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"Wir können mit Worten genauso verletzen, aber auch heilen wie mit dem Messer", sagt Josef W. Egger...

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... Professor für biopsychosoziale Medizin in der Lehre und Leiter der Forschungseinheit für Verhaltensmedizin, Gesundheitspsychologie & Empirische Psychosomatik der Med Uni Graz.

Foto: www.mediendienst.com

Monika Cartellieri ist Primaria der HNO Abteilung am Kaiser Franz Josef Spital in Wien und aktiv bei Einherz.

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Eine junge Frau kommt aufgelöst mit ihrem Kind in die Ambulanz und redet ununterbrochen auf den Arzt ein. Er brüllt sie an: "Jetzt seien Sie doch ruhig!" Es geht auch anders: Der Arzt ignoriert die Frau. Eine weitere Variante: Der Arzt sagt, "ich sehe, dass Sie sich Sorgen machen, aber bitte lassen sie mich jetzt meine Arbeit erledigen." Wie sich Studienwerber an der Med Uni Graz in so einer Situation verhalten würden, wirkt sich bis zu einem Drittel auf das Ergebnis ihres Aufnahmetests aus. Es geht schließlich um "empathische Verhaltenstendenz"; darum, ob sich die angehenden Mediziner in ihre Patienten einfühlen können oder nicht.

Hoch signifikante Korrelation

"Studienwerber, die sich in die subjektive Welt eines Patienten hinein versetzen können und entsprechend reagieren, profitieren davon mehrfach - auch später im Beruf", weiß Josef W. Egger, der die erste Professur für biopsychosoziale Medizin in der Lehre an der Med Uni Graz innehat. Eine Erkenntnis, die nicht zuletzt auf einer umfassenden empirischen Untersuchung in den USA und Kanada beruht. Zwischen den Bewertungen ehemaliger Studenten in Lehrveranstaltungen zu professioneller ärztlicher Gesprächsführung sowie Arzt-Patient-Kommunikation und den späteren beruflichen Auffälligkeiten wurde eine hoch signifikante Korrelation deutlich.

"Aber als Chirurg brauche ich doch keine kommunikative Kompetenz"...

... ist eine irrige Aussage, die Egger als sein "tägliches Brot" in der akademischen Lehre bezeichnet. Der Leiter der Forschungseinheit für Verhaltensmedizin, Gesundheitspsychologie & Empirische Psychosomatik der Med Uni Graz vermittelt angehenden Ärzten: "Die sprechende Medizin ist Teil der ärztlichen Kunst. Ihr müsst mit den Patienten reden können. Vertrauen kann man nicht mit dem 'Messer' schaffen, sondern durch Kommunikation. Jemand, der eine kosmetische OP will, schaut zuerst, was der Operateur für ein Mensch ist, ob er ihm vertrauen kann." Darüber hinaus gelte es zu bedenken: Was kann ein Patient beurteilen? Das technische Verfahren und das professionelle Können kann er häufig nicht adäquat einschätzen. Wie der Arzt mit ihm persönlich umgeht, dagegen sehr wohl.

Gespräch auf Augenhöhe

"Arzt sein bedeutet für mich der Wille, dem anderen auf einer persönlichen Ebene helfen zu wollen. Nicht auf einer Abfertigungsebene", betont auch Monika Cartellieri, Primaria der HNO Abteilung am Kaiser Franz Josef Spital in Wien. Sie ist Mitglied der Initiative Einherz, die sich einer liebevollen und menschlichen Medizin verschrieben hat. Eine solche kann mit einem simplen Gespräch auf Augenhöhe beginnen, was Cartellieri mit folgendem Beispiel illustriert: "Ein Patient wird von einem auswärtigen Kollegen für eine Operation bei uns zugewiesen. Der Operateur kommt am Tag vor der OP zum Bett und stellt sich vor: 'Grüß Gott, mein Name ist soundso, wie geht es Ihnen? Haben Sie Fragen?‘ Wenn ich dann nach der OP zum Patienten hingehe und sage: 'Es ist alles gut gegangen. Wie fühlen Sie sich?‘, dann fühlt sich der Patient gut aufgehoben."

