Die Forscher analysierten unter anderem die Überreste einer Frau, die vor rund 8000 Jahren im heutigen Schweden lebte.

Foto: Fredrik Hallgren

Tübingen/Wien - Vor etwa 11.000 Jahren entstanden im Nahen Osten die ersten landwirtschaftlich geprägten Kulturen. Die Menschen in Europa lebten zu diesem Zeitpunkt noch als Jäger und Sammler. Wie die genetische und archäologische Forschung der vergangenen Jahre zeigte, kamen diese beiden Gruppen vor spätestens 8.500 Jahren miteinander in Kontakt.

Das Ergebnis war nicht nur die Ausbreitung der Landwirtschaft in Europa, sondern auch die Vermischung dieser beiden Populationen. Folglich ging man bisher davon aus, dass daraus die heutigen Europäer hervorgingen. Eine unvollständige Annahme, wie nun Forscher um Johannes Krause (Universität Tübingen) und David Reich (Harvard Medical School) in Nature berichten: Sie entdeckten genetische Spuren von mindestens einer dritten Population im Erbgut der heutigen Europäer.

Aufschlussreiche Genomvergleiche

Bereits vor zwei Jahren meldeten die Forscher Zweifel daran an, dass die Europäer nur von zwei Populationen abstammen. Anhand archäologischer Funde aus Deutschland, Schweden und Luxemburg sequenzierten sie in ihrer aktuellen Studie das Erbgut mehrerer 7.000 bis 8.000 Jahre alter Bauern bzw. Jäger und Sammler.

Der Vergleich mit dem Erbgut von insgesamt 2345 heute lebenden Europäern ergab nun mindestens einen weiteren starken genetischen Einfluss: den einer Population aus Nordeurasien, die wiederum eine Verbindung zu den Ureinwohnern Amerikas besitzt. Wann genau diese Population nach Zentraleuropa wanderte, ist noch nicht geklärt - sicher aber später als die ersten Bauern. Der genetische Anteil der verschiedenen Vorfahrenpopulationen auf das Erbgut heutiger Europäer ist aber regional höchst unterschiedlich.

Die nordeurasische Gruppe sei jedenfalls mit einem Anteil von unter 20 Prozent europaweit genetisch am geringsten vertreten, schreiben die Forscher. Auch Einflüsse weiterer Populationen sind nicht ausgeschlossen. (dare, DER STANDARD, 18.9.2015)