Serie "Schulgespräche" - derStandard.at spricht mit Persönlichkeiten aus Sport, Kultur und Wissenschaft über ihre Schulzeit.

Foto: derStandard.at/Lisa Aigner

Am Hals darf man einen Wolf eigentlich nicht packen. Der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll hat es trotzdem gemacht.

Foto: derStandard.at/Lisa Aigner

Der Wolf hat nach ihm geschnappt und Kotrschall hat erklärt: "So geht es nicht Herr Landeshauptmann".

Foto: derStandard.at/Lisa Aigner

Für "Tricks" wie das Berühren der Hand von Besuchern im Gehege bekommen die Wölfe Leckerlis.

Foto: derStandard.at/Lisa Aigner

"Das Interesse für Biologie war von Anfang an da, seit frühester Kindheit", sagt Kurt Kotrschal, Wissenschaftler des Jahres 2010. "Es hat mich vieles interessiert, aber Biologie war das Fach, wo ich oft auf Lehrer gestoßen bin, die motivierend waren und es war vollkommen klar, dass ich das studieren werde." 

Nach Volksschule und Gymnasium in Linz inskribierte Kotrschal an der Universität Salzburg. Heute beschäftigt sich der Verhaltensbiologe mit sozialen Beziehungen in einem Wolfsrudel oder mit der Frage, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es zwischen Hunden, Wölfen und Menschen gibt.

Seit Mai 2009 ist der Ort Ernstbrunn im Weinviertel um eine Attraktion reicher: Elf Wölfe und 14 Hunde werden hier auf 30000 Quadratmeter trainiert und beobachtet, das "Wolf-Science-Center" hat Kotrschal mit zwei Kolleginnen initiiert und mitaufgebaut.

Kotrschal wurde 1953 in Oberösterreich geboren. Dass er einmal eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wird, war alles andere als klar. "In Österreich ist das Schulsystem sehr ständestaatlich, das heißt, es sind hauptsächlich Kinder aus besserem Hause - immer noch, die im Gymnasium wirklich Erfolg haben." Kotrschals Eltern waren Arbeiter, er wuchs in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf.

Nebenjob aus Langeweile

"Es war langweilig", sagt Kotrschal über seine Schulzeit. "Ich bin vor kurzem auf meine Zeugnisse gestoßen. Ich hab in der 7. Klasse insgesamt 200 Fehlstunden gehabt. Wenn man das heute hätte, würde man hochkant rausfliegen."

Aus Langeweile habe er sich Betätigung nebenher gesucht und hat bei einem Aquarienfisch-Importeur gearbeitet. "Wenn ich in der Früh auf dem Schulweg die Nibelungenbrücke hinübergegangen bin, habe ich links runtergeschaut und ich wusste, wenn ein neuer Transport aus Manaos ankommt, bin ich natürlich arbeiten und nicht in der Schule." Das meiste an Fehlzeiten habe er "nutzbringend verbracht. Das war gescheiter, als in der Schule blöd herumzusitzen." 

Fehlende Motivation

Ein "Katastrophenfach" war für Kotrschal Mathematik. "Mir war nie klar, warum man das lernen soll. Die reine Mathematik war mir immer ein Rätsel. Da war ich völlig unmotiviert, das zu tun." Auf der Uni habe er gemerkt, dass er "statistisch gar nicht so schlecht" ist und dass seine Mathematik-Schwäche wohl nicht an der fehlenden Begabung, sondern an der fehlenden Motivation lag. "Ich bin rein zufällig durch die Matura durchgeschlüpft."

Über die meisten Lehrer, die Kotrschal damals hatte, kann er "kein Loblied singen". Sein Deutschlehrer zum Beispiel sei sehr verunsichert gewesen, "da kann man nicht gerade Interesse entfachen."

Auch heute gebe es noch viele Lehrer, die ungeeignet für den Beruf seien. "Es ist nach wie vor ein völlig ungelöstes Problem", sagt Kotrschal. Seiner Meinung nach sind die besseren Lehrer in der Hauptschule zu finden: "Man kriegt an der Universität sehr wenig Didaktik mit. Die Lehrerausbildung auf der Universität ist immer noch eine Katastrophe." 

