte ich mich auf die Rolle der Frauen innerhalb der Roma-Gemeinde fokussieren. Viele Frauen haben eine schlechte Ausgangslage in ihren Familien, werden mit 15 verheiratet, haben nur wenig Rechte. Parallel arbeite ich an einem Theater-Projekt. Ich mache auch zwei neue Filme. In einem dieser Filme möchte ich mit den Klischeebildern über Roma aufräumen, ich will auch die andere Seite zeigen: Gebildete Roma, die studiert haben, die Dinge machen, die nicht den klassischen Klischeebildern entsprechen.

Kenan Emini, Regisseur, Aktivist.

Kenan Emini bei der Vorführung von "Alle bleiben".
Foto: Sinisa Puktalovic

daStandard: Wie kamen Sie dazu sich in der Roma-Frage zu engagieren?

Kenan Emini: Wie so viele war auch ich selbst erstmal ein Betroffener. Als Roma in Kroatien, der auch den Krieg unmittelbar mitbekommen hat und dann nach Deutschland. In Deutschland erlebt man dann eine andere Art der Diskriminierung. Dann begann die Abschiebungswelle in Deutschland. Das hat mich aufgewühlt und ich habe mich mehr und mehr mit dem Thema identifiziert. Irgendwann wurde ich dann aktiv. Ich gründete beispielsweise das Roma Zentrum in Göttingen. Mein Ziel war es Strukturen zu schaffen und eine Strategie zu entwickeln um Abschiebungen zu verhindern.

daStandard: Viele Momente aus euren Aktionen sind in Ihrem Film "Alle bleiben" zu sehen. Wie wusstet ihr beispielsweise wann abgeschoben wird?

Emini: Wir hatten unsere Quellen, deshalb konnten wir auch um fünf Uhr morgens bei den Familien sein. Im Jahr 2010 wurden jeden Monat etliche Familien abgeschoben, es war eine sehr unruhige Zeit. Dann bekam das ganze noch eine andere Qualität. Die so genannten Sammelabschiebungen wurden durchgesetzt, daher wurde eine Familie eingesammelt und dann fuhren die Beamten in die nächste Stadt oder Land und es kamen schließlich alle in den Kosovo oder dergleichen. Da wussten wir nicht mehr wo und wann es passiert, die Lage wurde zunehmend schwerer für uns.

daStandard: Sie haben Unmengen an Filmmaterial...

Emini: Wir haben immer wieder gefilmt und haben über längeren Zeitraum Material zusammengetragen. Wie hatten aber auch viele Kontakte zu anderen Aktivisten-Gruppen. Gleichzeitig haben wir seit 2009 begonnen Beweismaterial zu sammeln, wir haben ein großes Archiv. Auch für Gerichtsprozesse gegen Roma-Familien, die von der Abschiebung betroffen sind.

daStandard: Welche Resonanz hatte der Film?

Emini: Ich denke er hat für Aufsehen gesorgt. Wir hatten viele Anti-Roma-Bilder, die wollten wir nicht zeigen. Wir wollten aber den Hass zeigen und uns von den Klischees entfernen. Im Film sieht man, dass Roma-Kinder intelligent sind und ihre Heimat beispielsweise Deutschland nach der Abschiebung sehr vermissen. Sie möchten zurück und dort die Schule besuchen. Oft wird es aber so dargestellt, dass sie gleich ihren Schulrucksack ablegen um zu betteln. Viele haben mich auch auf die starken Kontraste im Film angesprochen.

Du lebst 27 Jahre lang in einem Land wie Deutschland oder Österreich und wirst dann abgeschoben. In ein Land in dem du noch nie warst, dessen Sprache du eigentlich nicht sprichst und aufeinmal bist du dort der letzte Dreck, die Einheimischen verfolgen dich und du bist in ständiger Gefahr, wirst verfolgt und findest dich an einem Müllplatz wieder an dem du Plastik sammeln gehst.

daStandard: Wie es den Menschen gegangen ist, die davon betroffen sind, hat man im Film eindrücklich gesehen. Wie ist es euch dabei gegangen das ganze zu dokumentieren?

Emini: Viele meiner Kollegen konnten es nicht wahr haben, bis sie es mit eigenen Augen erlebten. Andere konnten es emotional nicht mehr verarbeiten. Leben wir wirklich in Europa? Was ist hier so unglaublich schief gelaufen? Man stellt sich viele Sinnfragen. Ich denke, dass das System mit dem sich die Roma auseinandersetzen einfach falsch ist.

Auch der Kapitalismus trägt eine Schuld. Denn die Politiker in den jeweiligen Abschiebeländern überlassen die Roma ihrem eigenen Schicksal, sie wollen nur Wählerstimmen sammeln. Entweder indem sie die Roma kurzzeitig einbinden oder indem sie Roma als Sündenböcke für den Wahlkampf hernehmen. Solange sie wirtschaftlich oder politisch was taugen, duldet man sie.

Ein weiteres Problem ist die Sache mit den sicheren Herkunftsstaaten.Im Kosovo beispielsweise werden Roma verfolgt und sind Schikanen ausgesetzt, aber es scheint keinen zu kümmern. Genau das habe ich im Film dokumentiert. Denn auch in für sicher gehaltenen Ländern herrscht große Unsicherheit und Verfolgung für Roma. (Toumaj Khakpour, daStandard.at, 27.5.2015)