Staatssekretär Mahrer (ÖVP) bekommt ein Buch mit Widmung: "Seien Sie mutig!"

Foto: Elena Capra

In den Lernbüros wird überprüft ob stimmt, was Mahrer sagt.

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Margret Rasfeld ist keine Freundin der blumigen Sprache. Wenn sie über die Grundsätze ihrer Schule referiert, wählt sie klare, zackige Worte, reiht Fakten aneinander, wird nie belanglos. Aber manchmal huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Etwa wenn sie von der wöchentlichen Schulversammlung erzählt, einem Ort, an dem Schüler und Lehrer einander öffentlich loben können. Oder wenn sie von dem autistischen Buben berichtet, der sich im Projekt Verantwortung um eine alte Frau aus dem Seniorenheim kümmert, sie einmal pro Woche im Rollstuhl in die Kapelle schiebt und ihr am Klavier vorspielt.

Beim Thema Projekte landet auch die Reisegruppe, die ÖVP-Staatssekretär Harald Mahrer für seinen Bildungs-Trip nach Berlin um sich gescharrt hat, schnell. Im Gespräch mit den Schülern zeigt sich, dass es hier nicht um die eine Woche zwischen Zeugnisschluss und Schulende geht. Die Projekte sind fix in den wöchentlichen Schulablauf integriert, hier übernehmen die 12- bis 14-Jährigen Schüler eine sinnvolle Aufgabe im Gemeinwesen. Linus Erdmann (13), ein weißblonder Bub mit wachen Augen und einer ordentlichen, aber nicht übertriebenen Portion Selbstvertrauen, hat es sich dieses Jahr zur Aufgabe genommen, seine Pausen mit den Down-Syndrom-Kindern der Schule zu verbringen. Und beim Projekt Herausforderung, das die "Verantwortung" noch toppt, indem sich die Kinder drei Wochen lang mit 150 Euro in der Tasche, begleitet von einem Über-18-Jährigen, außerhalb von Berlin durchschlagen, ist Linus bereits mit zwei Freunden und je einem Fahrrad quer durch Deutschland gereist.

Alles anders

An der Evangelischen Schule Berlin Zentrum ist so ziemlich alles anders als an den weiterführenden Schulen, die man gemeinhin kennt. Es gibt keine Fächer, Noten erst ab der neunten Schulstufe (entspricht der fünften in Österreich), jahrgangsgemischte Klassen, Werkstätten, Projektdonnerstage. Und zwar ganztägig, für alle selbstverständlich. Allerdings hebt man 1,8 Prozent des elterlichen Einkommens als Schulgeld ein.

Der Staatssekretär besucht an diesem Dienstag eines der Lernbüros, die den Schülern täglich in den ersten beiden Stunden angeboten werden. Mahrer landet im grünen Raum, in dem sich alles um Geografie, Geschichte und Demokratie dreht. Er will wissen, "wie das mit der Gewaltenteilung funktioniert", gibt dann seine Definition von Legislative, Exekutive und Judikative zum besten und erklärt der Schülergruppe seine Anwesenheit so: "Wir schauen uns an, ob das bei euch besser geht mit der Schule und wenn das so ist, dann mache ich - ich gehöre als Regierungsmitglied zur Exekutive - einen Vorschlag an das Parlament." Jetzt steht ein Schüler auf und schaut in seinen Lernmaterialien nach, ob das auch stimmt, was Mahrer sagt.

Frontalunterricht verunmöglicht

Bausteine heißen diese Materialien hier, die von den Schülern selbstständig benutzt werden. Die Klassenlehrer werden immer Freitags zum Tutor, mit dem der Lernfortschritt, aber auch Persönliches besprochen wird. Aber auch an all den anderen Tagen sind sie nicht Wissensvermittler im klassischen Sinn. Frontalunterricht ist an dieser Schule nicht möglich.

Schulleiterin Rasfeld gibt als eine ihrer Grundüberlegungen bei der Gestaltung der Schule an: "Lernen läuft über Beziehung!" Nicht Konkurrenz, Leistungsdruck und Selektion seien künftig gefragt. Die Kinder sollten lernen, "Wissen zu erwerben, zusammen zu leben und zu handeln". Einer der Mitreisenden, Michael Schratz vom Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung an der Universität Innsbruck, nimmt vom Schulbesuch unter anderem mit, "dass in Menschen mehr drinnen steckt, als man ihnen zutraut und auch mehr als sie sich selbst oft zutrauen". Dieses Potenzial gehöre genutzt. Derzeit würden Schulen das aber "eher verhindern".

Auch Staatssekretär Mahrer hat viele Anregungen im Gepäck, nachzulesen unter "Mit Berliner Ideen in Richtung Ganztagsschule". Schülerin Alma de Zárate hat ein Buch über "ihre" Schule geschrieben, das sie dem Politiker aus Österreich schenkt, versehen mit der Widmung "Seien Sie mutig!". (Karin Riss, derStandard.at, 26.11.2014)