"Austrocalypse now"

Foto: boem*

Ein klassisches Verhör, bestehend aus drei Personen, die um einen einfachen Holztisch sitzen: der Verdächtige, der Good Cop und der Bad Cop. Dazu noch eine Kamera, die das Geschehen filmt und an die Wand projiziert, sodass der Verdächtige von allen Seiten sichtbar ist, er ist durchleuchtet. So sieht die schlichte Anordnung aus, in der sich in einer knappen Stunde ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht entspinnt.

Bis zur Unkenntlichkeit integriert

Der Verdächtige stammt aus Ex-Jugoslawien, genauer gesagt, aus Serbien. Die Polizistin, die sich als kaffeebringende Good-Cop-Kollegin zu profilieren versucht, ist, wie sich im Lauf des Gesprächs herausstellt, keine Österreicherin, sondern stammt ebenfalls aus Ex-Jugoslawien. Diesen Umstand macht sich der aggressive und zugleich verunsicherte Verdächtige zunutze, um ihr in altbewährter patriarchaler Manier Verrat an der eigenen Herkunft vorzuwerfen, weil sie sich, im Gegensatz zu ihm, bis zur Unkenntlichkeit integriert hat. Die Polizistin, überzeugend und kraftvoll dargestellt von Ana Stefanović-Bilić, wehrt sich gegen die Übergriffe des Verdächtigen, der durch seine Untergriffigkeit ihre Autorität zu untergraben droht.

Ihr österreichischer Kollege hat wiederum seine eigene Agenda: Er steht kurz vor einer Beförderung, benötigt dafür aber eine Verurteilung und will dem Verdächtigen ein Geständnis abpressen. Auch er hat einen Bezug zum Balkan: Er hat sich als gut bezahlter ausländischer Soldat am Krieg beteiligt, mit dem einzigen Ziel, sich zu bereichern.

Schüsse gegen Schlaflosigkeit

Im Laufe des Verhörs stellt sich allmählich heraus, warum der Verdächtige überhaupt in Gewahrsam genommen wurde. Der Mann ist ein kriegstraumatisierter Veteran, der schon länger in Wien lebt, jedoch psychisch und emotional keinen Anschluss an den Frieden finden kann. In seiner Fantasie hat er sich darauf vorbereitet, sein Hochhaus in Wien mit Waffen zu verteidigen und im Zuge dessen Waffenmaterial gesammelt und sich eine Strategie zurechtgelegt. Geplagt von Ängsten und Gewissensbissen leidet er unter chronischen Schlafproblemen – nächtliches Schießen soll dagegen Abhilfe schaffen, so hat er es im Krieg gelernt.

Am Ende dieses dichten Stückes treten die Protagonisten aus ihren jeweiligen eng definierten Rollen heraus und lassen eine Vielzahl an Stimmen über den Krieg und seine Langzeitfolgen zu Wort kommen.

Kriegsveteranen im Stich gelassen

Entstanden ist das Stück vor dem Hintergrund eines Projekts des Kollektivs BOEM, im Zuge dessen rund 300 Personen interviewt wurden, die in den 90er-Jahren aktiv an den Kämpfen in Kroatien, Bosnien und Herzegowina und dem Kosovo beteiligt waren. Dabei ging es darum auszuloten, wie diese Menschen im Nachhinein ihre eigene Rolle im Krieg sehen und wie sie das Kriegsgeschehen interpretieren, abseits ideologischer und ideologisierender Schablonen. Da das offizielle Serbien seine eigene Beteiligung am Krieg herunterspielt, wurden die Veteranen nach dem Krieg weitgehend ihrem Schicksal überlassen und mit minimaler medizinischer und psychosozialer Versorgung abgespeist. Das Verdienst von "Austrocalypse now" besteht darin, die vielschichtige Perspektive dieser Menschen, die ins Abseits gedrängt wurden, aufzugreifen und ihrem seelischen Leid, ihren Schuldgefühlen und Frustrationen eine Bühne zu geben. (Mascha Dabić, daStandard.at, 27.1.2015)