Walter Hauptmann (li.) und Christoph Lagemann (re.) im Streitgespräch.

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80 Prozent aller Menschen, die Joints rauchen, hören laut Statistik von selbst wieder damit auf. Wie soll mit Konsumenten umgegangen werden?

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Standard: Wie gefährlich sind illegale Drogen?

Christoph Lagemann: Alle legalen und illegalen Drogen wirken unterschiedlich. Die Gefährlichkeit hängt unter anderem vom Umfeld und der Motivation ab.

Walter Hauptmann: Es gibt keine ganz weichen Drogen. Bei den einen wird man schneller süchtig, bei anderen langsamer. Ein Joint in der Woche ist vergleichbar mit einem Stamperl Schnaps; bei langem und exzessivem Missbrauch können jedoch beide Substanzen - auch körperlich - abhängig machen.

Lagemann: Cannabis mit Schnaps zu vergleichen ist Unsinn. Cannabis ist sicher eine mindergefährliche Substanz.

Hauptmann: Aber zwischen 1965 und 1968 gab es ganze sieben verurteilte Jugendliche nach Drogendelikten. Dann kam ein Schub, auf den wir falsch reagiert haben. Die Sozialarbeit hat erst gesagt, wir können das kurieren, später ging es nur mehr um Schadensminimierung. Wir haben jährliche Anstiege von gut zehn Prozent an Drogenkonsumenten. Ich plädiere dafür, dass man den Einsteigern Grenzen setzt.

Standard: Die Ausstiegsrate bei Cannabis liegt bei 80 Prozent. Die überwiegende Mehrheit hört also von selbst wieder auf.

Hauptmann: Ja, die drogenfreundlichen Menschen sagen, es ist keine Einstiegsdroge, und nur fünf Prozent steigen auf härtere um. Das sind aber bei 900.000 Menschen, die schon Cannabis probiert haben, knapp 50. 000 Personen.

Lagemann: Jemand, der die Einstiegstheorie und die Drogenpolitik hinterfragt, ist nicht per se ein drogenfreundlicher Mensch. Und es gibt keinen Bereich, der so gescheitert ist. Es wird nie eine drogenfreie Welt geben. Seit Jahrzehnten wird immer mehr Geld in den "Krieg gegen die Drogen" investiert, gleichzeitig werden sie jährlich billiger.

Hauptmann: Ein Dogma ist falsch: dass man mit Repression nichts erreichen kann. Was ist der Erfolg der Politik des Zuschauens? Im Jahr 2002 hatten wir 15 Milliarden Euro sozialen Schaden pro Jahr.

Standard: Nach Ihrer Berechnung würde der Schaden jetzt bei über 30 Milliarden Euro liegen. Das wäre so viel wie der Gesamtschaden aller Verkehrsunfälle in Deutschland. Kann das stimmen?

Hauptmann: Ja. Es wird wohl seinen Grund haben, dass unsere Kostenstudie zunächst bloß diffamiert und dann systematisch einfach totgeschwiegen wurde.

Lagemann: Das sind Milchmädchenrechnungen. Aber die Kosten sind zu hoch - da viel Geld in sinnlose Verfolgung gesteckt wird und wenig in Prävention. Ich bin nicht gegen Repression. Es ist sinnvoll, gegen organisierte Kriminalität vorzugehen. Die Polizei erwischt aber vor allem kleine Fische.

Hauptmann: Man muss aber auch an den Schrauben der Nachfrage drehen. Aber wir versagen nicht nur beim Cannabis, sondern auch bei Alkohol und Nikotin. Wir versagen beim Jugendschutz.

Lagemann: Wir versagen auf vielen Ebenen, da haben Sie recht. Die gesamte Drogenpolitik, einschließlich legaler Drogen, muss neu überdacht werden. Mit dem Ziel, die Schäden für den Einzelnen und für die Gesellschaft so gering als möglich zu halten.

Standard: Herr Hauptmann will mit Verwaltungsstrafen operieren. Wäre ein Strafmandat über 100 Euro für einen Joint sinnvoller?

Lagemann: Für mich wäre es zumindest ein Fortschritt. Junge Cannabiskonsumenten mit Strafrecht zu verfolgen ist wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Das kann ja nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Hauptmann: Das Verwaltungsstrafrecht bietet ja viele Möglichkeiten. Von Geldstrafen bis zu sozialen Diensten.

