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In ganz Europa werden die Räume für Sexarbeit weniger.

Foto: reuters/sigit pamungkas

Es nimmt wenig Wunder, dass eine in die Ecke gedrängte Gruppe ihren GegnerInnen ebenfalls mit Polemik antwortet. So zumindest lassen sich so manche Spitzen einordnen, die Manuela Schwartz in ihren Vortrag über Sexarbeit in Deutschland eingebaut hatte, den sie vergangene Woche in der IG Architektur in Wien hielt.

Dass Alice Schwarzer ein beliebtes Ziel dieser Spitzen war, liegt angesichts der Anti-Prostitutions-Kampagne der deutschen Feministin auf der Hand. Allerdings gab Schwartz auch gar nicht vor, eine objektive Sicht der Dinge darzustellen: "Ich werde versuchen rüberzubringen, wie die Debatten auf uns Sexarbeiterinnen wirken", erklärte das Gründungsmitglied des "Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen". Das von der Migrantinnenorganisation Lefö veranstaltete Seminar zum Thema "Sexarbeit in Europa" schloss somit eine große Lücke in der öffentlichen Debatte: Sexarbeiterinnen selbst zu Wort kommen zu lassen.

"Sperrgebiet" Deutschland

"Bordell Deutschland", so laute ein beliebter Begriff aus der deutschen Medienberichterstattung. Sexarbeiterin Schwartz sieht Deutschland aber vielmehr als "Sperrgebiet". In Baden-Württemberg etwa sei es nur auf zwei Prozent der Fläche möglich, sexuelle Dienstleistungen anzubieten. Beispielhaft für Deutschland ist diese Zahl allerdings nicht, vielmehr ist die von Schwartz gezeigte Landkarte zu diesem Thema heterogen.

Alleinerzieherin sieht Vorteile in Sexarbeit

Sie selbst sieht viele Vorteile in ihrer Arbeit als Escort: "Das Tolle ist, dass ich mir die Zeit einteilen kann. Das lässt sich wunderbar kombinieren, wenn man Alleinerzieherin ist." Somit kommt Schwartz auf eine zentrale Herausforderung von Frauenpolitik allgemein zu sprechen, nämlich das mangelnde Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen. Dieses habe es ihr schwer gemacht, in ihrem erlernten Job als Bürokauffrau und den damit verbundenen Arbeitszeiten zu arbeiten. Von daher lautet auch eine wichtige Forderung des Berufsverbands, Sexarbeit mit anderen Berufen gleichzustellen. Ihr sei es völlig unverständlich, warum die Polizei für Kontrollen in den Betrieben zuständig ist, so Schwartz. So könne man keiner Frau helfen, die zur Arbeit gezwungen werde oder gar Opfer von Menschenhandel sei. Außerdem komme in einer Bäckerei auch das Gewerbeamt. Gleiches müsse auch für Betriebe gelten, die sexuelle Dienstleistungen anbieten.

Räume für Sexarbeit werden weniger

Einen weiteren Vorteil sieht Schwartz darin, selbstbestimmt arbeiten zu können: "Wenn ich einmal keine Lust habe oder merke, ich brauche eine Pause, kann ich sie nehmen." Dass das nicht für alle SexarbeiterInnen gilt, räumt sie allerdings ein: "Ich bin bestimmt kein Betreiber-Freund", so Schwartz. Auch wolle sie keineswegs negieren, dass in den Betrieben Opfer von Menschenhandel zur Arbeit gezwungen werden. Die hohen Zahlen, die in den Debatten oftmals genannt werden, bezweifelt sie allerdings. Eine weitere Forderung der Sexarbeiterinnen und ihrer VertreterInnen lautet auch, die Themen Sexarbeit und Menschenhandel klar zu trennen.

Einheitlich scheint das Bild, das sich quer über Europa abzeichnet, wie auch Vertreterinnen aus Frankreich und Finnland erzählen: Überall würden die Räume für Sexarbeit kleiner, in den meisten Ländern wird über Bestrafungen von Freiern debattiert oder auch über ein Prostitutionsverbot. In allen Ländern wird darüber gestritten, ob Prostitution und Menschenhandel nun gleichzusetzen sind oder nicht. Dass nordische Staaten, die sonst in vielerlei Hinsicht liberaler sind, bei diesem Thema anders ticken, erklärte Jaana Kauppinen von der finnischen Organisation "Pro-tukipiste" folgendermaßen: "Das hat mit dem Wohlfahrtsstaat zu tun. Privilegierte sollen keine Unterprivilegierten kaufen dürfen." Deshalb würden Sexarbeiterinnen auch dort nicht gehört oder nur dann, wenn sie aussteigen wollen.

Sexarbeiterinnen kommen nicht zu Wort

Gleich ist in allen Ländern, dass Sexarbeiterinnen selbst nicht zu Wort kommen, bevormundet oder gar verleumdet werden. "Das geht oft auch an meine seelischen Grenzen, mit all den Anfeindungen umzugehen", erzählt Schwartz. Oftmals frage sie sich, warum sie so "bescheuert" sei, sich diesen Angriffen auszusetzen. "Aber am Ende mache ich es für mich und meine Rechte." Gemeinsam mit anderen Sexarbeiterinnen gründete sie deshalb den Berufsverband. Eines der Ziele des Verbands ist es, dass Sexarbeit als normale Arbeit anerkannt wird. Genau das sorgt aber für Kontroversen, in denen immer wieder die Frage auftaucht, ob Menschen wirklich freiwillig ihren Körper für eine intime Handlung wie Sex verkaufen. Den Sexarbeiterinnen ist eines wichtig: dass sie die Wahlfreiheit haben. Um ihnen diese zu ermöglichen, müssten die Rechte von Sexarbeiterinnen ausgeweitet werden, statt sie zu verdrängen.

Ein Prostitutionsverbot bringe nur wenig, auch darin waren sich die Diskutantinnen einig. Es sorge nur dafür, dass die Frauen dorthin gehen, wo sie ihre Arbeit ausüben können. "Dann sieht man es entweder nicht mehr, oder es verlagert sich", so Schwartz. Ähnlich argumentierte Lucile Favet von der Marseiller Organisation "Autres regards".

Die Folgen der Politik in Frankreich erinnern an die Ergebnisse der Studie zur Situation in Österreich (dieStandard.at berichtete): Sexarbeiterinnen müssen sich verstecken, sie werden an den Stadtrand gedrängt. Damit wird die Fähigkeit, über Safer Sex oder Preise zu verhandeln, eingeschränkt, der Zugang zum Gesundheitswesen und zu Beratungsstellen wird erschwert, ein Anstieg von Gewalt und ein erschwerter Zugang zu den Sexarbeiterinnen für Beratungseinrichtungen sind weitere Folgen.

Mitspracherechte gefordert

Stattdessen fordern die Sexarbeiterinnen ein Mitspracherecht in der Politik, wie es bei anderen Berufsgruppen auch üblich ist. Außerdem auf dem Forderungskatalog: besserer Arbeitsschutz, Entkriminalisierung, Schutz vor Diskriminierung und Verfolgung sowie vor physischer und psychischer Gewalt, Aufklärung und flächendeckende Beratungsangebote.

"Keep calm", appellierte die Finnin Kauppinen außerdem. Man solle sich nicht von Polemiken provozieren lassen und Provokationen auch einmal ignorieren. Jedenfalls wäre es ein erster Schritt, damit ein Dialog entstehen und die ProtagonistInnen aus ihren Ecken herauskommen können. (Sonja Fercher, dieStandard.at, 16.5.2014)