Brüssel - Die EU-Kommission will Serbien einen offiziellen EU-Kandidatenstatus zugestehen, gleichzeitig empfahl EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle am Mittwoch den Start von konkreten Beitrittsverhandlungen mit Montenegro. Die EU-Kommission will den Status für Serbien daran knüpfen, dass Belgrad den Dialog mit dem Kosovo wieder aufnimmt und die bisher getroffenen Vereinbarungen in die Praxis umsetzt, betonte Füle. Die Entscheidung über die Vorschläge der Kommission liegt bei den EU-Außenministern, die darüber einstimmig beschließen müssen.

Die von Belgrad gewünschte Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien soll an die Erfüllung einer Reihe von Auflagen geknüpft werden, darunter die Normalisierung der Beziehungen mit dem Kosovo und eine aktive Kooperation mit der EU-Rechtsstaatsmission EULEX. Für den Kosovo empfiehlt die EU-Kommission die Aufnahme des Dialogs über die Visafreiheit vor Jahresende. Außerdem will die EU-Kommission ein Handelsabkommen mit dem Kosovo und eine Teilnahme des Landes an EU-Programmen vorantreiben. Der Kosovo müsse eine umfangreiche Agenda für Fragen des mehrheitlich von Serben bewohnten Nordens aufstellen, forderte Füle. Die EU-Kommission wolle einen strukturierten Dialog zur Rechtsstartlichkeit im Kosovo starten, sagte der Kommissar.

Für Montenegro empfiehlt die EU-Kommission die Eröffnung konkreter Beitrittsverhandlungen. "Das ist nicht das Ende der Straße, eher der Start einer neuen Reise", sagte Füle. Montenegro habe "hart gearbeitet" und Fortschritte in allen Bereichen gemacht. Das Balkan-Land könnte damit zu Island und der Türkei aufrücken, mit denen die EU bereits Beitrittsverhandlungen führt. Kroatien hat seine Beitrittsgespräche bereits im Juni abgeschlossen, am 19. Dezember soll der Beitrittsvertrag in Warschau unterzeichnet werden. Füle sagte, wenn der EU-Gipfel im Dezember den Empfehlungen der Kommission folge, könnte das "Screening" des Rechtsbestandes beginnen, dieses würde etwa ein Jahr dauern.

Mazedonien habe nur wenige Fortschritte gemacht, sagte Füle. Korruption und das Thema Medienfreiheit würden Anlass zur Sorge geben. Mazedonien wartet bereits seit 2005 auf die Aufnahme konkreter EU-Beitrittsverhandlungen. Die Kommission bekräftigt ihren früheren Vorschlag, die Verhandlungen zu starten. Wegen des Namensstreits mit Griechenland ist diese Frage aber im EU-Ministerrat blockiert. Für Montenegro empfiehlt die EU-Kommission übrigens erstmals, die politisch heiklen Verhandlungskapitel Justiz und Grundrechte auf der Grundlage detaillierter Aktionspläne des Landes und überzeugender Leistungsnachweise zuerst anzugehen. Dies sei eine Lektion aus den Beitrittsverhandlungen mit Kroatien, sagte Füle.

Kritisch äußert sich der Kommissionsbericht zur Türkei und zur Rolle Ankaras im Zypern-Konflikt. Obwohl die Türkei ein "Schlüsselland" für die EU bleibe, gebe es seit einem Jahr Stillstand in den Verhandlungen, sagte Füle. "Es gibt Frustration auf beiden Seiten." Es bedürfe einer neuen und frischen Agenda, um eine konstruktivere und positivere Beziehung zu entwicklen. In Hinblick auf Zypern müssten beide Seiten rasch eine umfassende Lösung finden, fordert die Kommission. Ankara hat bereits damit gedroht, die Beziehungen zur EU während der zypriotischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2012 auf Eis zu legen.

Bezüglich Albanien verlangt die EU-Kommission, dass die politischen Akteure des Landes ihre politischen Differenzen und persönliches Misstrauen überwinden und sich stärker auf die europäische Perspektive des Landes konzentrieren. Kritisch fällt auch die Bilanz der Kommission zu Bosnien-Herzegowina aus. Die politische und institutionelle Blockade bestehe weiter, sagte Füle. An Bosnien richtet die EU-Kommission ganz konkrete Reformempfehlungen, um weiter in Richtung EU zu gelangen. Das Land müsse seine Verfassung in Einklang mit dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof bringen und Gesetze zu Staatshilfen und zu Volkszählungen verabschieden. Zu Island betont die EU-Kommission in Hinblick auf kritische Meinungsumfragen auf der Nordatlantik-Insel, sie werde weiter die öffentliche Debatte über einen EU-Beitritt des Landes mit faktischer Information unterstützen.

"Serbiens Kandidatenstatus bedeutet nicht nur Anerkennung des bisher Erreichten, sondern auch die Verpflichtung zu einem konstruktiven Miteinander mit den Nachbarstaaten, insbesondere dem Kosovo", sagte die Kosovo-Berichterstatterin des EU-Parlaments, Ulrike Lunacek. "Serbien muss seine Blockadehaltung aufgeben und konkreten Verbesserungen für die Bevölkerung zustimmen." Erfreulich sei, dass die EU-Kommission den Beginn des Visa-Dialogs mit Kosovo empfiehlt. Es dürfe nicht sein, dass die Kosovaren als einzige in der Region weiterhin keine Reisefreiheit in Aussicht gestellt bekommen.

Der SPÖ-Europaabgeordnete Hannes Swoboda begrüßte, dass Reformen des Justizsektors und der inneren Sicherheit sowie Fragen der Pressefreiheit und der regionalen Zusammenarbeit früher angesprochen werden sollen. Als Kroatien-Berichterstatter des EU-Parlaments werde er am 1. Dezember einen positiven Bericht zur Abstimmung im EU-Parlament vorlegen. Serbien sollte Kandidatenstatus erhalten, um die positiven Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzuerkennen. "Klar ist, dass der Erweiterungsprozess nach dem Beitritt Kroatiens Mitte 2013 de facto für einige Jahre unterbrochen ist. Die entscheidende Aufgabe der EU ist, jetzt die inneren Probleme der EU zu lösen, bevor nächste Beitritte erfolgen können", sagte Swoboda. ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas begrüßte die Vorschläge zu Serbien und Montenegro. "Serbien und Montenegro jetzt einen Schritt weiter an die EU heranzuführen ist eine folgerichtige Honorierung der Fortschritte der beiden Länder und nutzt nicht zuletzt Österreich", sagte er. Österreich sei in Serbien größter, in Montenegro viertgrößter ausländischer Investor.

Füle sieht die Glaubwürdigkeit im EU-Erweiterungsprozess im laufenden Jahr gestärkt. Diese Politik der EU bringe eine tiefgreifende Transformation der Justiz, der staatlichen Institutionen, der Gesellschaft und schaffe Stabilität und einen größeren Wirtschaftsraum, sagte er. In Hinblick auf die Euro-Krise sagte er: "Die transformative Kraft des Erweiterungsprozesses sendet eine kraftvolle Botschaft der Hoffnung in dieser herausfordernden Zeit." l (APA)