iPad
Hat ein bisschen was von Kaa aus dem Dschungelbuch: Die Qualität des neuen iPad-Pro-Displays ist fast schon betörend.
Brandtner/STANDARD

Mehr als ein Jahr Pause ist normalerweise gar nicht so lange. In der Tech-Branche kann es sich allerdings wie eine halbe Ewigkeit anfühlen. Von der Sinnhaftigkeit jährlicher Modellpflege einmal abgesehen, hat man sich irgendwie daran gewöhnt, dass namhafte Hersteller sie eben betreiben – ganz egal, ob für Fernseher, Smartphone, Smartwatch oder eben Tablet.

So auch bei Apple: Mit regelmäßigen Hardware-Upgrades will man nicht nur bei Smartphones vorne mitspielen. Bei den Tablets ist man Marktführer und nutzt seit dem ersten iPad 2010 mit einer Ausnahme jede Saison, um die Entwicklung seiner Geräte voranzutreiben – und um sie auf mittlerweile vier Modellreihen auszubauen. Seit Herbst 2022 ist es diesbezüglich ungewöhnlich still geblieben.

Bis jetzt. Am Dienstag hat Apple eine neue Generation für die zwei Serien iPad Pro und iPad Air angekündigt, die ab 15. Mai in den Handel kommt. Und weil man sich diesmal etwas mehr Zeit gelassen hat, wirken die Upgrades zu den Vorgängern auch deutlicher stärker als in den Jahren zuvor: Das nächste iPad Pro wird nicht nur dünner und leichter. Es erhält auch endlich ein OLED-Display und erstmals vor einem Macbook ein neues SoC, den M4-Chip. Das iPad Air hingegen ist künftig auch in zwei Größen erhältlich, in 11 und 13 Zoll, und erinnert stark an eine attraktivere, weil "günstigere" Version des alten iPad Pro (2022).

DER STANDARD war in London bei Apple vor Ort und konnte sich dort bereits einen kurzen Eindruck von den Geräten verschaffen. So viel daher schon einmal vorab: Um einen Test handelt es sich an dieser Stelle natürlich nicht, sondern lediglich um erste Impressionen.

Das iPad Pro

Der erste Groß-Event für Apples noch recht junges Londoner Hauptquartier in Battersea war laut Apple-CEO Tim Cook also auch der "größte Tag" für das iPad, seitdem es das Tablet gibt. Tatsächlich zeigte sich nach der weltweit ausgestrahlten Videopräsentation, dass der größte Star und Publikumsmagnet mit Abstand das neue iPad Pro war.

iPad
Das neue iPad Pro ist gerade einmal 5,1 Millimeter dünn.
Brandtner/STANDARD

Hält man das neue Top-Modell von Apple einmal in den Händen, weiß man auch, warum. Es mag zwar stimmen, dass das Tablet außerordentlich dünn ist – viel nachhaltiger als die schmalen 5,1 Millimeter, die rasch in Vergessenheit geraten, wirkt allerdings das geringe Gewicht. Besonders stark fällt der Unterschied naturgemäß in der 13-Zoll-Variante auf, die spürbar leichter geworden und somit angenehmer in der Hand zu halten ist, auch einhändig.

Rein äußerlich weiß besonders die Farbe Space Black zu gefallen, weil sie gut zum immer noch deutlich erkennbaren schwarzen Rand um das Display passt. Leider entpuppt sie sich gleichzeitig aber auch als rasch anfällig für Fingerabdrücke – wer das vermeiden möchte, greift besser zur silbernen Alternative. Mit Hülle und/oder Keyboard lässt sich das freilich gut vermeiden.

iPad
Leichter geworden: Das neue iPad Pro lässt sich auch in der 13-Zoll-Variante gut mit einer Hand halten.
Brandtner/STANDARD

An der Designsprache hat sich darüber hinaus nicht viel verändert, sowohl Anschlüsse, Kameramodul, als auch Lautsprecher- und Button-Anordnung sind gleich geblieben. Die größte Neuerung ist in diesem Zusammenhang, dass die Frontkamera an die Längsseite gerutscht ist. Ein logischer Schritt in der Annäherung an einen optionalen Notebook-Ersatz, der natürlicher wirkt und weiterhin Face ID und Center Stage unterstützt.