Mit Wort, Arznei und Messer

Während ihres Studiums in den 1980er-Jahren sei kommunikative Kompetenz kaum Thema gewesen. Erst im Rahmen ihrer Praxis in Krankenhäusern habe sie zwei Kollegen kennengelernt, die zu Vorbildern im Umgang mit den Patienten wurden, berichtet die Primaria. "So eine Vorbildwirkung kann ich jetzt im besten Fall selbst auf die Jungmediziner haben."

Kommunikative Kompetenz sei lange Zeit eher als "schöne Verpackung" betrachtet und als ärztliche Fertigkeit im Hintertreffen gewesen, bestätigt Josef W. Egger. Der Tenor lautete, in Wirklichkeit komme es auf die "Arznei" und auf das "Messer" an. "Aber wie wir miteinander umgehen, erzeugt im Organismus Stimmungen, und diese sind nicht nur psychologisch, sondern immer zugleich auch als physiologische Prozesse zu verstehen. Wir können mit Worten genauso verletzen, aber auch heilen wie mit dem Messer", ist der Vertreter einer wissenschaftlichen Medizin und Verfechter der Body-Mind-Unity-Theorie überzeugt. Was heute mit feinen Messmethoden auch beweisbar sei. "Wissenschaftliche Medizin auf der Höhe der Zeit muss also gleichzeitig mit 'Wort‘, 'Arznei‘ und 'Messer‘ arbeiten. Auf diese Weise erreichen wir eine ganzheitliche, das heißt integrierte Medizin auf wissenschaftlicher Basis."

Ist Empathie erlernbar?

Wie wichtig Worte sind, zeigen auch Studien, nach denen etwa 50 Prozent der Patientenanliegen vom Arzt nicht aufgegriffen werden. Egger: "Der Patient denkt: 'Wenn der Doktor was wissen will, wird er mich schon danach fragen.‘ Der Arzt denkt: 'Wenn der Patient keine Fragen stellt, dann hat er auch keine.‘ Arzt und Patient spielen hier unbewusst zusammen, sodass wichtige Patienten-Anliegen nicht thematisiert werden."

Der empathische Arzt kann die Ängste, Sorgen, Befürchtungen, Hoffnungen und Wünsche eines Patienten aufnehmen, "sie erspüren und ergründen, ansprechen und dann mit dem Patienten verhandeln", meint der Professor für biopsychosoziale Medizin. Der wenig empathische Arzt spüre vielleicht rudimentär auch ein solches Echo in der Begegnung mit dem Patienten, könne dieses aber nicht nutzen. Ist Empathie also angeboren? Ist sie trainierbar? Egger: "Ich selbst bin in meinen 35 Jahren Erfahrung in der Medizin immer wieder mit der Idee konfrontiert worden, dass man eine solche Gabe entweder hat oder nicht hat. Das ist wissenschaftlich betrachtet falsch. Die Grundfähigkeit zur Empathie ist zwar in einer persönlichen Kompetenz-Matrix angelegt, sie lässt sich aber mit geeigneten Mitteln trainieren und optimieren. Genau das ist unser Ausbildungsziel."

Der eigene Wille dafür, kombiniert mit Feingefühl, vor allem aber die Tatsache gerne Arzt zu sein, ist für Monika Cartellieri die Basis für einen empathischen Umgang den Patienten gegenüber. "Wie ich mit einem Patienten umgehen kann, erfasse ich oft mit seinen ersten Worten, oder sogar noch früher - wie sich jemand hinsetzt oder mir die Hand gibt."

