Der Begriff der Heimat ist vermintes Terrain - sogar der scheinbar harmlose räumliche Aspekt, bei dem es "nur" um Landschaft und gebaute Umwelt geht. Ist Architektur "heimatgerecht", wenn sie einer traditionellen Ästhetik folgt, oder können sich auch "moderne", globalisierte Formen in einen eigenständigen lokalen Stil einfügen? Welche Architektur ist aus welchen Gründen schützenswert? Was machen Shoppingcitys und Fertighaussiedlungen mit der regionalen Exklusivität von Landstrichen und der Vorstellung ihrer Bewohner von Heimat?

Als hochemotionaler Ort schürt die Heimat seit dem 19. Jahrhundert verstärkt das Bedürfnis, sie vor ästhetischen Verfehlungen zu schützen. So entstand vor dem Hintergrund der fortschreitenden Industrialisierung und Urbanisierung um 1900 eine internationale Kulturreformbewegung, deren Vertreter Architektur in "gute" und "schlechte", "richtige" und "falsche" einzuteilen begannen. Diese "Vereine für Heimatschutz" sind - unter anderen Namen - zum Teil bis heute aktiv. Ein Forschungsprojekt am Institut für Architekturtheorie, Kunst und Kulturwissenschaften der Grazer Technischen Universität hat sich mit der Geschichte dieser Bewegung am Beispiel des "Vereins für Heimatschutz in Steiermark" auseinandergesetzt, die Ergebnisse wurden kürzlich im Rahmen einer interdisziplinären Tagung sowie in Buchform präsentiert.

Nähe zu Deutschnationalen

Der Verein wurde 1909 gegründet, seine Mitglieder kamen - wie in allen Heimatschutzvereinen Österreichs und Deutschlands - großteils aus dem deutschnational gesinnten Bürgertum. Die spätere Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut kam damit wenig überraschend. Nach mehr als einem Jahrhundert und etlichen inhaltlichen und organisatorischen Neupositionierungen besteht der Verein unter dem Namen "Baukultur Steiermark" noch heute. "Über all die Jahre gleich geblieben ist das Ziel, durch Bewusstseins- und Geschmackbildung zu einer Verbesserung der Baukultur beizutragen", so die Kunsthistorikerin und Projektleiterin Antje Senarclens de Grancy. Mit der inhaltlichen Öffnung und kritischen Distanzierung von der eigenen ideologischen Vergangenheit habe sich natürlich der Stil der Bewusstseinsbildung verändert. Diese erfolgt mittlerweile über die "Belohnung" vorbildhafter Architektur durch die Vergabe der "Geramb-Rose".

Lange Zeit herrschte in Sachen Geschmacksbildung ein beträchtlich rauerer Ton: Immerhin war das Vorzeigeprojekt des Vereins die bereits während der NS-Herrschaft konzipierte "Steirische Landbaufibel", die in konservativen Kreisen bis heute als Standardwerk für landschaftsgerechtes Bauen gilt. Der Band umfasst 220 Abbildungen, wobei die Negativbeispiele wie in einem Schulheft demonstrativ rot durchgestrichen sind. "Dieser drastischen Bildrhetorik entsprechen Begriffe wie 'fremdartig', 'übel', 'Verschandelung' oder 'Unsitte'", erläutert Senarclens de Grancy. Dem gegenüber standen positiv besetzte Wörter wie 'harmonisch', 'heimatlich' oder 'bodenständig'.

Natürlich erregte die Bevormundungshaltung der Baufibel auch Kritik: So beklagte etwa der prominente Wiener Architekt Franz Schuster, dass solche Vorgaben einer "eigenschöpferischen Entwicklung und Gestaltung der Dinge und unserer Umwelt widersprechen und ihr schwerwiegende Hemmungen auferlegen". Architektur müsse vielmehr "den neuen Lebensbedingungen, den veränderten wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten unserer Zeit (...) entsprechen".

Ob die zahllosen Einkaufszentren und Einfamilienhäuser auf den ehemals "grünen Wiesen" Österreichs dieser Forderung eher entsprechen, darf bezweifelt werden. Aber gegen die Verletzung "heimatlicher" oder "ästhetischer" Gefühle gibt es kein Gesetz, da haben es die unter Schutz gestellten "religiösen Gefühle" um einiges leichter. Angesichts lokaler Wirtschaftsinteressen und Entscheidungsstrukturen auf Bürgermeisterebene bleibt hier letztlich nur das Instrument der "Bewusstseins- und Geschmacksbildung", das die Heimatschutzvereine bis heute einsetzen.

Villen in Rumänien

Welche bizarren architektonischen Formen eine "eigenschöpferische Entwicklung" in Zeiten der Globalisierung hervorbringen kann, wurde auf der Tagung anhand der sogenannten "Romapaläste" geschildert, die in den vergangenen 20 Jahren in einigen rumänischen Orten entstanden sind. Diese bis zu vier Stockwerke hohen, meist grellbunten, mit Säulen, Erkern, Zinnen und Kuppeln verzierte Villen wirken wie Karikaturen miteinander verschmolzener Baustile und Symbole. Da prangt ein riesiger Mercedesstern auf einem pagodenartigen Dach, auf barock verschnörkelten Balkonen stehen Gartenzwerge. Architektur wird hier zum (oft unbewohnten) Repräsentationsobjekt einer nomadischen Identität, deren Ästhetik von den Versatzstücken unterschiedlichster "Heimaten" geprägt ist.

Auch im Projekt "Migration von Räumen" geht es um die Entstehung einer hybriden Architektur als Folge mobiler Lebensformen. Im Zentrum der von einem interdisziplinären Forscherteam der TU Berlin und der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt durchgeführten Untersuchung stehen Häuser und Wohnungen, die sich türkische Arbeitsmigranten in ihrem Herkunftsland als Alters- und Feriensitze gebaut haben. Was und wie viel die Migranten von der Kultur der Gast- in ihre Herkunftsländer mitbringen, lässt sich nicht zuletzt an diesen Häusern ablesen: etwa an den eingezäunten Vorgärten, den großen, ungenutzten Terrassen oder den meist leer stehenden Kinderzimmern im ersten Stock - alles bauliche Elemente, die man nur bei "Heimkehrerhäusern" findet und die auf neue Identitäts- und Heimatkonzepte verweisen.

Der Erzähler in Norbert Gstreins neuem Roman "Eine Ahnung vom Anfang" sagt, Heimat sei "jener Fleck, an dem das Peinliche vertraut ist und das Vertraute peinlich". Vielleicht ist das die einfachste und auch treffendste Definition, die wirklich alle ästhetischen Positionen unter einen Hut bringt. (Doris Griesser, DER STANDARD, 30.10.2013)