Referenzverdächtiges Display

Wie die Bilder (hoffentlich) erkennen lassen sollten, ist das neue OLED-Display mit einer Bildwiederholrate von bis zu 120 Hz ein absoluter Traum und macht im Vergleich zum vormaligen Liquid-Retina-Display noch einmal einen deutlichen Sprung nach vorne. Wer OLED-Displays kennt, weiß sie ohnehin zu schätzen. Tatsächlich wirkte es aber so, als wären die "Ultra Retina XDR"-Displays, so der offizielle Name, gemessen an der Technologie ungewöhnlich hell – Apple hatte dafür einen eigenen Ausdruck parat: Im neuen iPad Pro ist ein "Tandem-OLED" verbaut.

iPad
HDR-Inhalte haben auf dem iPad Pro besonders leichtes Spiel.
Brandtner/STANDARD

Für das neue Display soll Apple (bzw. Auftragsfertiger LG) zwei OLED-Schichten übereinanderlegen, um eine höhere Helligkeit erzielen zu können – mit dem Resultat, dass der Bildschirm bis zu 1600 Nits Spitzenhelligkeit erreicht. Weitaus ungewöhnlicher hingegen ist, dass selbst im Vollbild noch 1000 Nits möglich sein sollen. Diese Leistung ist insofern beeindruckend, als dass vergleichbare Größen bislang tendenziell bei 500 bis 600 Nits lagen und sonst nur von Smartphones erreicht werden konnten. OLED-Fernseher kommen im Schnitt nicht über 250 Nits im Vollbild – je größer der Bildschirm, desto geringer normalerweise die Helligkeit.

iPad
Tiefstes Schwarz, maximaler Kontrast: Hier ist OLED-Technologie im Spiel.
Brandtner/STANDARD

Unter den in London vorliegenden Geräten nicht ausgemacht werden konnten Exemplare mit dem neuen und optionalen Nanotexturglas, das bisher Apples Studio-Display vorbehalten war. Die Displays zeigten sich sehr empfindlich gegenüber Reflexionen und waren unter den gegebenen Lichtverhältnissen auch herausfordernd zu fotografieren. Schade, denn Nanotexturglas ist eine spezielle Art von Bildschirmglas, das entwickelt wurde, um Blendeffekte zu reduzieren und die Bildqualität bei direkter Lichteinwirkung, wie starker Sonneneinstrahlung, zu verbessern.

iPad
Zwei OLED-Schichten sorgen selbst im Vollbild für Helligkeitswerte von bis zu 1000 Nits.
Brandtner/STANDARD

Im Gegensatz zu herkömmlichen matten Displays, die eine Oberflächenbeschichtung nutzen, um das einfallende Licht zu streuen, nutzt Nanotexturglas eine fortschrittlichere Technik. Dabei wird die Glasoberfläche auf Nanometer-Ebene präzise geätzt. Diese Ätzung bewirkt eine effektivere Reduzierung von Reflexionen und Blendeffekten, ohne dass die üblichen Nachteile wie verringerte Kontraste oder eine trübe Darstellung auftreten. Die Sache hat aber leider ohnehin einen kleinen Haken: Nicht nur, dass die Option das iPad an sich um 130 Euro teurer macht, sie ist auch den Versionen mit einem oder zwei TB Speicher vorbehalten.

