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Am 12. April 1999 traf eine Nato-Bombe einen Zug, der gerade die Grdelica-Schlucht überquerte, zehn Menschen starben.

Foto: REUTERS/Emil Vas

Serbien ist über seinen eigenen Schatten gesprungen. Am 18. März unterzeichnete das Land den Individuellen Partnerschaftsaktionsplan (Individual Partnership Action Plan, IPAP) mit der Nato. Es ist die höchste Partnerschaftsstufe eines Nichtmitgliedsstaats mit der Nato.

Ironischerweise geschah das nur wenige Tage vor dem 16. Jahrestag des Beginns der NAto-Luftangriffe auf die damalige Bundesrepublik Jugoslawien, die ohne Genehmigung des UN-Sicherheitsrats am 24. März 1999 starteten. Das völkerrechtlich umstrittene Bombardement Serbiens und Montenegros dauerte 78 Tage, rund 2.000 Menschen kamen ums Leben, die Infrastruktur Serbiens wurde zerstört. Nach dem Friedensabkommen zogen sich serbische Streitkräfte zurück, Nato-Truppen marschierten in das Kosovo ein.

Die Unterzeichnung des IPAP ist jedoch nur die Spitze der historischen und politischen Ironie in Serbien. Serbiens aktueller Staatspräsident Tomislav Nikolic und Ministerpräsident Aleksandar Vucic waren zur Zeit der Luftangriffe hohe Funktionäre der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS), die bis zum bitteren Ende gegen die Nato kämpfen und das Friedensabkommen nicht unterzeichnen wollte.

Auch nach der demokratischen Wende im Jahr 2000 bezichtigten Nikolic und Vucic die Nato, die USA und alle an den Luftangriffen beteiligten europäischen Staaten, Serbien nur bombardiert zu haben, um das Kosovo mit Gewalt loszulösen und seine Unabhängigkeit zu ermöglichen. Die Nato begründete den ersten Kriegseinsatz in der Geschichte der Allianz damit, dass man den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der ethnischen Säuberung und der Repression des serbischen Staates gegenüber den Albanern im Kosovo nicht länger tatenlos zuschauen könne.

Konsens über EU-Beitritt

Über die Mitgliedschaft in der EU gibt es in Serbien derzeit einen politischen Konsens, das Land startete im Jänner 2014 die Beitrittsverhandlungen. Allerdings sind mehr als zwei Drittel der Serben gegen eine Mitgliedschaft in der Nato, das Thema ist schlicht ein Tabu. Die politische Führung ist sich allerdings sehr wohl bewusst, dass bisher ausnahmslos alle Staaten des Ostblocks zuerst der Nato und erst dann der EU beigetreten sind. Man kann davon ausgehen, dass man im Fall Serbiens keine Ausnahme machen würde.

Die Unterzeichnung des IPAP ist der regierenden Koalition sichtlich peinlich. In den überwiegend regierungsfreundlichen Medien wird das Thema heruntergespielt. Kritiker meinen jedoch, dass das Abkommen genau das vorsieht, was die heute führenden Politiker in Serbien vor 16 Jahren ablehnten und weshalb sie einen Krieg mit der Nato in Kauf nahmen: Nato-Truppen können sich bei Bedarf frei durch Serbien bewegen und unterliegen nicht dem serbischen Recht; die Nato kann zeitlich befristet serbische militärische Infrastruktur benutzen.

Das Abkommen hat zahlreiche völlig verallgemeinerte Stellen wie gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus und Bewahrung des Weltfriedens sowie lange Passagen über nichtmilitärische Anliegen wie Wirtschaftswachstum, makroökonomische Stabilität, Energieversorgung, Inklusion der Roma und Armutsbekämpfung.

Keine Reaktion aus Moskau

Einige Experten meinen, dass das Abkommen absichtlich vieldeutig verfasst wurde, um die serbische Bevölkerung, aber auch Russland nicht allzu sehr zu irritieren: Der entschiedene Standpunkt Moskaus ist, dass man nichts gegen die EU-Integration Serbiens habe, eine Mitgliedschaft Serbiens in der Nato jedoch inakzeptabel sei. Serbien ist von Energielieferungen aus Russland abhängig. Bisher reagierte Moskau nicht auf Serbiens Unterzeichnung des IPAP.

Ironisch am IPAP ist auch, dass Serbien vor 16 Jahren der Nato die Stationierung im Kosovo um jeden Preis verweigern wollte, heute jedoch darauf beharrt, dass die Nato im Kosovo die serbische Bevölkerung, orthodoxe Kirchen und Kulturdenkmäler weiter beschützt und sich ja nicht zurückzieht.

Ein besonderer Absatz des IPAP ist der Promotion der Nato in Serbien gewidmet. Da steht: "Serbien hat die Absicht, eine aktive und umfassende Kampagne über wichtigste Fragen im Verteidigungsbereich, den Rahmen und die Vorteilen der Zusammenarbeit mit der Nato im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden, das IPAP eingeschlossen, durchzuführen. (…) Die (Medien-)Strategie wird akademische, wissenschaftliche und Forschungsinstitutionen ermutigen, mit der Nato zusammenzuarbeiten und sich an gemeinsamen Projekten zu beteiligen …"

Als Serbien 2006 der "Partnerschaft für den Frieden" beitrat, protestierten die heute regierenden Politiker und empörten sich über serbische "Nato-Söldner". Heute wollen alle in die EU, und der Weg in die EU führt über die Nato. Nur wissen das die Bürger Serbiens noch nicht, die, wenn es so weit ist, über beides in einem Volksbegehren entscheiden werden. Da benötigt es eine breitangelegte Überzeugungskampagne. (Andrej Ivanji aus Belgrad, derStandard.at, 27.3.2015)