Im Notfall als Erste zur Stelle: Mit Sensoren bestückte Drohnen könnten sich ein Bild der Lage machen und nach Opfern suchen, noch bevor die Rettungskräfte eintreffen. In der Einsatzzentrale sollen alle Daten gesammelt werden.

Foto: Uni Salzburg / Lyudmila Zaitseva

Salzburg - Ein unbemanntes Flugzeug sucht Skigebiete nach einem Lawinenabgang nach Verschütteten ab. Ein anderes fliegt über einer Massenkarambolage auf der Autobahn und identifiziert Explosionsgefahren, das nächste jagt inzwischen Umweltsünder.

Geht es nach der Europäischen Union, sollen bereits 2016 solche Drohneneinsätze möglich sein. Ein von der Kommission gefördertes Projekt arbeitet seit drei Jahren an der Verbesserung von Katastropheneinsätzen und präsentierte letzte Woche die Ergebnisse. Das Projekt "Bridging Resources and Agencies in Large-Scale Emergency Management" (Bridge) soll "eine Brücke zwischen mehreren internationalen Einsatzorganisationen schlagen", sagt Friedrich Steinhäusler, Physiker und Katastrophenmanagement-Spezialist der Universität Salzburg.

"Die ersten 30 bis 60 Minuten sind am chaotischsten", erklärt Steinhäusler. Gerade wenn grenzübergreifend Gegenmaßnahmen getroffen werden müssen, gäbe es "organisatorische und technische Schwierigkeiten" . Unterschiedliche Ausrüstung, Kommunikationssysteme und Ausbildung seien die größten Probleme.

"Das Ziel ist es, mehr Menschen schneller zu retten, die Umwelt besser zu schützen und kritische Infrastruktur zu wahren", sagt Steinhäusler. Er vertritt Österreich in einem Verbund von insgesamt 15 Staaten. An der Uni Salzburg entwickelte Steinhäusler das "Advanced Situation Awareness System" - ein Modell der verbesserten Lageerkennung. Es setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Um die Lage auszuforschen, sollen Drohnen, die mit Umweltsensoren, Video- und Infrarotkamera ausgestattet sind, die Unfallstelle überfliegen und einen Überblick über die Katastrophe geben. Sie messen dabei Giftgase, giftige Partikel und Radioaktivität.

Als Anwendungsgebiet sieht Steinhäusler etwa Lawinenabgänge. Die unbemannten Flugzeuge können das Gebiet umfliegen und via Infrarotkamera Opfer suchen, bevor der Ort überhaupt für Suchtrupps gesichert ist. Aber auch von "Routinesituationen wie Massenkarambolagen, wo Polizei und Rettung noch nicht durchkommen", könnte man sich schon vorab ein Bild machen.

Ampelsystem

Danach schickt die Drohne ihre Aufzeichnungen an ein speziell entwickeltes Expertensystem in der Einsatzzentrale. Dieses vergleicht die Messungen mit nationalen Grenzwerten und internationalen Empfehlungen wie etwa jenen der Weltgesundheitsorganisation oder der Atomenergiebehörde. "Die Einsatzleitung weiß bei einer Großkatastrophe oft nicht, was gute, schlechte oder falsche Daten sind", sagt Steinhäusler. Das System wird hierbei unterstützen und dem Einsatzleiter ein Signal senden. Dieses kann - wie bei einer Verkehrsampel - grün (alles in Ordnung), gelb (Gefahr) oder rot (möglicherweise lebensbedrohliche Situation) sein. "Wenn er genauer wissen will, was das bedeutet, bekommt er den genauen Messwert und die Information, was etwa die WHO rät."

Im Extremfall, also bei Rot, erhält die Einsatzleitung genaue Anweisungen, welche Evakuierungsmaßnahmen getroffen werden sollen, welche Symptome bei Opfern auftreten können und welche Schutzkleidung nötig ist.

Mit den Infos der Drohne werden gleichzeitig unter Einbeziehung der meteorologischen Daten Karten und 3-D-Modelle des Einsatzortes entwickelt. Zum Beispiel das Modell einer Giftwolke, das zeigt, wann diese mit welcher Konzentration den nächsten Ort erreicht. Der Einsatzleiter kann dann je nach Modellrechnung anordnen, die Fenster zu schließen oder zu evakuieren.

Das System soll dazu dienen, die Entscheidung der Einsatzkräfte auf eine "solidere Basis" zu stellen. "Es nimmt ihnen die Verantwortung aber natürlich nicht ab", sagt Steinhäusler. Diese bleibt beim Einsatzkommandanten: "Wir können nicht riskieren, dass die Maschine den Menschen überstimmt. Aber die Rate der Fehlentscheidungen und die Geschwindigkeit der Entscheidungen werden deutlich verbessert."

Noch bevor es zu einer Problemsituation kommt, soll die Salzburger Technologie eingreifen: "Wir können eine Gefährdungsanalyse erstellen und mögliche Szenarien ausrechnen, noch bevor etwas passiert ist." Derzeit ist das Drohnensystem allerdings noch nicht mehr als ein Prototyp. Das Jahr 2015 soll genutzt werden, es "alltagstauglich" zu machen und zu perfektionieren, um es in Folge auf den Markt zu bringen.

"Wir wollen eine ganze Flotte von diesen Systemen anbieten, abgestimmt auf den jeweiligen Einsatzbereich", sagt Steinhäusler. Nicht jede Rettungsorganisation würde dieselben Funktionen benötigen. Sicherheitskräfte der Polizei bräuchten keine Umweltsensoren, Umweltschutzorganisationen jedoch schon. "Es werden maßgeschneiderte Lösungen angeboten, danach richtet sich auch der Preis", sagt der Physiker. Die Forscher planen, eine "Massenbilliglösung" für "einige tausend Euro" pro Einheit anzubieten, zwischen 15.000 und 20.000 Euro wird die Vollausstattung kosten.

Die Drohnensysteme sollen stark verbreitet werden, in allen größeren Polizei- und Feuerwehreinheiten soll ein Paket zum Einsatz kommen. Nationale Vertriebszentren sollen sie anbieten - und wer das Geld für die Rettungsdrohne nicht gleich aufbringen kann, soll diese auch auf zwei Jahre leasen können.

Im Notfall als Erste zur Stelle: Mit Sensoren bestückte Drohnen könnten sich ein Bild der Lage machen und nach Opfern suchen, noch bevor die Rettungskräfte eintreffen. In der Einsatzzentrale sollen alle Daten gesammelt werden. (Oona Kroisleitner, DER STANDARD, 17.9.2014)