Lagemann: Aber es geht ja nicht um die Drogenverhinderung, sondern um die Verminderung der Schäden für den Einzelnen und die Gesellschaft, da sollte man pragmatisch vorgehen.

Standard: Diese Schäden könnte man auch verhindern, indem man keine Drogen nimmt.

Lagemann: Ja, aber das geht ja nicht.

Hauptmann: Doch! Das geht!

Lagemann: Wo? Sie werden immer den 16-Jährigen haben, der Spaß will, oder einen Erwachsenen, der sein Leben nicht erträgt.

Hauptmann: Aber wenn von drei Anfängern nur einer aufhört, haben wir einen Rückgang.

Lagemann: Aber die Frage ist ja, wie ich ihn stoppe.

Hauptmann: Es gibt eine Untersuchung, dass die Jungen bei Drogendelikten vor allem Angst um den Führerschein haben. Da könnte man noch viel mehr Motivation zum Aufhören erreichen.

Lagemann: Das ist Retropädagogik, Jugendliche mit Angst erziehen zu wollen. Wenn man das Ganze entkriminalisiert und staatlich regelt, könnte man Gefährdete besser erreichen und Geld sparen.

Hauptmann: Aber wir brauchen wie beim Alkohol im Straßenverkehr die Rute im Fenster.

Standard: Es gab 2010 mehr Alkounfälle als bei der Einführung der 0, 5-Promille-Regelung.

Hauptmann: Die Frage ist: Wie stark wäre die Zahl gestiegen, wenn wir keine Repression hätten?

Lagemann: Ihre "Rute im Fenster" mag in gewissen Bereichen eine Rolle spielen. Aber sie ist kein Allheilmittel. Hält sie irgendjemanden von Cannabiskonsum ab?

Hauptmann: Aber die Maßnahmen der sanften Drogenpolitik haben wenig gebracht und viel gekostet.

Standard: Aber auch durch Polizeiarbeit entstehen große Kosten - und über die Hälfte der Anzeigen betreffen Cannabis.

Hauptmann: Die Polizei pfeift aus dem letzten Loch und kann derzeit nur jedem zehnten Ermittlungsansatz nachgehen. Und die Anzeigen versickern bei Gericht.

Standard: Aber es können nicht alles Großdealer sein, es müssen viele Konsumenten angezeigt werden?

Hauptmann: Das Gesetz ist schon so verwässert, dass nur mehr schwere Delikte angezeigt werden.

Lagemann: Natürlich werden mehr kleine Fische angezeigt, das ist vergeudetes Geld. Der Staat geht davon aus, dass jeder Cannabiskonsument ein Problem hat. Eine falsche Grundannahme.

Hauptmann: Aber wenn man es mit dem Tabakrauchen vergleicht: Wenn ich in der Oberstufe schon striktere Kontrollen anfange, kann ich ein Drittel der Rauchanfänger davon abhalten.

Lagemann: Wie wollen Sie das erreichen, hinter jedem zweiten Baum einen Kontrolleur?

Hauptmann: Jetzt wird weggeschaut, aber früher haben wir das auch geschafft.

Lagemann: Aber auch vor 30 Jahren ist in der Au heimlich geraucht worden.

Hauptmann: Aber momentan ist es völlig ungebremst. Und bezüglich der Illegalität und der Erreichbarkeit von Gefährdeten: Schon jetzt wird ja nicht gleich eingesperrt. Sie haben ja während der Diversion zwei Jahre lang alle Möglichkeit, die Leute zu kurieren.

Standard: Glauben Sie, dass schon der Erstkonsument kuriert werden muss? Umgekehrt, meinen Sie, Herr Lagemann, dass bis zum fünften Joint kein Problem besteht?

Hauptmann: Nein, ich habe es auf alle bezogen, dort kann ich mich auf Gefährdete konzentrieren. Das scheint nicht zu funktionieren.

Lagemann: Ich glaube nicht, dass bis zum fünften Joint kein Problem besteht. Es gibt Jugendliche in psychosozialen Krisen, die gefährdet sind. Bei manchen Menschen besteht bereits beim ersten Joint ein Problem und bei anderen beim zwanzigsten noch keines. Wir konzentrieren uns zu sehr auf die Drogen statt auf die Menschen. (Michael Möseneder, DER STANDARD-Printausgabe, 27./28.8.2011)