Der Arzt als potenzieller Patient

Wie weit kann ein Arzt in seinem Einfühlungsvermögen gehen, ohne dabei selbst Schaden zu nehmen? "Wenn ich einer Frau die Diagnose 'Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium‘ vermitteln muss, hilft mitweinen und mitleiden nicht", stellt Josef W. Egger klar. Ein Arzt müsse empathisch sein und erkennen, was die Patientin im Moment brauche, um mit ihrer schlimmen Situation zurecht zu kommen. Zugleich muss er aber dem Geschehen gegenüber emotional soweit auf Distanz bleiben, dass er es nicht zu seinem eigenen macht und jedenfalls handlungsfähig bleibt. "Man darf sich nicht von Krankheit und Sterben erschlagen lassen", betont Egger. "Trotzdem kann es passieren, dass wir Patienten sehr mögen und emotional mitgehen. Jeder Arzt ist und bleibt ein Mensch und ist selbst ein potenzieller Patient".

Gelingt es nicht, die nötige Distanz zu wahren, kann der Helfer im schlimmsten Fall handlungsunfähig werden, oder er schlittert über die Zeit in ein Burn out. Um das möglichst rechtzeitig zu verhindern, gibt es inzwischen vielfältige professionelle Hilfsangebote, zum Beispiel Inter- oder Supervision und Balintgruppen. Für Monika Cartellieri bedeutet vor allem die enge Zusammenarbeit zwischen Medinzinerkollegen, Schwestern und Pflegern im Krankenhaus eine Entlastungsfunktion: "Man kann immer im Team über die Vorkommnisse reden, die einen belasten."

Keine Frage der Zeit

Ob angesichts der großen Zahl und hohen Fluktuation an Patienten sowie der Sparmaßnahmen Mitgefühl im Krankenhausalltag überhaupt machbar sei? Cartellieri: "Dem Patienten im Moment das Gefühl geben, dass man für ihn da ist, ist keine Frage der Zeit, sondern eine Frage wie ich an den Patienten herangehe."

Anfangs brauche es zwar mehr Zeit, ein umfassenderes Bild über den Menschen, seine Krankheit, seine Lebensbezüge, sein soziales Umfeld zu gewinnen, es rentiere sich aber schon sehr bald im weiteren Patientenkontakt. "Messbar ist das sowohl an zufriedeneren Patienten als auch besseren Erfolgen", weiß Egger, der die Entstehung und Beeinflussung von Krankheit am besten im so genannten biopsychosozialen Modell der Medizin erklärt sieht: Neben den biologischen Faktoren sind auch individuelle psychologische Einflussgrößen, wie das Erleben und Verhalten des Menschen, sowie relevante soziale und ökologische Lebensbedingungen mit zu kalkulieren. Wenn man darüber mehr wisse, könne man parallel auf diesen drei Ebenen entsprechende Einflussmöglichkeiten nutzen.

Strategien gegen eine "Drehtürangelegenheit"

Medizin als technische Reparaturwerkstätte ist für Egger häufig eine zu kurz gegriffene Konzeption, die oft zu einer "Drehtürangelegenheit" führe. "Das 'Reparieren‘ funktioniert zwar in Ausnahmefällen und ist auch in Bereichen der Akutmedizin angebracht. Aber in allen Fällen, die komplizierter sind, wo die Selbstheilungskompetenz des Organismus auf mehreren Ebenen unterstützt werden muss, und wo der Patient Mit- und Eigenverantwortung übernehmen muss, bedarf es anderer Herangehensweisen." Weshalb Egger einen Übergang von der "Compliance" zur "Adherence" anstrebt: Ersteres umfasst die Kriterien der "Therapietreue", das Einhalten von ärztlichen Vorgaben, letzteres bezieht im Sinne der WHO-Definition den Patienten aktiv in die Therapieplanung mit ein.

"Es geht um ein gemeinsames Verständnis von Krankheit und um ein gemeinsames Verhandeln darüber, was diagnostisch und therapeutisch für den konkreten Patienten sinnvoll und auch machbar ist. Oft ist hier die Rolle des Arztes die eines Katalysators. Er soll Hilfe zur Selbsthilfe anbieten, in dem Sinn, dass er die Ressourcen, die der Patient hat, erkennt und nutzt. Auf diese Weise können wir deutlich besser Nachhaltigkeit in der Medizin erreichen." (Eva Tinsobin, derStandard.at, 18.11.2011)