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Sieht in der europäischen Währungsunion kein Friedensprojekt: Ex-Notenbanker und Buchautor Thilo Sarrazin.

Foto: ap/ronald zak

STANDARD: Was sagen Sie zum Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM, der als permanenter Rettungsschirm konzipiert ist?

Thilo Sarrazin: Ich sage seit Beginn der Rettungspolitik, dass der Bruch des "Not Bail Out" (also Nichtbeistands-Klausel in Schuldenfragen, Anm.) ein schwerer Fehler ist. Deshalb war ich auch immer gegen solche Einrichtungen und bin natürlich gegen den ESM. Denn es wird nicht dabei bleiben, schon gar nicht, wenn der ESM als permanente Institution installiert wird. Das ist eine Quelle der gemeinsamen Schuldenfinanzierung.

STANDARD: Wie beurteilen Sie das, was beim Rettungsgipfel letzte Woche herausgekommen ist, insbesondere die Treffen von Italiens Regierungschef Mario Monti mit Angela Merkel?

Sarrazin: Die Politik von Frau Merkel besteht darin, richtige Prinzipien verbal zu vertreten und dann bei jedem Rettungsgipfel von diesen Prinzipien ein Stück weit abzugehen. Etwas Geld herzugeben und der Gegenseite dafür neue Versprechungen abzunehmen. Ich vergleiche das damit, wie von einer Stange Salami immer eine neue Scheibe abgeschnitten wird, sodass die Salami immer kürzer wird. Die Scheibe, die diesmal abgeschnitten wurde, war besonders dick. Wenn es nicht tragisch wäre, wäre es komisch. Aber der ESM war noch gar nicht als Gesetz in Kraft, und schon wurde sein Inhalt in eine andere Richtung gedreht. Erstens wird man aus dem ESM Gelder an Banken zahlen können, und zweitens soll die Konditionalität aufgehoben werden. Das heißt, es sollen Gelder auch dann fließen, wenn keine Troika in die Schuldnerländer kontrollieren kommt. Das hat Monti durchgesetzt. Der ESM wurde, bevor er noch eingerichtet war, zu einer zentralen Garantie- und Finanzierungsquelle, deren Konditionen Beliebigkeit unterliegen.

STANDARD: Schon jetzt spricht man davon, dass Deutschland unter Finanzstress steht. Was meint der kleine Sparer in Deutschland?

Sarrazin: Nun, die kleinen Sparen können die Sache gar nicht beurteilen, und sie wissen im Großen und Ganzen auch nicht, was ihnen geschieht. Die internationalen Volkswirte sind sich darin einig, dass die Strukturkluft innerhalb der Währungsunion nur dann aufgehoben werden kann, wenn die Inflation in den Nordstaaten einige Zeit lang höher ist als die in den Südstaaten. Das bedeutet, dass die Inflation in den Südstaaten niemals unter zwei Prozent sein wird, denn sonst wären sie keine Südstaaten. In den Nordstaaten werden wir in einem Zeitraum von fünf bis acht Jahren weitaus höhere Inflationsraten haben als bisher - in der Größenordnung von sechs Prozent. Das heißt nichts anderes, als dass die Sparguthaben in Deutschland und Österreich in den nächsten 10 Jahren um 40 bis 50 Prozent entwertet werden. Das ist der Preis, den Deutschland und Österreich für die Erhaltung der gemeinsamen Währung zahlen.

STANDARD: Das ist Angstmache.

Sarrazin: Das ist keine Angstmache. Ich habe mich mit dieser Aussage nur gezielt auf die Argumentation der Politiker begeben, die dafür sind, die gemeinsame Währungsunion zu retten. Dies bedeutet aber auch, dass die Sparguthaben stark entwertet werden.

STANDARD: Welche Auswege sehen Sie noch?

Sarrazin: Meine Lösung ist: Wir kehren zurück zu den Prinzipien der Währungsunion, wie sie mal vereinbart worden sind, und dann können die Länder, die keine Politik machen, die dazu passt, sich auch dafür entscheiden, die gemeinsame Währung zu verlassen.

STANDARD: Sind Euro und die Europäische Union die Friedensprojekte, als die sie gern hingestellt werden?

Sarrazin: Die Europäische Wirtschaftsunion, EWG, die Europäische Gemeinschaft ist prinzipiell eine große Erfolgsgeschichte, weil ein großer Markt mit den gemeinsamen Wettbewerbsregeln schon etwas Gutes ist. Eine gemeinsame Währung ist für dieses Ziel nicht notwendig. Das hat die Zeit bis 1999 gezeigt. Im Gegenteil, eine gemeinsame Währung ist schädlich, wenn nicht in allen Ländern ähnliche Mentalitäten und Wettbewerbsbedingungen herrschen. Das hat die Geschichte gezeigt. Der Friede war ausreichend gesichert auch vor der Währungsunion. Er ist durch die Währungsunion nicht verstärkt worden, im Gegenteil. Abneigung und Missverständnisse zwischen den Völkern nehmen durch die Spannungen zu. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD, 5.7.2012)