Chip ohne Challenge

Dass Apple erstmals einen neuen M-Chip für ein iPad und nicht für ein Macbook angekündigt hat, mag vorerst nur symbolische Kraft haben und zeigen, dass das iPad für Apple trotz längerer Pause in der Modellpflege einen hohen Stellenwert hat. Denn im kurzen Hands-on zeigte sich, was man seit jeher schon von den Pro-Modellen kennt: Sie haben in der Regel mehr als genug Leistung für herkömmliche Tasks und können nur schwer ins Schwitzen gebracht werden.

iPad
Videoschnitt: Dank KI lassen sich Ebenen definieren und auf Knopfdruck in Echtzeit ausblenden.
Brandtner/STANDARD

Ein kurzer Ausflug in Final Cut Pro 2 machte aber immerhin schon auf einen der ersten KI-Zaubertricks aufmerksam, die sich dank M4 per Knopfdruck umsetzen lassen: Der Hintergrund eines Tanzvideos konnte mühelos ausgeblendet und gegen eine andere Szenerie ausgetauscht werden. Auch das Aufnahmestudio Logic Pro soll mit Features aufwarten, die zum Beispiel personalisierte musikalische KI-Begleitung bieten und es ermöglichen, einzelne Komponenten aus Mischungen zu isolieren und zu bearbeiten. Nicht zuletzt eine Runde "Diablo Immortal" bei aktiviertem Raytracing (Global Illumination) demonstrierte, dass die neuen iPads künftig auch mit grafisch anspruchsvolleren Spielen gut zurechtkommen dürften.

iPad Pro
Über "Diablo Immortal" lässt sich streiten – hier nur zu Demozwecken, dass das iPad Pro auch Raytracing-Grafik darstellen kann.
Brandtner/STANDARD

50 Prozent schneller zu sein als der M2-Chip klingt für den M4 am Papier sicherlich gut und verspricht, eine kräftige Hardware-Grundlage für die kommenden Jahre zu sein. Was sich damit über die bereits von anderen Herstellern bekannten KI-Tricks hinaus anstellen lässt, muss Apple aber erst zeigen – das könnte vielleicht sogar schon auf der WWDC im Juni der Fall sein.

Auch der Stift wird Pro

Dass es sowohl für iPad Pro als auch übrigens für das iPad Air einen neuen Stift geben wird, war aufgrund der Grafik natürlich bei der Event-Einladung schon klar. Rein äußerlich ist der Apple Pencil Pro für 130 Euro bis auf den "Pro"-Schriftzug nicht vom alten zu unterscheiden. Sehr wohl spürt man aber schnell, dass man einen anderen Stift in der Hand hält. Er gibt nämlich haptisches Feedback, wenn man den Stift beim Halten mit Daumen und Zeigefinger drückt: Dadurch ließ sich im Hands-On je nach Anwendung eine Werkzeugpalette oder einfach ein Untermenü zur weiteren Auswahl öffnen.

iPad
Erste Versuche des Autors mit dem neuen Pencil Pro.
Brandtner/STANDARD

Ein Gyrosensor ermöglicht zudem eine neuartige Steuerung der Werkzeuge, auch "Barrel-Roll" genannt. Bei einer Drehung des Stifts verändert er die Ausrichtung von Tools wie Schreibfedern und Pinseln, ähnlich dem Schreibgefühl auf Papier. Darüber hinaus erlaubt die bereits bekannte Hover-Funktion des Stifts, die Ausrichtung eines Tools anzuzeigen, bevor es tatsächlich verwendet wird. Besonders praktisch - aus leidlicher Erfahrung des Autors - ist nicht zuletzt die neue "Wo ist?"-Unterstützung des Stifts. Wer ihn verlegt haben sollte, muss nämlich nicht mehr Couch-Ritzen, Rucksack oder Schreibtischschublade durchwühlen, sondern wird zielgerichtet zum gesuchten Objekt geführt.