Selbstständigkeit wird "null gefördert"

Geht es nach Kotrschal bräuchte es in der Schule dringend Reformen: "Man weiß seit zwanzig Jahren, was notwendig ist." Dennoch würde verhindert, dass die Stundenstruktur aufgelöst wird, oder dass es eine "gescheite Frühforderung" gibt. Er empfiehlt einen College-Betrieb in der Oberstufe. Auch die Klassenstrukturen müssten aufgelöst werden.

Studenten, die frisch an die Uni kommen, hätten kaum Fertigkeiten, die sie gebrauchen können. Viele wüssten nicht, wie man Literatur sucht, wie man einen wissenschaftlichen Aufsatz oder einen Essay schreibt. "Das müssen wir ihnen alles beibringen, die Schüler haben keine Ahnung von Statistik". Selbstständigkeit werde "null gefördert".

Mit Studenten von Waldorfschulen hätte er hingegen gute Erfahrungen gemacht. "Sie können Projekte besser durchziehen."

Bei ihm persönlich hätte das Leben erst auf der Uni begonnen. Positiv in Erinnerung sind ihm die vielen Freiräume, die es an der Uni gab. "Da war man nicht von der Früh bis um acht Uhr abends eingespannt, man hat ein paar Pflichtvorlesungen gehabt und den Rest der Zeit konntest du machen, was du willst. Da war ich voll motiviert und es ging super."

Gegen Numerus Clausus, für Aufnahmeprüfung

Als Lehrender auf der Uni sei er heute "sehr vorsichtig" Studenten gegenüber, die mit hervorragenden Schulnoten an die Universität kommen. "Ich bin mehr als einmal am Bauch gelandet", sagt er. Man könne das allerdings nicht verallgemeinern, "es gibt schon gute auch dabei". Umgekehrt sei es auch nicht so, dass jeder, der schlechte Noten hat, kreativ sei, aber "es sind viele kreative dabei und wenn man die ausschließt, ist das auch nicht gut". Das wäre beim Numerus Clausus nach deutschem Vorbild der Fall. „Es ist nicht das beste Ergebnis, das da rauskommt", sagt Kotrschal. Er plädiert für Aufnahmeprüfungen an den Unis. Denn: "Es wird in Zukunft keine Unis ohne Zugangsbeschränkungen geben."

Ein Anliegen ist ihm auf jeden Fall, dass mehr Augenmerk auf die Frühförderung gelegt wird. Es gebe ein "sehr breites Segment an Kindern, die in einem Umfeld aufwachsen, wo es eine immer schlechtere Familienstruktur gibt, keine geregelten Zeiten, wo sich die Familie zum Essen trifft". Viele Kinder würden erst mit drei oder vier Jahren sprechen lernen. "Da ist in der Schule auch nicht mehr viel zu machen. Wenn du dich nicht ausdrücken kannst, bist du ein kultureller Outlaw". Man könne "noch so eine gescheite Spezialbegabung haben", wenn man das nicht umsetzen kann, bringe es nichts. Die Sprache diene dazu, das Denken zu schärfen und zu verfeinern. "Wenn den Kindern nicht vorgelesen wird, wenn nicht mit ihnen gesprochen wird, ist das die breiteste Verwahrlosung."

Kinder in den Arm nehmen

Auch bei der Aufzucht von sozialen Wirbeltieren sei das wichtigste, dass die Jungen eine sichere Bindung zu ihrer Mutter aufbauen. "Das ist die beste Basis für eine gute kognitive Entwicklung". Extreme geistiger Frühförderung - die Kinder vor den Fernseher vor Bildungsprogramme zu setzen - bringe hingegen nur wenig. Das Kind auf den Arm zu nehmen sei "die beste Basis für eine gute geistige Entwicklung." (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 30.8.2011)