Das neue Keyboard

Exklusiv für das iPad Pro stellte Apple auch eine neue Tastatur vor, mit der man sich offensichtlich weiter an das Macbook annähern möchte. Wie im Vorfeld schon richtig spekuliert worden ist, verfügt das Keyboard über eine Handauflage aus Aluminium und ein schlankeres Scharnier mit USB-C-Anschluss. Neben einem größeren Trackpad gibt es auch eine Reihe mit Funktionstasten, die beispielsweise die Helligkeit des Displays oder Lautstärke regeln.

iPad Pro
Aluminium-Look, ein größeres Trackpad und eine Funktionsreihe sollen für mehr Macbook-Feeling sorgen.
Brandtner/STANDARD

Leider nicht bewahrheitet haben sich der im Vorfeld vermutete Zusatzakku und weitere Anschlussmöglichkeiten. Die Verarbeitung wirkt auf den ersten Blick jedenfalls hochwertig – strapazierfähiger dürfte langfristig die Ausführung in Space Black sein. Alternativ dazu gibt es sie in Weiß mit einer Handauflage in Silber. Bei einem Preis ab 349 Euro ist eine gute Verarbeitung auch das Mindeste, was man sich erwarten kann.

Das iPad Air

Im Vergleich zum iPad Pro ist das Update des iPad Air fast schon unscheinbar ausgefallen. Apple scheint sich hier eher auf typische Modellpflege als auf eine komplette Überarbeitung konzentriert zu haben. Zur größten Neuerung zählt sicherlich die Einführung eines größeren 13-Zoll-Modells, das sich fast genauso anfühlt, wie das letzte iPad Pro aus dem Jahr 2022 – mit dem Unterschied, dass es wie das neue iPad Pro auch leichter wirkt.

iPad Air
Im Vergleich zum iPad Pro fast schon unscheinbar ausgefallen: das iPad Air.
Brandtner/STANDARD

Ansonsten will sich der Wow-Effekt aber nicht so rasch einstellen wie beim Pro: Eine Aktualisierung des Prozessors (M2 statt M1) und eine neue Positionierung der Frontkamera, die sich besser für die Verwendung im Querformat eignet, runden mit neuen Gehäusefarben das Programm weitgehend ab. Das Ziel ist klar: Das effektive Schließen der Lücke zwischen Apples Einsteigermodell und dem leistungsstarken iPad Pro. Und somit eine Art goldener Mittelweg für Nutzerinnen und Nutzer, die mehr als nur die Grundfunktionen wollen, aber sich auch nicht auf Highend-Spezifikationen (und -Preis) des iPad Pro einlassen wollen.

Erster Eindruck

Schon an dieser Stelle lässt sich festhalten, dass die längere Pause dem iPad Pro aus technischem Standpunkt gutgetan haben dürfte. Das neue Display und auch das leichtere Design sind allein schon Upgrades, die lange auf der Wunschliste von bislang zögernden Interessentinnen und Interessenten gestanden sind. Die Premiere des M4-Chips im Gerät zeigt außerdem, dass Apple das Zepter für diese Produktkategorie auch in Zukunft fest in der Hand behalten will. Die beste Garantie für die Zukunftssicherheit des Chips kann paradoxerweise aber auch das größte Hindernis darstellen: Besitzt man bereits ein iPad Pro jüngerer Bauart (2021 oder 2022), lässt sich je nach Anwendungsszenario und Ausstattung gut argumentieren, dass ein Upgrade nach wie vor nicht notwendig ist.

Im Vergleich zum Pro ist das neue Air sicherlich weniger eindrucksvoll ausgefallen. Auf dem Niveau eines alten iPad Pro kann sich das Gesamtpaket aber dennoch sehen lassen. Günstig ist der Spaß natürlich in beiden Fällen nicht: Das iPad Air ist ab 699 Euro erhältlich, das iPad Pro überhaupt erst ab 1199 Euro. In den höchsten Konfigurationen landet man bei 1749 bzw. sportlichen 3139 Euro – Zubehör oder Apple Care nicht inkludiert. Ob sich das auszahlen kann und wie sich die neuen iPads im Alltag schlagen, ist in Kürze im STANDARD nachzulesen. (Benjamin Brandtner aus London, 8.5.2024)